Sanitätsdienst

Neues Führungstrio beim Wehrmedizinischen Beirat

Neues Führungstrio beim Wehrmedizinischen Beirat

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
1 MIN

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Beim Wehrmedizinischen Beirat fand eine personelle Neuaufstellung statt. Bei einer Vollversammlung wählten die Mitgliederinnen und Mitglieder des Gremiums den neuen Sprecher und seine Stellvertreter.

Ein Gruppenbild

Der Wehrmedizinische Beirat berät die Bundesministerin oder den Bundesminister der Verteidigung in allen Angelegenheiten zur Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsversorgung der Truppe

Bundeswehr/Michael Laymann

Der Wehrmedizinische Beirat berät die Bundesministerin oder den Bundesminister der Verteidigung in allen Angelegenheiten zur Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsversorgung der Truppe. Dazu gehören beispielsweise die Entwicklung und Förderung der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit oder zukunftsorientierte Forschungsprojekte. Jetzt wählte das Gremium, bestehend aus Medizinerinnen und Medizinern, eine neue Führungsmannschaft.

Neues Sprachrohr im Amt

Professor Dr. Tim Pohlemann ist der neue Sprecher des Wehrmedizinischen Beirats. Rückenstärkung bekommt er durch seine Stellvertreter, Professor Dr. Markus Rothschild und Professor Dr. Florian Gebhard. Gemeinsam bilden die Mediziner ein Leitungsteam mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Als direkte Ansprechpartner des Ministeriums kommt ihnen dementsprechend eine wichtige Rolle zu.

In den folgenden Interviewreihen geben die Akteure einen exklusiven Einblick in spannende Projekte und mögliche Technologien der zukünftigen Wehrmedizin.

von Marcel Bockisch-Ernst

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Professor Dr. Tim Pohlemann ist der neue Sprecher des Wehrmedizinischen Beirats. Im Interview stellt er sich und seine Aufgabe vor.

Ein Arzt

Professor Dr. Tim Pohlemann ist der neue Sprecher des Wehrmedizinischen Beirats

Mario Leinen
Herzlichen Dank Herr Professor Pohlemann für ihre Bereitschaft dieses Interview zu führen. Zu Beginn, können Sie Ihre Laufbahn, ihre Klinik, Ihre Spezialisierung und Tätigkeiten im Bereich Wissenschaft und Forschung erläutern?

Sehr gerne. Ich habe nach Medizinstudium in Heidelberg und Mannheim meine Facharztweiterbildung im Zentrum Chirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHHMedizinische Hochschule Hannover) 1983 begonnen und mich klinisch zum Allgemeinchirurgen, Speziellen Unfallchirurgen, Notfallmediziner, Intensivmediziner und letztendlich zum Orthopäden/Unfallchirurgen qualifiziert. Die Habilitation folgte 1992, wissenschaftlicher Schwerpunkt Becken- und Acetabulumfrakturen, schwierige Gelenkrekonstruktionen und Traumamanagement. Es folgte die außerplanmäßige. Professur in 1997 und der Ruf auf den eigenen Lehrstuhl in Homburg/Saar, den ich seit 2001 leite. Hier vertreten wir ein breites Spektrum das sich klinisch von der Schwerverletztenversorgung über die Becken und Acetabulumchirurgie, Wirbelsäulenchirurgie bis hin zur Hand- und Mikrochirurgie erstreckt. Das begründet auch unser besonderes Interesse an der Weiterentwicklung von Fortbildungskursen zum perforierenden Trauma, die wir nahezu exklusiv seit 15 Jahren in Homburg für die DGU anbieten.

Auf der wissenschaftlichen Seite beleuchten wir grundlegende Probleme der Knochen- und Gewebeheilung mit eigenen molekularbiologisch, zellbiologisch und biomechanisch ausgerichteten Forschungsgruppen, tierexperimentellen Modellen und großen Verbundprojekten aus Technik, Biologie und Medizin. Die besonders integrative Forschungslandschaft an der Universität des Saarlandes haben mich letztendlich auch dazu bewogen Auswärtsrufe nach Würzburg und Zürich abzulehnen. Derzeit beschäftigt uns das von der Werner Siemens Stiftung mit 8 Mio. € geförderte Projekt „Smart Implants 2.0“ besonders. Hier geht es darum Implantate zur Knochenheilung zu entwickeln, die sowohl den Heilungsfortschritt messen können, als auch ihre mechanischen Eigenschaften dem Messergebnis anpassen können. Hierzu konnten wir einen eigenen Stiftungslehrstuhl ausschreiben und mit Frau Prof. B. Ganse eine ausgewiesene Forscherin auf dem Gebiet der „Weltraumphysiologie und -medizin“ gewinnen. Aus diesem großen Spektrum von Forschungsmethoden konnten wir praxisnahe Forschungsfragen in Orthopädie und Unfallchirurgie grundlegend untersuchen und zu validen Antworten beitragen. Dieses Spektrum von den Grundlagen bis zur Translation und der klinischen Forschung finde ich sehr spannend und erfüllend und freue mich jeden Tag, wenn sich auch unser klinischer Nachwuchs für diese Themen begeistern kann!

Sie sind in einer anderen Tätigkeit Reservedienstleistender im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Wie ist es dazu gekommen und welche Themenfelder beschäftigen Sie dort?

Also, das ist schon eine besondere Biographie, da ich schon 1976, direkt nach dem Abitur, als freiwillig Wehrdienstleitender zu den amphibischen Pionieren nach Speyer einberufen wurde. Ich habe dann für mein Studium der Medizin unterbrochen und bin unmittelbar nach Abschluss des Studiums 1983 nochmals als Standortarzt am damaligen Flugabwehrschießplatz Todendorf/Ostsee tätig gewesen.

