Taktische Verwundetenversorgung: Leben retten im Gefecht
Taktische Verwundetenversorgung: Leben retten im Gefecht
- Datum:
- Ort:
- Koblenz
- Lesedauer:
- 4 MIN
Bei der sanitätsdienstlichen Versorgung auf dem Gefechtsfeld stellen sich andere Herausforderungen als bei einem Unfall im Inland. Von der Erstbehandlung im Feuergefecht bis zum Weitertransport in eine Behandlungseinrichtung arbeiten die Soldatinnen und Soldaten unter Einsatz ihres Lebens.
Während einer Patrouille durch einen Wald beendet eine Explosion die Stille. Schreie sind zu hören. Der Führer der Infanteriegruppe ruft nach dem Sanitäter. Doch zeitgleich eröffnet der Feind das Feuer. Die Infanteriegruppe sucht Deckung und erwidert das Feuer. „Erkannter Feind auf neun Uhr“, ruft ein Hauptfeldwebel und zeigt mit dem Arm in die Richtung des Gegners. Während die Soldaten kämpfen, versucht ein Verwundeter die Blutung seiner Wunde zu stoppen. Doch seinen Kameraden hat es deutlich schlimmer erwischt. Er liegt bewusstlos am Boden. Nach einer kurzen Feuerpause holt die Infanteriegruppe die beiden verwundeten Soldaten aus der Gefahrenzone heraus. Sie müssen den samt Ausrüstung rund 100 Kilogramm schweren Soldaten einige Meter tragen. Erst hinter einem Wall können sie Luft holen, den Schwerverwundeten untersuchen und erste medizinische Maßnahmen vornehmen. Mittlerweile sind schon einige Minuten vergangen.
Während in Deutschland nach einem Verkehrsunfall in zehn Minuten sehr wahrscheinlich der Rettungswagen vor Ort wäre, liegt der schwer verwundete Soldat noch immer auf dem kalten Boden. Seine Kameraden kämpfen um sein Leben und keine 100 Meter entfernt gegen den Feind. Doch die Gruppe ist gut eingespielt. Sie haben solche Situationen schon öfters trainiert. Gerade im Gefecht, also in einer absoluten Stresssituation, zahlt sich dieses Training aus. Auch wenn dieses Szenario fiktiv ist, zeigt es doch den großen Unterschied zwischen einer medizinischen Versorgung in Deutschland und einem Kriegs- beziehungsweise Krisenfall. Für die strukturierte sanitätsdienstliche Versorgung unter Gefechtsbedingungen trainieren die Soldatinnen und Soldaten nach dem Konzept der Taktischen Verwundetenversorgung (Tactical Combat Casualty Care, TCCCTactical Combat Casualty Care).
Ausflug in die Vergangenheit
Der Begriff der „Tactical Combat Casualty Care“ stammt bereits aus dem Jahr 1996. In diesem Jahr veröffentlichten amerikanische Militärärzte die ersten Schriftstücke zur Verwundetenversorgung auf dem Schlachtfeld. Sie entwickelten Prozeduren für die Behandlung von verwundeten Soldaten auf dem Gefechtsfeld, da oftmals eine Evakuierung nicht möglich war. Im Oktober 1993 verlief eine Rettungsoperation der USUnited States-Spezialeinheit Delta Force in Mogadischu katastrophal. Sie ging später als die Schlacht um Mogadischu in die Geschichte ein. Während dieser Operation fielen 18 USUnited States-Soldaten und rund zwei Drittel der eingesetzten Truppen wurden verwundet. Der negative Ausgang dieser Operation führte zu den ersten Überlegungen des TCCCTactical Combat Casualty Care. 1999 wurden zusätzliche zivile Richtlinien des präklinisches Traumamanagements in das Konzept übernommen. Dies bildet den Ursprung der modernen taktischen Verwundetenversorgung.
Phasen der Versorgung
Ausgehend von unterschiedlichen Bedrohungslagen wie beispielsweise der eben dargestellten Gefechtssituation kann das militärisch-taktische Vorgehen zwar unterschiedlich ablaufen, die Grundphilosophie der Verwundetenversorgung bleibt allerdings immer gleich. So werden verwundete Soldatinnen und Soldaten in drei Phasen versorgt und zur weiteren Behandlung evakuiert.
Während der ersten Phase „Care Under Fire“ gilt es trotz möglicher anhaltender Kampfhandlungen eine verwundete Person schnellstmöglich zur Selbsthilfe anzuleiten, um sie in einen gesicherten Bereich außerhalb des Kampfgeschehens zu bringen und zu versorgen. Annähernd 18 Prozent der tödlichen Verläufe können vermieden werden, wenn innerhalb der ersten zehn Minuten, den sogenannten Platinum Ten Minutes, die Versorgung durch speziell geschulte Ersthelfer erfolgt.
Aus diesem Grund kommt der Selbst- und Kameradenhilfe ein hoher Stellenwert zu. Alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr erhalten eine einsatzbezogene Sanitätsausbildung. Dadurch werden sie dazu befähigt, die Erstversorgung unter taktischen Bedingungen zu gewährleisten. Einfache blutstillende Maßnahmen bei Schussverletzungen mithilfe von Aderpressen oder dem Tourniquet erhöhen die Überlebenschancen der verwundeten Person. Das Anlegen eines Tourniquets an den Extremitäten verhindert einen zu starken Blutverlust und den daraus resultierenden Verblutungstod.
In der zweiten Phase „Tactical Field Care“ kann nun ohne Feindeinwirkung erstmals eine standardisierte Untersuchung nach dem MARCHMassive hemorrhage, Airway, Respiration, Circulation, Head injury/Hypothermia-Schema erfolgen. Dieses Schema wird stetig wiederholt.
Daran schließt sich die dritte und letzte Phase „Tactical Evacuation Care“. Diese umfasst die Vorbereitung und Durchführung des qualifizierten taktischen Verwundetentransportes in ein Feldlazarett oder Feldkrankenhaus. Für diese Transportphase stehen je nach Einsatzsituation verschiedene Transportmittel zur Verfügung. Idealerweise ist dies der intensivmedizinisch ausgestattete Rettungshubschrauber NHNATO-Helicopter-90. Speziell gepanzerte Fahrzeuge wie der Transportpanzer Fuchs dienen als Rettungsmittel auf dem Landweg. Grundsätzlich ist das Ziel der TCCCTactical Combat Casualty Care, operativ festgelegte Zeitlinien einzuhalten. Die Verwundeten sind nach der elementaren Erstversorgung, der „Platinum Ten Minutes„, innerhalb der sogenannten „Golden Hour“ aus der Gefahrensituation zu evakuieren. Danach erfolgt die weitere chirurgische Behandlung.