Combined Aid 2019: deutsch-chinesisches Teamwork
Combined Aid 2019: deutsch-chinesisches Teamwork
- Datum:
- Ort:
- Feldkirchen
- Lesedauer:
- 5 MIN
Vom 3. bis 17. Juli 2019 übten im niederbayrischen Feldkirchen bei Straubing die Sanitätsdienste der Bundeswehr und der Chinesischen Volksbefreiungsarmee. Nach 2016 trainierten deutsche und chinesische Sanitätssoldatinnen und Sanitätssoldaten bereits zum zweiten Mal miteinander in der Übungsserie Combined Aid.
Die Übung Combined Aid ist einzigartig in der militärischen Zusammenarbeit der beiden Staaten und schafft die Voraussetzungen, um in einem gemeinsamen UNUnited Nations-Einsatzszenario sanitätsdienstlich interagieren zu können. Dieses Jahr sind ein Massenanfall von Verwundeten und eine Cholera-Epidemie das Szenario bei der Übung in Feldkirchen. Gemeinsam trainiert deutsches und chinesisches Medizinpersonal Seite an Seite für den Ernstfall.
Das Ausgangsszenario: Verpackt in mehreren Schiffscontainern wird ein mobiles Rettungszentrum der Bundeswehr über die Weltmeere transportiert und innerhalb von 36 Stunden aufgebaut. Auf einer Fläche von knapp zwei Fußballfeldern steht diese modulare Sanitätseinrichtung. Sie kann je nach Einsatzzweck mit medizinischen Fachabteilungen ausgerüstet und erweitert werden. In 500 Meter Entfernung steht ein Feldkrankenhaus mit ähnlicher Ausstattung.
Humanitärer Hilfseinsatz
Aber deutsch ist hier nicht die Muttersprache. Die chinesische Volksarmee hat mit einem hochmobilen Zeltsystem innerhalb von vier Stunden eine ebenbürtige Einrichtung auf knapp 50 mal 50 Metern errichtet. Insgesamt können hier bis zu 150 Patienten an einem Tag behandelt werden. Zusammen sind beide Nationen für die medizinische Versorgung bei einem humanitären Hilfseinsatz unter Mandat der Vereinten Nationen (UNUnited Nations) verantwortlich.
Im deutschen Rettungszentrum
Kräftige Windstöße lassen an diesem warmen Sommermorgen die durch Alustreben verstärkten Zeltwände des deutschen Rettungszentrums flattern. Oberstabsarzt Jonas Brückner übernimmt gerade mit seinem Team die Schicht. Der junge Arzt mit blondem, gelocktem Haar ist für die nächsten zwölf Stunden in Bereitschaft. Bisher gab es aber keine größeren Zwischenfälle. Nur zwei UNUnited Nations-Soldaten aus dem benachbarten UNUnited Nations-Flüchtlingslager werden am Morgen wegen einer Durchfallerkrankung behandelt.
Der Notruf
Doch dann geht ein Notruf bei der deutschen-chinesisch Operationszentrale (OPZOperationszentrale) ein: Sprengstoffanschlag auf ein ziviles Fahrzeug, acht Verletzte. Innerhalb der OPZOperationszentrale wird sofort der Transport und die Erstversorgung mit Rettungsfahrzeugen koordiniert. In der Notfallaufnahme beider Sanitätseinrichtungen ist jetzt reges Treiben. Einige Minuten später fährt eine chinesische Rettungsambulanz mit Blaulicht aus einer Waldschneise heraus und nimmt Kurs auf Oberstabsarzt Brückner. Vier Tragen und ein Team aus Spezialisten stehen bereit.
Komplexe Verletzungen
Ein zerfetztes Bein, eine Beckenfraktur, Kopftrauma. Unterschiedlichste Verletzungsmuster fordern das Personal. Der junge Arzt checkt den Vitalzustand einer Patientin mit einem Glassplitter im Auge. Atemwege, Atmung, Puls. Sie ist stabil und ansprechbar. „Sofort für den OP vorbereiten“, sagt der Oberstabsarzt und wendet sich danach einem Patienten mit Atemproblemen zu. Er hört den Brustkorb ab: „Spannungspneu, entlasten“!
Thoraxdrainage
Mit einer Kanüle sticht Brückner beherzt in den Brustkorb. Der Überdruck entweicht mit einem Zischen. „Wir müssen eine Thoraxdrainage legen“, woraufhin ihm ein Notfallsanitäter alle notwendigen Instrumente reicht. „That can hurt“, sagt Brückner zu dem Patienten bevor er ihn gezielt mit einem Skalpell in das Rippenfell sticht. Ein Schlauch wird in den Brustkorb eingeführt. Der Patient sackt schmerzentlastet auf der Trage zusammen. Er wird auf der Intensivstation weiter beobachtet.
Der Operationssaal
Danach rennt Brückner in den Operationssaal. Alles ist vorbereitet. Ein Anästhesist leitet die Narkose ein. Der Instrumenteur hat das OP-Besteck bereitgelegt. Dem Oberstabsarzt werden Handschuhe und Kittel angezogen. „Pinzette und Lidhaken“, sagt der nun vermummte Arzt mit Schweiß auf der Stirn. Er beginnt den Glassplitter aus dem Auge des Patienten zu entfernen. Nach erfolgreichem Eingriff unterstützt er seinen Kollegen einen Raum weiter.