Im Anschluss folgte eine rein zivile Tätigkeit in Hannover und seit 2001 in Homburg in der ich über unsere Fachgesellschaften und die entsprechenden Arbeitsgruppen immer engen Kontakt zu den militärischen Kolleginnen und Kollegen gehalten habe. Das Thema „Verletztenversorgung“ ist ja ein Thema, das richtigerweise sowohl im zivilen, aber auch militärischen Kontext bearbeitet werden muss.

Unsere Fortbildungsveranstaltungen zum perforierenden Trauma und Traumamanagement bekamen nach 2015 mit der zunehmenden terrorassoziierten Bedrohung auch für den zivilen Bereich eine veränderte Bedeutung. Zu diesem Zeitpunkt konnten wir zusammen mit der saarländischen Landesregierung mit der „Task Force Terror Saar“ eine beispielgebende Struktur aufbauen, die unter Leitung des Innenministeriums die enge Zusammenarbeit der Behörden und Organisationen mit Sicherungsaufgaben (BOS) und den Kliniken des Traumanetzwerkes der DGU ermöglicht. Durch finanzielle Förderung des Sozialministeriums ist es nun gelungen klinische Ärztinnen und Ärzte in von uns definierten Kliniken des Traumanetzwerkes taktisch (TDSC – OTA Prof. Friemert und Kollegen, Ulm) und technisch (DSTC-Kurs) fortzubilden und so beständig etwa 50 geschulte Chirurginnen und Chirurgen in den Traumanetzwerkliniken des Saarlandes vorzuhalten. Da diese Thematik auch enge zivil-militärische Zusammenarbeit beinhaltet, war es für mich logisch und konsequent nochmals in den aktiven Reservedienst einzutreten, um „auf beiden Seiten“ gut verankert zu sein. Nach Bewerbungsphase und erneuter „Musterung“, kam im Januar 2020 die Beorderung in das Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, wo ich zunächst zwei Wochen in der Unfallchirurgie verbrachte. Danach kamen mehrere Einsätze im Kommando Sanitätsdienst mit Fragen der strukturierten Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Fachgesellschaften und zivil-militärischen Optionen bei LV und BV Situationen. Da ich mit meiner Ernennung zum Flottenarzt d. R.der Reserve auch „die Farbe“ gewechselt habe, werde ich in Kürze versuchen mir zumindest Grundkenntnisse des Marinedienstes in Wilhelmshafen anzueignen!

Sie sind ein viel beschäftigter Mediziner an einer Universitätsklinik. Woher nehmen Sie die Motivation sich noch aktiver in medizinische Projekte einzutauchen, beispielsweise im Wehrmedizinischen Beirat. Sie haben sich in das Amt des Sprechers wählen zu lassen.  Welche persönlichen Ziele und Ideen haben Sie?

Es ist so, dass der Universitätsprofessor nicht nur einen Hut aufhat, sondern in der Regel mehrere. Ich war 2011 Präsident der Orthopäden und Unfallchirurgen, war lange davor schon im Vorstand der DGU und DGOU und in dieser Funktion als Schatzmeister für den Aufbau der inzwischen in Deutschland flächendeckenden Traumanetzwerke und deren Zertifizierung, zumindest finanziell, verantwortlich. Als Präsident 2016/17 der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, der Dachgesellschaft aller Chirurgen, konnte ich die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr noch weiter ausbauen. So hatte konnte ich z.B. den Inspekteur des Sanitätsdienstes, Herr GAGrundausbildung Dr. Tempel zu einem viel beachteten Grußwort im Rahmen der Kongresseröffnung in München gewinnen und einen Thementag „Chirurgie unter besonderen und limitierten Rahmenbedingungen“ zusammen mit der Bundeswehr organisieren. Auch den 2015 unterzeichneten „Letter of Intent“ zur Zusammenarbeit Bundeswehr mit der DGU konnte ich im Rahmen meiner DGCH Tätigkeit durch den im April 2021 mit der Gesellschaft für Chirurgie unterschriebenen LOI erweitern. Der enge fachliche Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen der Bundeswehr war somit immer Teil meiner Aufgaben und Tätigkeiten. Das gegenseitige Verständnis ist dabei elementar, die Möglichkeit eigene Erfahrungen einzubringen für beide Seiten hilfreich.

Das für die qualitative Ausrichtung des Sanitätsdienstes wichtige Gremium des Wehrmedizinischen Beirats war für mich daher interessant und ich habe mich über die Berufung durch die Ministerin sehr gefreut. Die Wahl zum Sprecher sehe ich als großen Vertrauensbeweis und nehme die damit verbundene Verantwortung aber sehr gerne an. Ich bin sicher, dass wir als Gremium beratend gestalten können, um die hohe Qualität der sanitätsdienstlichen Versorgung erhalten und, wissenschaftlich begründet, für die kommenden Herausforderungen optimieren zu können. Wir werden, nicht erst in der Zukunft, über eine noch stärkere Verzahnung zwischen den zivilen und militärischen Strukturen nachdenken müssen. Der Spagat zwischen truppendienstlicher „Regelversorgung“ und „Einsatzversorgung“ und beides in optimaler Qualität, mit 24/7 Anspruch, muss gemeistert werden. Sie sehen, die Themen werden uns nicht ausgehen, ich bin aber sicher, dass wir mit der umfassenden und breit aufgestellten fachlichen Kompetenz unserer Mitglieder fundierte Vorschläge und Denkanstöße vorlegen werden.

Der Wehrmedizinische Beirat arbeitet an strategisch relevanten Fragestellungen in Arbeitsgruppen. Sie haben hierzu bereits die Bündnis- und Landesverteidigung erwähnt. Können Sie kurz schildern, in welcher Form Sie Ihre fachlich-wissenschaftliche Expertise mit einbringen?

