Gemeinsam stark: Binationale Zusammenarbeit im Rettungszentrum
Gemeinsam stark: Binationale Zusammenarbeit im Rettungszentrum
- Datum:
- Ort:
- Hohenfels
- Lesedauer:
- 5 MIN
Erstmalig unterstützen 50 Sanitätskräfte der USUnited States-Army ein deutsches Rettungszentrum. In gemischten Teams versorgen sie Verwundete auf der multinationalen Übung Allied Spirit. Wie gut deutsch-amerikanische Sanitätskräfte in der Versorgungseinrichtung zusammenarbeiten, zeigte ein erster Test.
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Die Worte ,,MasCalMass Casualty, MasCalMass Casualty” beenden die Ruhe in dem Rettungszentrum. MasCalMass Casualty steht für Mass Casualty und bedeutet: Verwundete sind angekündigt. Viele Verwundete. Oberfeldarzt Frederik* ist Chef der 4. Kompanie des Sanitätsregimentes 2 und wartet bereits vor dem Eingangsbereich der Behandlungseinrichtung einer Role 2 B. Diese medizinische Versorgungseinrichtung übernimmt die erste notfallchirurgische Versorgung beispielsweise bei kriegerischen Konflikten.
Aus dem kleinen Krankenhaus strömt das Personal. Voll besetzt arbeiten hier knapp 100 Soldatinnen und Soldaten rund um die Uhr. „Sind alle Bereiche aus der Role 2 Bravo hier?“, fragt Frederik die angetretenen Sanitätskräfte in englischer Sprache. Deutsche und amerikanische Soldatinnen und Soldaten stehen Schulter an Schulter und folgen der kurzen und knappen Befehlsausgabe.
Wenige Minuten später fährt bereits das erste Krankentransportfahrzeug vor. Schreie hallen über den Platz, als sich die Tür der Kabine öffnet. Oberfeldarzt Jan* übernimmt gemeinsam mit einem amerikanischen Arzt die Triage. Dabei teilt er die Verwundeten – allesamt Verletztendarsteller – in vier verschiedene Kategorien ein. Keine leichte Aufgabe für den Mediziner. Denn er muss nach einer kurzen Übergabe und Untersuchung entscheiden, wann und mit welcher Priorisierung der oder die Verwundete behandelt wird. Die ersten Verwundeten haben leichte Verletzungen und der Kardiologe hängt ihnen eine grüne Karte – für eine leichte, nicht lebensbedrohliche Verletzung – um den Hals.
Nicht jeder kann gerettet werden
Mittlerweile fahren immer mehr Fahrzeuge vor das kleine Triagezelt. Die Besatzungen holen mehrere Verwundete von der Ladefläche eines Lkws. Die Frequenz der Sichtung ist hoch, aber für den Oberfeldarzt auch dank der Unterstützung durch den amerikanischen Arzt zu bewältigen.
Während der Triagebereich bereits auf Hochtouren läuft, wartet Oberfeldarzt Sebastian* auf seinen ersten Patienten. „Wir haben vier OPs. Das heißt, wir können vier Verwundete zeitgleich operieren. Ab fünf Verwundeten ist es bereits ein MasCalMass Casualty“, erklärt der erfahrene Chirurg. Dann überschreiten die Anzahl der verwundeten Personen und die Schwere der Verletzungen die Kapazitäten der Sanitätskräfte.
Die Triage ist eine wichtige Schlüsselstelle, erklärt der Facharzt: „Im Ernstfall ist es die nüchterne Abwägung, ob ich die vorhandenen Ressourcen wie Blutkonserven in einen Verwundeten stecke oder damit lieber zwei Leben rette.“
Blickpunkt Notaufnahme
In der Notaufnahme arbeiten vier deutsch-amerikanische Teams zusammen. „Die Amerikaner benutzen andere Medikamente und Begrifflichkeiten, aber von Patient zu Patient läuft es besser“, so Hauptfeldwebel Gerrit*. Für den Notfallsanitäter ist es das erste Mal, dass er mit einer anderen Nation zusammenarbeitet. Lediglich drei Tage hatte das Personal des Rettungszentrums Zeit, sich zu finden. Der amerikanische Notfallmediziner Lieutenant Colonel Rodriguez* äußert sich zufrieden mit seinen deutschen Partnern: „Die Zusammenarbeit klappt sehr gut. Sie sind gut ausgebildet und verstehen ihr Handwerk.“
Chirurg Sebastian operiert bereits seinen ersten Patienten. Für den Mediziner aus dem BundeswehrZentralkrankenhaus Koblenz ist das Routine. Doch im Vergleich zur Individualmedizin ist in einem Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung Schnelligkeit gefragt. Keine Zeit für unnötige Arbeiten.
So bleibt der operierte Bauch offen. Lediglich eine sterile Wundauflage verschließt die Wunde. Das Vernähen des Schnittes ist laut dem Chirurgen die Aufgabe der nächsten Behandlungseinrichtung. „Wenn alles optimal läuft und die OP-Teams eingespielt sind, schaffen wir durchschnittlich einen Patienten pro Stunde“, so der Mediziner.
Die Welle ist durch
Rund 45 Minuten liegen seit dem ersten angelieferten Patienten zurück. Bei dem Triagearzt, Oberfeldarzt Jan*, wird es langsam ruhiger. Insgesamt 18 Verwundete von leicht bis schwerst verletzt haben sie innerhalb kurzer Zeit aufgenommen. Die Welle rollt jetzt durch die Role 2 B und erreicht am Ende die Intensivstation. Hier liegen unter anderem die frisch operierten Verletzten. Aber auch diese müssen so schnell wie möglich wieder verlegt werden, um Platz für die nächsten zu machen.
Stabsfeldwebel Michael* ist Teil des binationalen Intensivteams. Der einsatzerfahrene Fachpfleger für Anästhesie- und Intensivmedizin am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz arbeitet gerne in einem internationalen Umfeld.
„Das ist die Zukunft“, so der 47-Jährige. „Wir Deutsche sind in der Individualmedizin sehr gut. Das haben wir in vielen Auslandseinsätzen gezeigt. Die Amerikaner sind mit ihren Verfahren und Abläufen sehr gut auf den Massenanfall von Verwundeten vorbereitet. Da können wir sicher noch was lernen.“
Übungsende
Die Worte „Übungsende, Übungsende“ hallen durch das Zelt. Übungsleiter Oberfeldarzt Frederik zieht ein erstes positives Fazit: „Das, was ich gesehen habe, sah koordiniert und professionell aus.“ Die MasCalMass Casualty-Übung diente unter anderem dazu, Abläufe unter realitätsnahen Bedingungen zu testen. Es wird nicht die letzte Bewährungsprobe bleiben. Während der Übung Allied Spirit müssen die Soldatinnen und Soldaten über neun Tage rund um die Uhr ihr Können unter Beweis stellen. Dann wird es voraussichtlich nicht „nur“ bei 18 Verwundeten bleiben.
Das sieht auch der klinische Direktor der Role 2 B, Oberstarzt Marcus*, so. „Bei zehn Bataillonen, die da draußen kämpfen werden, ist es zu erwarten, dass diese Einrichtung von Patienten überrannt wird. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir das managen werden.''
Der Mediziner macht aber auch klar: „Wir würden nicht jedes Leben retten können, aber effizient versuchen, so viele wie möglich zu retten.“ Für Marcus N.* wird die Großübung wichtige Erkenntnisse bringen – auch eine Antwort auf die Frage, wie viel Individualmedizin die Bundeswehr sich in einem Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung noch leisten kann.
*Namen zum Schutz der Soldaten abgekürzt.