Amputation
Dort operiert bereits Oberfeldarzt Dr. Sven Schläfke den Patienten mit dem zerfetzten Bein: „Das muss amputiert werden, es ist nicht mehr zu retten.“ Doch zunächst stoppt er die Blutung. Es riecht nach verbranntem Fleisch. Mit winzigen Elektrostößen verödet der Oberfeldarzt die Arterien des offenen Beinstumpfes. Danach wird der Stumpf steril abgedeckt. Dieser Patient ist jetzt lufttransportfähig und muss sofort in eine Verbrennungsklinik.
Mehr Verwundete als Ärzte
Rettungszentren leisten die erste chirurgische Versorgung, um lebensbedrohliche Zustände zu behandeln. „Blutet der Patient am Arm, binde ich den Arm ab. Blutet er dann nicht mehr, gehe ich zum nächsten Patienten“, sagt Brückner, während er sich den OP-Kittel auszieht, „das ist das Ziel, wenn es im Verhältnis mehr Verwundete als behandelndes Personal vor Ort gibt“.
Cholera
Mehrere Stunden sind seit der Alarmierung vergangen. Doch die nächste Meldung lässt nicht lange auf sich warten: Bei den beiden Durchfallpatienten von heute Morgen wurde die hochansteckende Infektionskrankheit „Cholera“ festgestellt. Man rechnet mit noch mehr Erkrankten. Die OPZOperationszentrale entscheidet: Drei chinesische Internisten wechseln in das deutsche Krankenhaus und unterstützen bei der drohenden Choleraepidemie. Währenddessen wechselt das Team von Oberstabsarzt Brückner in die Notfallaufnahme des chinesischen Krankenhauses.
Das chinesische Feldkrankenhaus
Brückner sitzt in einem UNUnited Nations-Fahrzeug und schaut aus dem Fenster. In der Ferne sieht er eine kleine grüne Zeltstadt mit einem riesigen roten Kreuz aufgedruckt. Bei einer leichten Brise wehen dort die chinesische und deutsche Flagge nebeneinander. „Ich bin gespannt was uns erwartet“, sagt er während er weiter nach draußen sieht.
Deutsch-chinesischer OP
Als er im Eingang des Hospitals steht, blickt er in einen langen, schlauchartigen Gang. In regelmäßigen Abständen sind links und rechts Abgänge in Spezialzelte. Das Operationsteam wird von Lieutenant Colonel Guo Zheng, einem chinesischen Chirurgen, begleitet. Sie gehen durch einen Eingang über dem „Emergency“ steht. Auf den medizinischen Geräten sind chinesische Schriftzeichen. In den folgenden Minuten gibt es eine Einweisung auf Englisch.
MASCALMass Casualty – Massenanfall an Verletzten
MASCALMass Casualty, MASCALMass Casualty, MASCALMass Casualty, dröhnt es in der OPZOperationszentrale. Bei einer Kollision zwischen einem Bus und einem Zug am nahegelegenen Bahnübergang gab es 20 Verletzte. Unter ihnen sind sechs Schwerstverletzte. Da das deutsche Rettungszentrum mit 17 Cholerapatienten ausgelastet ist, bereitet sich die chinesische Seite darauf vor diese Aufgabe zu bewältigen.
Priorisierung
Vor den grünen, chinesischen Zelten sind eine Parkfläche und eine Zone für die Sichtung der Verwundeten. Der Leiter dieses Sichtungsfeldes, Lieutenant Colonel Song Jian, hat insgesamt 16 Soldatinnen und Soldaten zur Verfügung, um die nun in Massen antransportierten Verwundeten entgegenzunehmen. Er entscheidet, welche Patienten im weiteren Verlauf priorisiert behandelt werden. Bei dem ersten Schwerstverletzten lässt er einen Ultraschall machen. Diagnose: Leberriss mit lebensgefährlichen Blutungen.
Patienten unter dem Messer
Oberstabsarzt Brückner übernimmt den Patienten. Gemeinsam mit seinem chinesischen Kollegen bespricht er auf Englisch das weitere Vorgehen. Es muss operiert werden. Im OP-Saal läuft alles routiniert ab. Stille. Nur ein regelmäßiges Piepen der Kontrollgeräte lässt erahnen, dass hier unter sterilen Abdecktüchern Patienten unter dem Messer liegen.
Blutung stoppen
Ein sauberer Schnitt in die Bauchdecke und Brückner kann die gerissene Leber sehen. Zusammen mit seinem Team stoppt er in der fast zweistündigen OP die Blutung. Nachdem die Bauchdecke wieder zugenäht ist, kommt der Patient auf die Intensivstation. In der Zwischenzeit wurden die anderen 19 Verwundeten von den insgesamt 26 chinesischen Ärzten versorgt. Die Situation entspannt sich langsam wieder.