Wir befinden uns erneut in einer Umbruchphase. Wesentliche Strukturen des Zivilschutzes und der strategischen Einsatzreserven wurden nach 1990 aus verschiedensten Gründen zurückgebaut und sind derzeit weder akut noch mittelfristig verfügbar. Die DGU hat 2005, nach Einführung des DRG Systems, das keine Anreize zur Vorhaltung einer aufwändigen Traumaversorgung beinhaltete, mit dem Aufbau und der Zertifizierung der Traumanetzwerke reagiert. Damit konnte, wissenschaftlich begründet, eine überprüfte, hochqualitative Unfallversorgung flächendeckend erhalten werden. Wir haben weitere Verbünde, wie die berufsgenossenschaftlichen Kliniken und die Universitätskliniken, die in spezialisierter Traumaversorgung ausgewiesen sind. Diese Strukturen, bevorzugt unter staatlicher Trägerschaft, gilt es zusammenzubringen und für besondere Situationen nutzbar zu machen. Hochqualitative medizinische Versorgung lässt sich nicht aus „Reservestrukturen“ generieren, es braucht aktuelles Wissen, aktuelle Ausstattung und besonders kritisch, ausgebildetes Fachpersonal. Hier braucht es jetzt Visionen und diplomatisches Geschick, um innovative Strukturen zu generieren, die im Ernstfall Volumen und Qualität bieten, im Regelfall aber auch trainiert bleiben und sinnvoll eingesetzt werden können. Kooperationen z.B. zwischen Bundeswehrkrankenhäusern, Universitätskliniken, BGBrigadegeneral-Kliniken und weiteren Schwerpunktkliniken könnten genutzt werden, um im Regelfall die fachliche Expertise und Weiterbildungsmöglichkeiten zu gewährleisten und im Gegenzug in Krisensituationen Infrastruktur, Kapazitäten und Netzwerkstrukturen zur Verfügung zu stellen. Dazu muss auf der zivilen Seite Verständnis für die Bedürfnisse der Bundeswehr geschaffen und das Potential einer gemeinsamen Planung, besonders im Personaleinsatz, erkannt werden. Ich sehe den Wehrmedizinischen Beirat genau in dieser Mittlerrolle. Er schlägt vor, moderiert und zeigt, wissenschaftlich begründet, neue Lösungswege auf, um in allen Situationen hochqualitative medizinische Versorgung der Bundeswehr sicherzustellen.

In welche Richtung kann Ihrer Meinung nach eine zukünftige Zivil-Militärische Zusammenarbeit sich entwickeln?

Wir sind als wehrmedizinischer Beirat schon unter meinem Vorgänger Herrn Prof. N. Haas viel agiler und reaktionsfähiger geworden. Durch unsere Arbeitsgruppen ist eine effektive Spezialisierung erreicht, die einen weiten Themenkanon abdeckt. Ich möchte hier nicht in Details gehen, aber eine effektive Versorgungsstrategie in längeren Lagen der BV ist sicherlich eines der Hauptthemen der nächsten Zeit. Schnelle Reaktionsfähigkeit, Zugriff auf „Hochleistungsstrukturen“ und Durchhaltefähigkeit sind dadurch auch im medizinischen Bereich Problemfelder, die vorgeplant und lösbar gemacht werden müssen. In dieser Thematik sehe ich an sich nur in einer gut strukturierten zivil-militärischen Zusammenarbeit einen gangbaren und auch bezahlbaren Lösungsansatz!

Welche richtungsweisenden Technologien, Innovationen und Behandlungsmethoden sehen Sie mittelfristig auf uns zu kommen? Sie haben beispielsweise, die rasche Entwicklung in der Medizin angesprochen.

Der Technologietransfer ist einerseits schnell, aber dann auch wieder erschreckend langsam! Sie kennen das, wenn sie zum Beispiel zum Truppenarzt gehen und zum wiederholten Mal den Personalbogen neu ausfüllen müssen. Auch im zivilen Bereich gibt es Parallelen, weil z.B. die elektronische Gesundheitskarte die immer noch nicht flächendeckend vorhanden ist. Dadurch fehlen vielfach medizinische Informationen, sie sind akut nicht zugänglich und ggf. muss sogar Diagnostik wiederholt werden. Der Datenschutz kann zusätzlich behindern, wenn z.B. pseudonymisierte Registerdaten keine Schwerverletzten mehr beinhalten dürfen, die nicht explizit zugestimmt haben, bzw. nicht mehr zustimmen können, da sie im Rahmen der Verletzung verstorben sind. Aber genau diese Informationen haben dazu geführt, dass die Überlebensraten in Deutschland so gut geworden sind ! Andere Länder sind uns in diesem Bereich schon deutlich voraus. Hier erwarte ich, nicht zuletzt durch vernünftige, problemadaptierte politische Regelungen, die größten Fortschritte. Im Rahmen der dann möglichen Patientensteuerung und Therapieplanung könnten nicht nur die Akutfälle besser und effektiver behandelt werden.

Wir werden sicherlich einen großen Schritt in der Telemedizin voranschreiten. Spezialisten, die nicht vor Ort sind, unterstützen damit beratend, ubiquitär verfügbar. Das ist derzeit in Notfalleinsätzen oft ein Problem, denn oft sind die Fähigkeiten ja prinzipiell vorhanden, aber nicht an der richtigen Stelle. Diese virtuellen „Welten“ lassen sich natürlich auch sehr gut für eine gezielte und sehr anschauliche, praxisnahe Wissensvermittlung und Lehre nutzen.

