Simultandolmetschen: Hogwarts ist nicht gleich Hogwarts
Simultandolmetschen: Hogwarts ist nicht gleich Hogwarts
- Datum:
- Ort:
- Hamburg
- Lesedauer:
- 4 MIN
Die Oberregierungsrätinnen Bettina Menzel und Jeanne Vogt sind als Konferenzdolmetscherinnen im Bundessprachenamt tätig. Am Tag der Bundeswehr am 8. Juni 2024 geben sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg einen Einblick in ihren Arbeitsalltag.
Sie sind unerlässlich bei internationalen Zusammenkünften, bei denen verschiedene Sprachen gesprochen werden: Konferenzdolmetscherinnen und -dolmetscher. Sie übertragen Redebeiträge mit oft komplexen und technischen Inhalten aus verschiedenen Fachgebieten mündlich von einer Sprache in die andere. Das Simultanübersetzen erfordert ein hohes Maß an sprachlichen Fertigkeiten und geistiger Auffassungsgabe. Wir haben zwei von ihnen zu ihrem außergewöhnlichen Beruf befragt.
Frau Menzel, Frau Vogt, wie wird man Simultandolmetscherin oder -dolmetscher beim Bundessprachenamt und in welchen Sprachen dolmetschen Sie?
Bettina Menzel: Die Ausbildung zur Konferenzdolmetscherin beziehungsweise zum Konferenzdolmetscher – so lautet die offizielle Berufsbezeichnung – erfolgt im Rahmen eines Masterstudiengangs. Die Zulassungsvoraussetzungen zum Master sind ein zuvor durchlaufener Bachelorstudiengang sowie das Bestehen einer Eignungsprüfung.
Jeanne Vogt: In unserem universitären Konferenzdolmetscherstudium haben wir Französisch und Spanisch beziehungsweise Französisch und Englisch studiert. Beim Bundessprachenamt dolmetschen wir vornehmlich aus dem Deutschen ins Französische und aus dem Französischen ins Deutsche.
Bei welchen Anlässen kommen Sie als Simultandolmetscherinnen zum Einsatz?
Bettina Menzel: Unser Referat Sprachmittlerdienst ist beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBwBundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr) in Koblenz verortet. Dieses Amt ist für einen Großteil der Beschaffung der Bundeswehr zuständig. Viele Beschaffungsprojekte werden in Zusammenarbeit mit anderen Ländern durchgeführt. Bei den zugehörigen Besprechungen, Präsentationen und Besuchen dolmetschen wir insbesondere in den Bereichen Vertragsrecht, Technik, Finanzen und vielen anderen mehr. Unser Referat verfügt mit zehn Konferenzdolmetscherinnen und -dolmetschern über den größten Konferenzdolmetsch-Pool der Bundeswehr und unterstützt nicht nur in Koblenz, sondern begleitet Delegationen auch bundesweit sowie im europäischen und außereuropäischen Ausland.
Welche Fähigkeiten werden beim Simultandolmetschen benötigt?
Jeanne Vogt: Das exzellente Beherrschen der deutschen Muttersprache und der Fremdsprachen sowie eine außergewöhnliche Belastbarkeit sind die wichtigsten Voraussetzungen für das Dolmetschen. Zudem ist es unerlässlich, auch den jeweiligen Sprachraum gut zu kennen und idealerweise eine Zeit dort gelebt oder gearbeitet zu haben. Wussten Sie beispielsweise, dass man in Frankreich Hogwarts, die Schule von Harry Potter, nur als Poudlard kennt? Oder wussten Sie, dass es in Großbritannien zu Verwunderung führt, wenn man sagt, „I work in the Home Office“? So nennen die Briten nämlich ihr Innenministerium.
Bettina Menzel: Die Fähigkeit, gleichzeitig dem Redner zuzuhören, das Gesagte mündlich in die andere Sprache zu übertragen und dabei permanent den eigenen „Output“, also das simultan Gedolmetschte, zu kontrollieren, stellt eine weitere wesentliche Anforderung dar. Konferenzdolmetscherinnen und -dolmetscher sollten außerdem eine umfassende Allgemeinbildung und ein überdurchschnittliches Interesse an einer Vielzahl von Themen und Fachgebieten haben. Wir müssen sehr schnell reagieren können und flexibel sein. Besuchsprogramme können sich jederzeit ändern und bei Reisen kann es zu Streiks, Verspätungen und anderen Überraschungen kommen. Last but not least: Teamgeist. Konferenzdolmetscherinnen und -dolmetscher arbeiten aufgrund der enormen Konzentrationsanforderungen immer mindestens zu zweit.
Wie bereiten Sie sich auf einen Simultandolmetsch-Auftrag vor und wie funktioniert eigentlich das Simultandolmetschen?
Jeanne Vogt: Eine gute Vorbereitung ist für jeden Auftrag definitiv unabdingbar. Schritt eins ist die intensive inhaltliche Einarbeitung. Schritt zwei ist das Erarbeiten und anschließende Lernen des dazugehörigen Fachvokabulars. Beim Simultandolmetschen hören wir dem Redner oder der Rednerin zunächst ein paar Sekunden zu, bevor wir anfangen, das Gesagte in die andere Sprache zu übertragen. In der Fachsprache nennen wir diesen zeitlichen Abstand „Décalage“. Denn wir müssen zunächst einmal inhaltlich verstehen, was ausgedrückt werden soll.
Bettina Menzel: Das Dolmetschen aus dem Deutschen in die Fremdsprache ist insofern besonders, als im Deutschen das Verb oder die Verneinung oft erst ganz am Ende des Satzes kommen. In der Fremdsprache müssen wir dies hingegen schon recht früh in den Satz einbauen. Dann „zerlegen“ wir den langen Satz in viele kurze Sinneinheiten und können das Problem mit dieser Technik lösen.
Wie gehen Sie mit schwierigen oder überraschenden Situationen während des Dolmetschens um?
Jeanne Vogt: Grundsätzlich gilt immer: Ruhe bewahren. Redner und Rednerinnen können zum Beispiel sehr schnell sprechen oder sich gegenseitig ins Wort fallen. Oder manchmal kommt es zu akustischen Problemen: Die Lautstärke kann zu gering sein, Störgeräusche können auftreten, das Mikrofon wurde nicht eingeschaltet. Wir geben dann das wieder, was wir gehört haben, und machen darauf aufmerksam, dass die akustischen Bedingungen nicht optimal sind. Schwierige und überraschende Situationen können also immer wieder auftreten. So kann es während eines Dolmetsch-Einsatzes passieren, dass etwas völlig Unerwartetes angesprochen wird, wie zum Beispiel das Fußballtor des Monats. In einer solchen Situation müssen wir sehr spontan reagieren.
Bettina Menzel: Sprichwörter und Redewendungen sind ganz besonders herausfordernd, weil sie für den Sprachraum beziehungsweise das Land typisch sind: Während die Deutschen Eulen nach Athen tragen, wird in Frankreich Wasser zum Fluss und in Großbritannien Kohle nach Newcastle gebracht. Da muss uns in der extrem kurzen Zeit unter Druck die idiomatische, also die regionale beziehungsweise soziale spracheigentümliche Entsprechung einfallen. Diese Unvorhersehbarkeit aber macht unseren Beruf so wundervoll einzigartig.