Forschung: Wenn Viren gegen Bakterien helfen
Forschung: Wenn Viren gegen Bakterien helfen
- Datum:
- Ort:
- Berlin
- Lesedauer:
- 3 MIN
Die Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming im Jahr 1928 markierte den Anfang des Siegeszuges der Antibiotika. Diese wiegten die Menschen lange in Sicherheit, versprachen sie doch eine unkomplizierte Therapie bei Infektionen aller Art. Gerade in den letzten Jahren zeigt sich aber, dass es eine trügerische Sicherheit war.
„Infektionen stellen medizinisches Personal heute teilweise vor große Herausforderungen“, erklärt Oberstarzt Prof. Dr. Christian Willy, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und septisch-rekonstruktive Chirurgie am Bundeswehrkrankenhaus Berlin. „Im Klinikalltag haben wir es mittlerweile nicht mehr nur mit multiresistenten Erregern zu tun, sondern immer öfter mit panresistenten Keimen, gegen die es keine wirksamen Antibiotika mehr gibt.“
Die Bakterienfresser
Eine Alternative zur Behandlung von Infektionen mit Antibiotika wurde schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts erforscht, die Bakteriophagen. Vor über 100 Jahren entdeckten der Engländer Frederick Twort und der Kanadier Félix Hubert d’Hérelle die sogenannten Bakterienfresser. Mit Aufkommen der Antibiotika verloren Forschung und Pharmaindustrie aber das Interesse an der Weiterentwicklung dieser Therapieform. Auch wenn diese noch im Zweiten Weltkrieg in Afrika eingesetzt wurden, setzten Staaten wie Russland und Georgien die Bakteriophagen bis vor wenigen Jahren ein.
„Phagen bieten eine ergänzende und vielversprechende Therapieoption bei der Behandlung von Infektionen.“
Ein besonderer Cocktail für Infektionen
Bakteriophagen, oder kurz Phagen, sind besondere Viren, die ausschließlich Bakterien befallen und unschädlich machen. Dabei sind Phagen sehr spezialisiert und können nur ein Bakterium mit passender Zelloberflächenstruktur angreifen. Durch eigene Mutationen sind sie in der Lage, mit den Veränderungen der Krankheitserreger Schritt zu halten und somit weiterhin wirksam zu sein. Phagen werden, wenn die Infektion nicht mit Antibiotika bekämpft werden kann, als sogenannter Phagencocktail lokal in die infizierte Wunde eingebracht oder oral verabreicht, wobei die Zusammensetzung des Phagencocktails individuell auf das Krankheitsbild der Patientinnen und Patienten zugeschnitten wird.
Zulassungsrechtliche Hürden
Willy und sein Team sind die ersten, die in Deutschland am Forschungs- und Behandlungszentrum Rekonstruktion von septischen Defektwunden des Bundeswehrkrankenhauses Berlin an dieser Form der individualisierten Gabe von Bakteriophagen forschen. Bei dieser Vorgehensweise liegt auch das Problem. Bei Phagen stelle sich die Frage der arzneimittelrechtlichen Einordnung, so Professor Willy. Da sich die Zusammensetzung des Phagencocktails je nach Diagnose unterscheidet und die Phagen einer permanenten Änderung unterliegen, ist theoretisch für jede neue Anwendung eine eigene Zulassung erforderlich.
Praxistest im Klinikbetrieb
Für Willy und sein Team gibt es aber noch eine weitere Herausforderung: Der Einsatz von Phagen im klinischen Alltag. „Wir wollen zeigen, dass wir in der Lage sind, innerhalb eines klinisch akzeptablen Zeitraums von bis zu zwei Wochen eine Phagentherapie für Patienten herzustellen“, beschreibt der Oberstarzt das Problem. „Wir müssen in diesem Zeitraum die für die Infektion verantwortlichen bakteriellen Krankheitserreger identifizieren, wirksame Bakteriophagen aus einem im Krankenhaus verfügbaren Set verschiedener Phagen auswählen und mit der Therapie beginnen.“ All diese Aspekte vereinigt das Forschungsprojekt PhagoFlow, ein vom Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses mit 2,6 Millionen Euro gefördertes Projekt. Es untersucht, ob es heute möglich ist, Phagenpräparate in Krankenhausapotheken auf die Patientinnen und Patienten abzustimmen und für eine Therapie verfügbar zu machen.
Therapieoption von Infektionen an Extremitäten
Dabei konzentriert sich das Projekt auf Infektionen von multiresistenten Erregern in Wunden an Armen und Beinen. „Wir wollen versuchen, die Phagentherapie als eine weitere Therapieoption in der Behandlung von Infektionen an Extremitäten zu etablieren und sie somit zukünftig auch als Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung anzubieten“, fasst Willy die Zielsetzung seiner Arbeit zusammen. Ab Januar 2021 sollen die ersten Patienten behandelt werden.