In meinem Spezialgebiet der Unfallchirurgie sehe ich eine neue Revolution in der Implantatentwicklung für Frakturversorgungen auf uns zukommen. In 10 Jahren werden sensorische Komponenten in allen Implantaten vorhanden sein, genauso selbstverständlich wie wir alle unsere Gesundheitsapplikationen auf dem Handy nutzen. Wir arbeiten hier nun daran, dass aus diesen gewonnenen Daten Algorithmen entwickelt werden, die zunächst eine individualisierte Nachbehandlung und Rehabilitation erlauben und später über Regelsysteme die mechanischen Eigenschaften des Implantates während der Heilungsphase optimieren. D.h. individuelle Anpassung und Einflussnahme auch nach abgeschlossener Operation, ohne weitere Narkose, ohne Zutun des Patienten. Derzeitige Beispiele in der Medizin sind z.B. implantierte Herzschrittmacher/Defibrillator Systeme die lebensrettend eingreifen, wenn der Herzschlag aussetzt. Für die Knochenheilung sind komplexere Berechnungen durchzuführen, wir werden noch umfassend forschen müssen. Ich bin aber sicher, dass es Lösungen geben wird, die den Patientinnen und Patienten zugutekommen werden.

Sie sind ein unglaublich stark engagierter Mediziner, der für seinen Beruf lebt. Was machen Sie als Privatmann?

Ich schätze ich ein gutes Buch und lese sehr gerne und versuche mich körperlich fit zu halten. Als Unfallchirurg bin ich natürlich sehr praktisch veranlagt, salopp: „Reparaturen aller Art, zu jeder Tages und Nachtzeit“. Ich restauriere mit viel Herzblut klassische Segeljollen aus den 1920er bis 1950er Jahren und freue mich immer, wenn ich sie an der Ostsee, in den Boddengewässern des Fischlandes zum Einsatz bringen kann. Es ist immer ein besonderes Erfolgserlebnis ein Holzboot im Frühjahr „dicht und schwimmfähig“ zu haben!

Herzlichen Dank für das Gespräch Herr Professor.

Professor Dr. Florian Gebhard ist ein Vertreter des Sprechers des Wehrmedizinischen Beirats. Im Interview stellt er sich vor.

Ein Arzt steht auf einem Dach

Professor Dr. Florian Gebhard ist neuer Vertreter des Sprechers des Wehrmedizinischen Beirats

Bundeswehr/Minh Vu
Herzlichen Dank Herr Professor Dr. Gebhard, dass Sie mit mir dieses Interview führen. Die Führung durch Ihr Universitätsklinikum und Vorstellung Ihres Handwerkes waren sehr beeindruckend. Können Sie Ihre Spezialisierung, Ihre Klinik und Ihre Aktivitäten hinsichtlich Forschung und Wissenschaft kurz darstellen?

Ja, sehr gerne. Ich freue mich, dass wir hier zusammen sitzen. Unsere gesamte chirurgische Klinik zog 2012 in ein vollkommen neues Gebäude. Wir haben damals versucht, ein möglichst modernes sowie zukunftsorientiertes High-End-OP-Zentrum auf die Beine zu stellen, was uns auch gelungen ist. Wir waren 2012 sicherlich der führende Standort für Medizintechnik im OP in Europa, doch diese Position haben wir wohl mittlerweile verloren. Dennoch sind wir weiterhin in meinen Forschungs- und Wissenschaftsschwerpunkten ganz weit vorne im europäischen Vergleich. Das ist zum einen die patientennahe, klinisch orientierte Forschung mit besonderem Interesse in der intraoperativen, dreidimensionalen Bildgebung und Navigationsunterstützung, zum anderen die experimentelle Traumaforschung.

In der klinischen Forschung interessieren mich besonders die Vorteile von operativen Verfahren, die beispielsweise eine höhere Präzision und Sicherheit für die Patienten bieten. Positionen von Implantaten können damit schneller und sicherer bestimmt werden. Die intraoperative 3D-Bildgebung mit Anbindung an ein Navigationssystem senkt die Strahlenbelastung und steigert die Qualität der Versorgung – Stichwort Präzision. Das ist besonders im Bereich der Alterstraumatologie ein enormer Wert. Die Patientinnen und Patienten sind im hohen Alter in der Regel nicht mehr so fit und müssen dementsprechend möglichst kurz operiert werden, mit einem geringen Blutverlust. Mit computerassistierten, dreidimensionalen Bildern erzielen wir dabei hervorragende Ergebnisse.

Der zweite Schwerpunktbereich beschäftigt mich schon mein ganzes Leben und ich habe sogar das Vergnügen, der Sprecher des Sonderforschungsbereiches SFBSonderforschungsbereich 1149 für Traumaforschung zu sein. Es geht im Fokus um die posttraumatische Entzündungsreaktion. Das heißt, wenn ich eine Verletzung habe, beginnt quasi ein Mediator-Sturm im Körper, denn keine Verletzung ist nur auf den Ort beschränkt an der sie stattfindet. Jede Verletzung löst eine Kaskade von Inflammationen aus, die sowohl Entzündungen anheizen, aber auch gleichzeitig bremsen.

Der Körper ist immer darauf aus das Gleichgewicht zu halten und wird schon während der ersten Entzündungsphase in diesem Sinne aktiv. Bereits zu Beginn der Traumareaktion aktiviert der Körper Abwehrmechanismen, um sich selbst vor zusätzlichen Schäden, etwa Infektionen, zu bewahren. Die Blutgerinnung gehört auch zu diesen Abwehrfunktionen und versucht, den Körper vor dem Verbluten zu schützen. Anschließend leitet der Körper schon die Regeneration ein, das heißt, es werden antiinflammatorische Mediatoren freigesetzt, die dazu dienen, den biologischen Prozess der Erneuerung und Heilung einzuleiten. Knochenbruchheilung oder Wundheilungsprozesse resultieren aus diesen Mechanismen.

