Sanitätsdienst
Dossier

Was der Krieg uns lehrt - Eine Analyse für den Sanitätsdienst

Was der Krieg uns lehrt - Eine Analyse für den Sanitätsdienst

Datum:
Ort:
Koblenz
Lesedauer:
4 MIN

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Die systematische Analyse des Krieges in der Ukraine zeigt: Rettung „unter Feuer und Minen“, eine hohe Zahl an Verwundeten und Toten, fehlende Lufthoheit und gezielte Missachtung von Schutzzeichen erfordern ein konsequentes Weiterdenken. Für die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BVLandes- und Bündnisverteidigung) sind daher umfangreiche hochmobile, flexible und geschützte Rettungs-, Behandlungs- und Transportkapazitäten essentiell. 

Ein zerstörter Krankenwagen in einem Kriegsgebiet

Wenn Schutzzeichen nicht schützen: Durch Kampfhandlungen geschädigter Krankenwagen in der Ukraine

IMAGO/Cover-Images

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges beobachtet die Bundeswehr das Geschehen auf dem Gefechtsfeld in der Ukraine. Neben den gesammelten Daten in Deutschland und der NATO hat auch die ukrainische „Surgeon General“ als oberste Militärärztin Erfahrungsberichte an die Sanitätsdienste der NATO beigesteuert. Der Leiter der Unterabteilung Führung, Einsatz und Lagezentrum im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr in Koblenz, Oberstarzt Dr. Kai Schmidt, hat die gesammelten Daten mit seinem Team zu einer umfangreichen Analyse zusammengeführt. So schrecklich die Wirklichkeit eines konventionellen zwischenstaatlichen Krieges in Europa ist, so bietet sie dennoch die Chance, Grundannahmen und militärische Planungen dieser Realität evident gegenüberzustellen.

Schutzzeichen bietet keinen Schutz

Nicht erst seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist festzustellen, dass Personal, Fahrzeuge und Gebäude mit dem Schutzzeichen des Roten Kreuzes gezielt angegriffen werden. Dies soll einerseits die Möglichkeiten der Rettung und medizinischen Versorgung einschränken, was sekundär noch mehr Verluste produziert, und andererseits die Moral aller untergraben. Dies hat zur Folge, dass sämtliche Kräfte des Sanitätsdienstes auch mit eigenen Verlusten konfrontiert sind und diese kompensieren müssen. Der Bedarf an geschützten, also gepanzerten, Rettungsfahrzeugen steigt dadurch enorm.

Oberstarzt Dr. Kai Schmidt, Führung und Einsatz Kommando Sanitätsdienst
Ein nicht ausreichend dimensionierter Sanitätsdienst führt zu unverhältnismäßig höheren Verlusten nach Kampfhandlungen.

Das Geschehen in der Ukraine zeigt ebenso deutlich, dass die in der NATO verwendeten Annahmen über die Zahlen von täglich verwundeten und gefallenen Soldatinnen und Soldaten in einem konventionellen Kriegsszenario noch zu gering bemessen waren. Die tatsächlichen Zahlen in der Ukraine liegen etwa 20% höher. Daher müsste die gesamte sanitätsdienstliche Versorgung künftig größer dimensioniert geplant werden. 

Das beginnt bei der Anzahl des benötigten medizinischen Fachpersonals in den sanitätsdienstlichen Feldbehandlungseinrichtungen, geht über die Transportkapazitäten bis hin zu den Umfängen an Verbrauchsmaterialien, wie Bandagen, Tourniquets, ja dem gesamten Sanitätsmaterial, zur Versorgung der Verwundeten.

Lufttransport wird die Ausnahme

Ein Lazarettzug von innen

Sollen wieder beschafft werden: Krankentransportzüge, wie hier in der Ukraine. Für die Landes- und Bündnisverteidigung ist der Patiententransport über Land von essentieller Bedeutung

IMAGO/Bahmut Pavlo/Ukrinform/Abaca


Die Ukraine hat keine Lufthoheit über ihrem Territorium. Der Verwundetentransport über Straße und Schiene wird so zum Standard. Das ist eine deutliche Zäsur für westliche Streitkräfte und deren Sanitätsdienste, die bisher auch umfänglich am strategischen Verwundetenlufttransport ausgerichtet sind. Krankentransportbusse und Lazarettzüge sollten angesichts dieser Erkenntnisse dringend wieder in die Planungsüberlegungen eingebracht werden. 

