Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) hat einen neuen Präsidenten gewählt. Ab 2022 übernimmt Oberstarzt Prof. Dr. Benedikt Friemert aus dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm die herausgehobene ehrenamtliche Aufgabe. Der Leitende Arzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie ist damit der erste Sanitätsoffizier, dem diese Ehre zu Teil wird.
Mit der Präsidentschaft von Prof. Dr. Friemert im Jahr 2022 fällt auch das 100-jährige Bestehen der DGU zusammen. In einem Interview spricht der Mediziner über seine Erwartungen und Ziele für die Präsidentschaft.
vonUwe Henning
8 Fragen an Oberstarzt Prof. Dr. Benedikt Friemert
Herr Oberstarzt, kam die Entscheidung, dass Sie der künftige Präsident werden, überraschend?
Üblicherweise wird ein potentieller Kandidat vor solch einer weitreichenden Entscheidung gefragt, ob er das Amt übernehmen will. Schließlich bedeutet eine Präsidentschaft den Einsatz von viel Energie und Zeit, die man bereit sein muss aufzubringen. Aber ehrlich gesagt war ich schon sehr überrascht, als die Entscheidungsträger der DGU mich angesprochen haben. Bisher war es so, dass nur Ordinarien der Unfallchirurgie und die Chefs der BGBrigadegeneral-Kliniken (Anmerkung der Redaktion: Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung gGmbH) dieses Amt bekleideten.
Wie erklären Sie sich diese Entscheidung?
Zum einen fußt die Entscheidung nicht nur auf meiner Arbeit. Angefangen hat das vor 20 Jahren, als mein ehemaliger Chef, Oberstarzt Prof. Dr. Gerngroß, uns mit auf die Kongresse nahm. Schon damals haben wir die Veranstaltungen in Uniform besucht und man hat uns angesehen, als wären wir von einem anderen Stern. Ich gebe zu, ich habe mich anfänglich unwohl gefühlt. Doch mit den Jahren haben wir uns durch unsere wissenschaftliche Arbeit und durch zahlreiche Präsentationen ein Renommee erarbeitet. Wir sind mittlerweile gefragte Mitglieder, die in verschiedenen Gremien Verantwortung übernehmen. Insgesamt sehe ich meine Nominierung auch als eine Honorierung der Leistungen aller Sanitätsoffiziere, die für die DGU tätig sind.
Sie treten Ihre Aufgabe erst 2022 an. Wie sieht der Fahrplan bis zur Präsidentschaft aus?
Eine Präsidentschaft umfasst vier Jahre. Im Jahr 2020 bin ich dritter Vizepräsident und sitze damit schon in den Gremien. Die Idee dahinter ist eine schrittweise Übernahme der Verantwortung. Ich kann mich mit der Aufgabe vertraut machen, politisch etablieren und ein entsprechendes Netzwerk aufbauen. 2021 werde ich dann zweiter Vizepräsident. Hier gilt es, eine sogenannte Summerschool zu organisieren, zu der rund 30 bis 50 Medizinstudentinnen und Medizinstudenten von der DGU eingeladen werden, um sie für die Unfallchirurgie und Orthopädie zu begeistern. 2022 ist dann das eigentliche Präsidentenjahr. 2023 werde ich die Aufgabe des ersten Vizepräsidenten übernehmen und meine Projekte, die ich als Präsident angefangen habe, zu Ende führen.
Welche Ziele haben Sie sich für ihre Amtszeit als Präsident der DGU gesetzt?
Mir liegt der Nachwuchs am Herzen. In den letzten Jahren ist mir aufgefallen, dass den jungen Medizinerinnen und Medizinern die Wertigkeit des Begriffs „Erfahrung“ verloren gegangen ist. Damit meine ich nicht die Frage, wie ein Kreuzband operiert wird. Die viel wichtigere Frage ist doch: Wann führe ich eine Operation durch und welche genau. Und dafür gibt es kein Lehrbuch. Das steht nirgendwo. Dann sind wir beim Thema Erfahrung, und um die zu erlangen, benötigen sie Zeit am Patienten. Und genau hier haben wir ein Problem. Die junge Generation von Medizinern möchte eine Work Life Balance und selbst engagierte Ärzte dürfen, selbst wenn sie wollten, diese wertvolle Zeit nicht mehr am Patienten verbringen.
Ein Grund hierfür ist, dass das Arbeitszeitgesetz es schlicht verbietet, länger zu arbeiten. Das erklärt auch, warum die jungen Ärztinnen und Ärzte immer mehr Kurse durchführen, aber eben immer weniger Erfahrung durch die Arbeit am Patienten sammeln. Jetzt kann man zur guten alten Zeit stehen wie man will, aber ich war damals 60 Stunden und mehr pro Woche in der Klinik. Wenn ich heute regulär nur noch 41 Stunden arbeiten darf, fehlt mir ein Drittel der Zeit im Vergleich zu früher, um Erfahrung am Patienten sammeln zu können. Dies soll nur das Problem erklären, warum es immer schwieriger wird, Erfahrung zu sammeln beziehungsweise es immer länger dauert.
Woran machen Sie die mangelnde Erfahrung fest?
Ein Beispiel sind unsere Röntgenbesprechungen. Wenn ich keine Erfahrung habe, sehe ich kleine Veränderungen nicht. Ich muss tausendmal ein gesundes Kniegelenk gesehen haben, um ein Gefühl dafür zu bekommen, dass etwas nicht stimmt.
Welche Lösungen schweben Ihnen vor?
Ich denke da an eine Einrichtung, die erfahrenes und junges Ärztepersonal zusammenbringt. Ziel ist es nicht zu zeigen, wie ein Kreuzband operiert wird, sondern ich möchte die Erfahrungsebene bedienen. Hier geht es um gemeinsame Visiten oder das Vorstellen von Patientenanamnesen. Die jungen Mediziner müssen ein Gefühl dafür bekommen, wo eine Lücke in einer Patientengeschichte sein könnte und wo sie gegebenenfalls noch nachhaken müssen.
Ist es nicht so, dass auch heute erfahrene und junge Ärzte auf einer Station zusammenarbeiten?
Sicher, aber ich stelle einmal nüchtern fest, dass diese gemeinsame Zeit deutlich weniger geworden ist. Wir müssen die gemeinsame Zeit deutlich besser strukturieren. Einen ersten Testballon werde ich im nächsten Jahr bei der Summerschool der DGU starten.
Welchen Stellenwert hat die anstehende Präsidentschaft für Sie und für den Sanitätsdienst der Bundeswehr?
Für mich heißt es in erster Linie vier Jahre Vorstandsarbeit. Ich werde also in der Klinik noch öfter abwesend sein, als ich es ohnehin schon bin. Der eigentliche Gewinn ist jedoch, dass die zivile Seite den Sanitätsdienst der Bundeswehr als gleichberechtigten Partner anerkannt hat. Ein Beispiel dafür ist die Kooperation mit den BGBrigadegeneral-Kliniken. Diese hätten vor 15 Jahren vielleicht so noch nicht stattfinden können. Wir genießen ein hohes Ansehen, weil wir eine gute Medizin machen. Da ist meine Präsidentschaft nur das i-Tüpfelchen, aber nicht der Punkt.
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