Das läuft nicht immer unproblematisch ab. Es gibt Störgrößen, die diesen Verlauf wesentlich behindern, so dass der ganze Vorgang aus den Fugen gerät und unter Umständen bis zu einem Organversagen führt. Beispielsweise kommt dies zu Stande, wenn die inflammatorische Antwort viel stärker ausfällt als die antiinflammatorische Reaktion. Besonders der mehrfach verletzte Patient ist in diesem Sinne herausfordernd, wenn eventuell ein Schädelhirntrauma, eine Blutung im Abdomen oder eine geschädigte Lunge vorliegt. Wir versuchen herzufinden, wo die Stellgrößen sind, welche Kombination und welche Mechanismen führen zu den Entzündungen und wie können diese blockiert und reduziert werden. Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs haben wir in den letzten sieben Jahren, aus den Blickwinkel von 18 Forschergruppen, tolle Erkenntnisse dazu gesammelt. Das ist eine große Aufgabe und es liegt noch viel vor uns.

Nach Gegenwart und Zukunft mal ein kurzer Blick die Vergangenheit. Nach Ihrem Studium leisteten Sie 15 Monate Wehrdienst. Soweit ich es verstanden habe als Stabsarzt im Pionierlehrbataillon München. Wie war diese Zeit für Sie und welche Erinnerungen und Erfahrungen nahmen Sie daraus mit?

Es war eine ganz tolle Zeit, weil meine militärische Karriere somit begann. Ich bin damals, wie üblich, nach dem medizinischen Studium als kompletter Laie eingezogen worden und hatte danach eine verkürzte Grundausbildung an der Sanitätsakademie in München. Als Münchener habe ich mich damals schon als Freiwilliger für die Gebirgsdivision gemeldet, bin dann aber im Lehrbataillon gelandet. Mir war es wichtig in Süddeutschland zu bleiben. Wie bereits erwähnt, war das eine ganz tolle Zeit, weil ich erstens sehr gut aufgenommen worden bin und zweitens das erste Mal Teamgeist und Mannschaftsgeist erfahren habe.

Ich wurde als militärischer Laie sehr schnell integriert und bereits nach vier oder sechs Wochen war ich als Truppenarzt mit dem Bataillon auf einer Übung in Regen, was eine wirklich herausfordernde Zeit war. Ich musste alles Wesentliche auf der Reise zum Verfügungsraum lernen. Ich hatte in diesem Rahmen aber gute Unterstützung seitens meiner Kameraden, Kameradinnen gab es ja zu der Zeit noch nicht. Alle sechs oder acht Wochen wiederholte sich dies, denn es gab aufgrund der Auftragslage zahlreiche Übungen vom Bataillon. Mein Highlight war eine simulierte Gewässerüberquerung in Ingolstadt, die für einen Generalstabslehrgang durchgeführt wurde. Das war eine aufwendige Übung mit vielen Verletzungsmustern und als Sanitätsdienst war man dort wirklich stark gefordert.

Knapp ein Vierteljahr später erhielt ich die Anfrage, ob ich die Ausbildung zum Taucherarzt machen möchte. Zu diesem Zeitpunkt waren in Ingolstadt und in München im Bataillon noch Pioniertaucher stationiert, die ich mitbetreut habe. Als junger, eher alpiner Mensch hat es mir sehr viel Spaß gemacht und ich habe viele Freunde in der Tauchergruppe dazugewonnen. Anschließend bekam ich eine Anfrage, den Heeresbergführerlehrgang für die Dolomitenausbildung zu begleiten – der dortige Truppenarzt war nämlich ausgefallen. Einen Monat später fand ich mich dann in Südtirol bei der Kletterausbildung wieder. Als ich zurückkam, erhielt ich die nächste Anfrage, ob ich Zeitsoldat werden möchte. Es war eigentlich nur eine Formsache, denn ich war Feuer und Flamme für diesen Beruf. Dementsprechend stimmte ich direkt zu.

Mein Berufswunsch war es schon immer, Chirurg mit Schwerpunkt Unfallchirurgie zu werden und als Zeitsoldat wurde ich dann relativ rasch nach Koblenz versetzt. Dort gab es einen erhöhten Bedarf an Unfallchirurgen. Ungefähr nach einem Jahr Grundwehrdienst bin ich dann nach Koblenz versetzt worden, auf die dortige Abteilung 14, Unfallchirurgie und Verbrennungsmedizin. Nach einer zweieinhalbjährigen Basisausbildung als Unfallchirurg wurde ich nach Ulm zu Oberstarzt Professor Dr. W. Hartel versetzt, der dort als Chef der Chirurgie arbeitete. Professor Hartel hatte einen ähnlichen Werdegang wie ich. Wir waren beispielsweise beide früher in Koblenz, nur sollte ich in meiner Endverwendung anstatt nach Ulm ins Bundeswehrkrankenhaus München kommen, das hatte sich dann durch die Wiedervereinigung aber geändert.

Stichwort Bundeswehr. In Ulm befindet sich in unmittelbarer Nähe des Universitätsklinikums Ulm (UKU) ein Bundeswehrkrankenhaus. Welche Berührungspunkte gibt es zwischen der Universität und dem Bundeswehrkrankenhaus?

Zwischen der Universität und dem Bundeswehrkrankenhaus gibt es täglich Berührungspunkte. Zum einen ist das Bundeswehrkrankenhaus Ulm als akademisches Krankenhaus voll in die Studentenausbildung integriert, zum anderen sind noch immer Oberärzte aus meiner aktiven Zeit dort im Dienst. Diese Kontakte werden täglich wiederaufgefrischt, auch auf der persönlichen Ebene.