Veränderte Personalanforderungen

Das Überleben auf dem Gefechtsfeld hängt maßgeblich davon ab, wie schnell und wie gut eine Erstversorgung, vor allem die Blutstillung, auf dem Gefechtsfeld erfolgt. Die Verwundeten müssen innerhalb der ersten Stunde einer ersten notfallmedizinischen Behandlung zugeführt werden, weitere Behandlungsebenen müssen konsequent folgen. Das bedeutet, dass die sanitätsdienstlichen Kompetenzen aller Soldatinnen und Soldaten qualitativ erhöht und beherrscht werden müssen. 

Das sanitätsdientliche Fachpersonal der Bundeswehr dient im Frieden überwiegend in den Krankenhäusern der Bundeswehr. Sobald diese Experten im Kriegsfall näher an der Front eingesetzt werden müssen, fehlen die Kapazitäten in der Heimat. Diese können zum Teil durch Reservisten ersetzt werden, aber es fehlen vor allem noch Fachkräfte und Ärzte in der Reserve. Aber auch bei einer voll besetzten Reservistenkonzeption könnte der Sanitätsdienst der Bundeswehr nicht die gesamte Versorgung im Verteidigungsfall abdecken.

Gesamtstaatliche Aufgaben neu denken

Wenn im Verteidigungsfall in Deutschland eine ähnliche Anzahl an Verwundeten auftreten würde, wie wir es derzeit in der Ukraine sehen können, dann muss auch das gesamte zivile Gesundheitssystem befähigt sein, auf die speziellen Verletzungsmuster eines Krieges adäquat zu reagieren. Transport, Verteilung und Behandlung der Verwundeten sollte von entsprechenden militärischen und zivilen Lagezentren koordiniert werden. Medizinischen Hilfsorganisationen, insbesondere dem Deutschen Roten Kreuz, kommen eine entscheidende Rolle zu. 

Zwei Soldaten helfen einem verwundeten Soldaten beim Aufstehen

Soldaten helfen einem verletzten Kameraden auf die Beine. Bei den Informationslehrübungen zeigt der Sanitätsdienst der Bundeswehr regelmäßig seine Fähigkeiten. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Ebenen 1 und 2 der so genannten Rettungskette

Bundeswehr/Anna Derr

Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist planerisch und konzeptionell bereits auf die Unterstützung der Streitkräfte in einem LV/BVLandes- und Bündnisverteidigung Szenario ausgerichtet. Dies wird durch die Beobachtungen und Erkenntnisse des Russland - Ukraine Krieges in Bezug auf die Ausstattung mit Material und Fahrzeugen/Einrichtungen und die Ausbildung von Sanitäts- und Nichtsanitätspersonal immer wieder bestätigt. Nunmehr müssen die geforderten Bedarfe dringend ohne weiteren Zeitverzug realisiert werden, um eine verantwortbare sanitätsdienstliche Unterstützung zu ermöglichen.

Die Beobachtungen des Krieges in der Ukraine unterstreichen die Notwendigkeit, die geforderten und dringend benötigten Ressourcen für den Sanitätsdienst der Bundeswehr im Sinne einer balancierten Streitkräfteentwicklung und in Verantwortung für Leben und Gesundheit der uns anvertrauten Soldatinnen und Soldaten schnellstmöglich verfügbar zu machen. Es gilt nun, die aufgezeigten Erkenntnisse zu operationalisieren und in die Umsetzung zu bringen, um die sanitätsdienstliche Unterstützung der Bundeswehr in einem LV/BVLandes- und Bündnisverteidigung Szenario weiter zu verbessern.
 

von Marc Stümmler und Dr. Kai Schmidt 

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