Zudem ist das Bundeswehrkrankenhaus neben dem Universitätsklinikum ein überregionales Traumazentrum, dementsprechend kooperieren wir eng zusammen aufgrund des gleichen Aufgabenportfolios. Neben der Traumakooperation gibt es auch eine Lehr- und Wissenschaftskooperation zwischen beiden Kliniken. Ein wehrmedizinisches Verbundforschungsprojekt besteht unter anderem für die biomechanische Forschung zum Thema Regeneration.

Wie man merkt, sind Sie ein viel beschäftigter Mediziner an einer Universitätsklinik mit zahlreichen Projekten. Gleichzeitig sind Sie seit 2017 Mitglied des Wehrmedizinischen Beirats und seit diesem Jahr sogar stellvertretender Beiratssprecher. Zudem auch Sprecher einer Arbeitsgruppe innerhalb des Beirats. Woher kommt ihre Motivation, so einen Beitrag zu leisten und solche Verantwortung zu übernehmen?

Meine Motivation beruht auf zwei Gesichtspunkten: Der eine war der Einfluss meines Amtsvorgängers am UKU, Professor Dr. L. Kinzl. Herr Kinzl war ebenfalls Sanitätsoffizier und Mitglied im Wehrmedizinischen Beirat. Dementsprechend war das Gremium sehr präsent in meinem Alltag vertreten. Es war für mich eine Ehrensache, meinen Vorgänger Prof. Kinzl im Beirat zu beerben. Außerdem spielte meine intrinsische Motivation eine große Rolle, resultierend aus den Erfahrungen meiner aktiven Zeit. Ich hatte dort gute Erfahrungen gesammelt und eine hervorragende Ausbildung genossen.

Können Sie kurz Ihre Aufgaben in Ihrer Arbeitsgruppe innerhalb des Wehrmedizinisches Beirats schildern und in wieweit Sie dort Ihre fachlich-wissenschaftliche Expertise einbringen können?

Ich leite die Arbeitsgruppe 1. Da geht es im Wesentlichen um die Zivil-Militärische Zusammenarbeit im Bündnis- oder Verteidigungsfall. Im Grunde genommen geht es um die Verteilung von Patientenströmen aus Krisen- oder Einsatzgebieten nach Deutschland. Des Weiteren geht es um die Verteilung von Patientinnen und Patienten auf die vorhandenen medizinischen Strukturen in Deutschland, um eine bestmöglichste Versorgung zu ermöglichen.

Die Thematik war für mich kein Neuland. Bereits früher arbeitete ich in der Position als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie an dem Thema Traumanetzwerk. Das Netzwerk soll jedem Patienten und jeder Patientin in Deutschland eine zeit- und verletzungsgerechte Versorgung ermöglichen. Dementsprechend besteht in diesem System eine gewisse Grundlage in der Transportkompetenz und Verbringung der Patientinnen und Patienten. Besonders meine transportlogistischen Fähigkeiten aus meiner Truppenzeit und meine zivilen Erfahrungen als Sprecher des überregionalen Traumazentrums konnte ich förderlich in die Arbeitsgruppe miteinbringen.

Unser Ziel war es, beide Systeme einander anzunähern und so zu verzahnen, dass die Synergie möglichst effizient funktioniert. Also einen nahtlosen Übergang aus militärischer Transportlogistik nach Deutschland, anschließenden Transport in sogenannte Verteilungshubs, gefolgt von einer Einspeisung in ein existierendes Netzwerk in Deutschland. Damit kann man sehr schnell eine große Anzahl von Verwundeten qualitativ und quantitativ an die jeweiligen Zentren verteilen. Das Traumanetzwerk ist gleichzeitig hierarchisch gegliedert. Das heißt, es gibt lokale, aber auch regionale sowie überregionale Traumazentren. Eine koordinierte Verteilung ermöglicht ein hervorragendes Kapazitätenmanagement.

Da schließt sich die folgende Frage direkt an, obwohl Sie diese in Teilen bereits beantwortet haben: In welche Richtung kann sich Ihrer Meinung nach die Zivil-Militärische Zusammenarbeit weiterentwickeln?

Unter dem Gesichtspunkt, dass man eben sehr früh in bestimmten Schwerpunkten einen regen regionalen zivil-militärischen Personalaustausch vorsieht, ermöglicht dies ein Kennlernen beider  Partner. In einem scharfen Durchgang treffen dementsprechend später nicht Unbekannte aufeinander, sondern ein eingespieltes Team. Im Rahmen von Ausbildungs- und Austauchprogrammen kann man versuchen, gleichzeitig mittelfristig eine Übereinstimmung der technischen Ausrüstung zu erreichen. Nichts ist schlimmer, als wenn ich irgendwo arbeiten muss, wo ich keines der Geräte kenne. 

Eine Frage zur Zukunft hätte ich noch. Welche richtungsweisenden und innovativen Technologien, beziehungsweise Behandlungsmethoden, sehen Sie mittelfristig auf uns zu kommen?

In der Unfallchirurgie und Orthopädie stehen wir gerade in Sachen Hightech-Ausrüstung an der Schwelle zum nächsten Schritt. Darunter fällt derzeit die robotische Unterstützung und dreidimensionale Bildgebung. Beispielsweise ist die robotische Assistenz im Operationssaal schon angekommen. Wir sprechen hier von assistierenden Halte- und Zeigefunktionen, die robotische Arme ausführen. Das kann natürlich noch erweitert werden, dazu haben wir in Ulm in der Chirurgie ein Robotikzentrum eingerichtet. Wir versuchen das auf die Unfallchirurgie und Orthopädie zu übertragen und im nächsten Schritt Operationen im virtuellen Raum durchzuführen.

Das müssen Sie sich folgendermaßen vorstellen: Der Operateur setzt eine semitransparente Brille auf, in der Art wie die HoloLens2 von Microsoft. Nun betrachtet der Operateur den Patienten und beispielsweise die zu operierende Lokalisation. Im Visier der Brille erscheint nun ein Overlay, welches zusätzlich weitere Informationen und Daten wie ein Hologramm über die Lokalisation legt. Das können unterliegende Gefäße oder kritische Stellen sein. Gleichzeitig können bereits vorgeplante Positionen von Implantaten eingespiegelt werden.

Die Sicht des Operateurs kann zudem simultan mit weiteren Brillen geteilt werden, das heißt ein ganzes Team sieht, egal wo es steht, wie weit der Prozess bereits abgeschlossen ist. In der Zukunft werden wir mit traumwandlerischer Sicherheit durch die Anatomie wandern können, weil uns alle Informationen zur Verfügung sehen. Das bedeutet gleichzeitig mehr Handlungssicherheit für Operateure während einer Operation, was wiederum mehr Sicherheit für den Patienten oder die Patientin bedeutet.

Zum Schluss würde mich interessieren: Wie entspannen Sie sich als Privatmann neben Ihren zahlreichen Tätigkeiten?

Das ist ganz einfach. An erster Stelle kommt die Familie. Das ist immer sehr spannend und ich versuche zusätzlich möglichst viel Zeit in den Bergen zu verbringen.

Ich danke Ihnen herzlich für das Interview.

Professor Dr. Markus Rothschild ist Vertreter des Sprechers des Wehrmedizinischen Beirats. Im Interview stellt er sich vor.

Ein Arzt erklärt etwas

Professor Dr. Markus Rothschild ist Vertreter des Sprechers des Wehrmedizinischen Beirats

Bundeswehr/Michael Laymann
Herzlichen Dank Herr Professor Dr. Rothschild für Ihre Bereitschaft, mit mir dieses Interview zu führen. Können Sie Ihr Institut, Ihre Spezialisierung und Ihre Aktivitäten hinsichtlich Forschung und Wissenschaft kurz vorstellen?

Das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Köln besteht im Wesentlichen aus den drei großen Abteilungen: Der Forensischen Morphologie mit den Teilbereichen Ambulanz, Prosektur, Histologie, Osteologie sowie Blutspurenmusteranalyse; der Forensischen Molekulargenetik mit den Teilbereichen Spurenkunde, Spurenartbestimmung und Abstammungsbegutachtung und schließlich der Forensischen Toxikologie mit den allgemeinen Giftnachweisen, Abstinenzkontrollen, Alkoholuntersuchungen, Haaranalysen und Feststoffanalysen (Betäubungsmittel). Als Institutsdirektor muss ich bei diesen verschiedenen Arbeitsbereichen schon eher Generalist sein, aber ich habe natürlich auch meine Spezialisierung, die in der Wundballistik liegt.

Daneben interessiere ich mich sehr für die Ärztliche Rechts- und Berufskunde sowie ethische Fragestellungen. So bin ich unter anderem Leiter des Ethik-Konsils der Uniklinik. Meine Forschungsschwerpunkte liegen zurzeit in der Erprobung von menschlichen Hautsimulanzien für wundballistische Modelle sowie der Rekonstruktion von Stichkräften bei konkreten Verletzungs- und Tötungsdelikten mit Stichwerkzeugen.

Welche Berührungspunkte hatten Sie bisher zum Sanitätsdienst der Bundeswehr oder generell zum Militär?

Bevor ich Mitglied im Wehrmedizinischen Beirat wurde: Keine. Ich bin 1962 in West-Berlin geboren worden. Bundeswehr und Bundeswehruniformen waren mir völlig fremd. Dafür kannte ich mich mit den Uniformen der alliierten Streitkräfte sehr gut aus. Ich bin in Berlin-Tempelhof in der ehemaligen Fliegersiedlung aufgewachsen. Zwischen uns wohnten auch Offiziere der USUnited States Air Force. Das Militär gehörte für einen West-Berliner zum alltäglichen Bild und war Garant für unsere Sicherheit.

Nach dem Abitur studierte ich dann unmittelbar an der FU Berlin Medizin. Eine Wehrpflicht gab es für uns Berliner ja nicht. In den Jahren 1998 bis 2000 war ich für verschiedene UNUnited Nations-Missionen im ehemaligen Jugoslawien zur Untersuchung von Massengräbern unterwegs. Wir waren eine international sehr gemischte Gruppe. Wenn sich jemand bei der Arbeit verletzte oder krank wurde, wollten sie alle nur ins Deutsche Feldlazarett. Selbst unsere USUnited States-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen wollten lieber vom Sanitätsdienst der Bundeswehr behandelt werden als im viel näher gelegenen USUnited States-Feldlager.

Ich habe sie dann immer als eine Art Dolmetscher begleitet. Das war mein erster Kontakt zum Sanitätsdienst. Und ich muss sagen: Ich war sehr beeindruckt von der Professionalität und hilfsbereiten Freundlichkeit des gesamten Personals dort. Und die Ausstattung war einfach grandios.

Herr Professor Rothschild, Sie sind ein vielbeschäftigter Rechtmediziner an einer großen Universitätsklinik und Mitglied verschiedener Kommissionen. Seit zehn Jahren sind Sie bereits Mitglied des Wehrmedizinischen Beirats. Erinnern Sie sich noch daran, wie damals der Kontakt zum Wehrmedizinischen Beirat entstand? Was waren Ihre Gedanken und Ambitionen zur Mitarbeit in diesem Gremium?

Ein Mitglied des Wehrmedizinischen Beirats, Prof. Dr. Peer Eysel, der an unserer Uniklinik Leiter der Orthopädie und Unfallchirurgie ist, sprach mich vor etwas über zehn Jahren an, ob ich nicht Interesse an einer Mitarbeit im Wehrmedizinischen Beirat hätte. Ihm war aufgefallen, dass das Fach Rechtsmedizin dort bislang nicht vertreten war. So kam es, dass er mich vorschlug und ich in den Beirat aufgenommen wurde. Die dort erörterten Themen berühren sehr häufig auch rechtsmedizinische Fragestellungen.

Als Rechtsmediziner bin ich ja mit der Forensischen Verletzungskunde eng mit Fragestellungen auch des Sanitätsdienstes verknüpft. Weitere Schwerpunkte unserer Arbeit sind die Identifizierung Verstorbener, die Untersuchung von Unfallopfern auch nach Flugunfällen und Massenereignissen, die Beurteilung von Handlungsfähigkeiten nach erlittenen Verletzungen. Weiter werden wir mit der Untersuchung kontaminierter Leichen konfrontiert. Ich sehe viele Berührungspunkte mit meinem Fach und möchte meine Expertise gerne in den Sanitätsdienst einbringen.

Seit diesem Jahr und der letzten Vollversammlung bringen Sie sich als erster Stellvertreter des Beiratssprechers noch aktiver in den Beirat ein. Was war hierzu Ihre Motivation?

Bislang wurden uns die Themen zur Beratung ja mehr oder weniger vom Sanitätsdienst vorgegeben. Es gibt aber auch immer wieder medizinische Themen aus dem zivilen Bereich, die aus unserer Sicht auch für den Sanitätsdienst relevant sein können oder es vermutlich bald werden. Ich möchte die Themenbearbeitung und unseren Input dahingehend gerne aktiver gestalten.

Der Wehrmedizinische Beirat arbeitet in den letzten Jahren in Arbeitsgruppen an strategisch relevanten Fragestellungen. In welcher Form bringen Sie Ihre fachlich-wissenschaftliche Expertise in den Beirat ein, können Sie uns das kurz schildern?

Ich erinnere mich unter anderem an zwei Themen: Das Erste ist die prophylaktische Vorhaltung sequenzierfähigen Materials von in den Einsatz gehenden Soldatinnen und Soldaten, um im Todesfall umgehend eine gesicherte Identifizierung vornehmen zu können. Damit bekommen vor allem die Angehörigen schnell Gewissheit. Das Zweite Thema ist die Diskussion um die Zurverfügungstellung stimulierender Substanzen an Soldatinnen und Soldaten, damit sie in besonderen Einsatzsituationen längere Zeit wach und verteidigungsfähig überbrücken können, bis sie gerettet werden. Dies sind gute Beispiele für die auch rechtlich und ethisch höchst anspruchsvollen Themen, mit denen wir im Wehrmedizinischen Beirat konfrontiert werden und wo wir von unserer interdisziplinären Expertise zum Wohle des Sanitätsdienstes profitieren.

In welche Richtung kann sich, Ihrer Meinung nach, eine zukünftige Zivil-Militärische Zusammenarbeit entwickeln?

Die Mitglieder des Wehrmedizinischen Beirats kommen überwiegend aus der Universitätsmedizin. Ich denke, dass die Coronapandemie die Leistungsfähigkeit der Universitätsmedizin eindrucksvoll belegt hat. Sowohl bei der Behandlung der an COVID-19Coronavirus Disease 2019 Erkrankten, als auch bei der Entwicklung und schnellen Zurverfügungstellung effektiver Infektionsschutzmaßnahmen und Behandlungsalgorithmen haben die Universitätsklinika eine Vorreiterrolle.

Und auch die universitäre Rechtsmedizin hat schon zu Beginn der Pandemie durch Obduktionen den Zusammenhang zu COVID-19Coronavirus Disease 2019-bedingten Thrombosen aufgezeigt, was frühzeitig in Erkenntnisse zur zielgerichteten Therapie einfloss. Ich gehe davon aus, dass wir in großen Krisensituationen einschließlich im Verteidigungsfall aufeinander angewiesen sein werden. Sanitätsdienst und Universitätsmedizin sollten schon jetzt gut miteinander verzahnt sein und über effektive Traumabehandlungsnetzwerke verfügen. Dasselbe gilt für die Versorgung mit Medikamenten, den Infektionsschutz und weitere medizinische Versorgungs- und Behandlungsthemen.

Nun noch eine Frage – diesmal nicht zur Zukunft, sondern in Rückschau zum Beginn Ihrer ärztlichen Tätigkeit: Was hat Sie dazu bewogen, sich für das zugegebenen Maße doch sehr spezielle Fachgebiet der Rechtsmedizin zu interessieren und letztlich auch zu entscheiden? 

Ich habe das Medizinstudium in der Absicht begonnen, später kurativ tätig zu sein. Ich konnte mir vorstellen, in einem operativen Fach zu arbeiten. Dann lernte ich gegen Ende des Studiums die Rechtsmedizin kennen – und war fasziniert. Ich habe dann zwei Tage nach dem Staatsexamen in der Rechtsmedizin angefangen. Und bis heute hat das Fach für mich nicht an Faszination eingebüßt. Besonders gefällt mir die Interdisziplinarität. Ich hatte schon immer ein Faible für Naturwissenschaften. Die naturwissenschaftliche Kriminalistik gepaart mit Medizin ist extrem spannend. Da unsere Hauptansprechpartner aus dem Bereich des Strafrechts kommen, sind wir natürlich immer mit juristischen Überlegungen konfrontiert, was auch sehr reizvoll ist, da Juristinnen und Juristen oft eine ganz andere Herangehensweise an Fragestellungen haben als wir Medizinerinnen und Mediziner.

Abschließend, Herr Professor Rothschild, was machen Sie als Privatmann, um sich neben Ihren zahlreichen Tätigkeiten zu entspannen?

Ich habe einen Pilotenschein und genieße es sehr, ab und zu mit einer gecharterten Cessna herumzufliegen. Das Fliegen erfüllt mich sehr und macht mir den Kopf frei.

Vielen Dank für das Interview.