Stresstest für fast 400 Soldatinnen und Soldaten in Nordrhein-Westfalen
Stresstest für fast 400 Soldatinnen und Soldaten in Nordrhein-Westfalen
- Datum:
- Ort:
- Nordrhein-Westfalen
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- 5 MIN
In allen fünf Regierungsbezirken trainierten rund 60 Verbindungskommandos den Ernstfall: Eine anfangs überschaubare Unwetterlage eskaliert, dazu brauchen alliierte Streitkräfte Unterstützung und auch eine Evakuierung von Personen ist nötig.
In allen fünf Regierungsbezirken Nordrhein-Westfalens probte das Landeskommando der Bundeswehr kürzlich den Ernstfall. Rund 60 Verbindungskommandos simulierten über mehrere Wochen verschiedene Krisensituationen – von eskalierenden Unwettern über militärische Unterstützungseinsätze bis hin zu Evakuierungen. Über vier Freitage hinweg wurden die Szenarien durchgespielt – beginnend am 14. März 2025 im Regierungsbezirk Arnsberg, anschließend in Düsseldorf und Köln, den Abschluss bildeten Münster und Detmold am 4. April. Das Ziel war, die reibungslose Zusammenarbeit von Bundeswehr und zivilen Behörden im Katastrophenfall zu testen.
Hochwasser, Truppenbewegungen und technische Hilfe
Das Szenario der Übung hatte es in sich: Anhaltender Starkregen führt zu steigenden Pegeln, aufgeweichten Dämmen und einer drohenden Überflutung. Die betroffenen Kommunen bitten um die Unterstützung der Bundeswehr über die Amts- und Katastrophenhilfe. Zeitgleich verlegen Streitkräfte befreundeter Nationen über die Drehscheibe Deutschland quer durch Nordrhein-Westfalen. Ihr Ziel ist die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke, zur Rückversicherung der osteuropäischen NATONorth Atlantic Treaty Organization-Bündnispartner. Die Bundeswehr unterstützt die alliierten Kräfte mit Verkehrsplanung und -leitung, aber auch mit Rastpunkten, Treibstoff und Verpflegung. Ein 50-Tonnen-Fahrzeug der USUnited States-Armee bleibt liegen – die Autobahn ist gesperrt, eine Reparatur vor Ort nicht möglich. Parallel müssen 100 Soldatinnen und Soldaten beim Bau eines Deichs einspringen, um eine weitere Überflutung zu verhindern. In den Verbindungskommandos laufen derweil die Telefone heiß, ständig treffen neue Informationen ein, Lagekarten werden aktualisiert.
Zivil-militärische Schnittstelle für schnelle Hilfe
Die Koordination solcher komplexer Einsatzlagen ist Aufgabe der Bezirks- und Kreisverbindungskommandos, die zu den Landeskommandos der Bundeswehr gehören. Die Kreis- und Bezirksverbindungskommandos fungieren dabei als Schnittstelle zwischen zivilen Akteuren und der Bundeswehr. Im Schwerpunkt sind dort Reservistinnen und Reservisten tätig, die im Bedarfsfall kurzfristig aktiviert werden. Die Unterstützungsleistungen in einem Bundesland – wie während der Flutkatastrophe im Ahrtal oder der Corona-Pandemie – koordiniert das jeweilige Landeskommando. Informationen über die Situation direkt in der betroffenen Region liefern die Verbindungskommandos. Dazu beraten die Soldatinnen und Soldaten die Kreise, kreisfreien Städten und Bezirke, wie die Bundeswehr in einer Katastrophe überhaupt helfen kann.
Leiter des Bezirksverbindungskommandos (BVKBezirksverbindungskommando) Köln ist Oberst Stephan P. In ganz Nordrhein-Westfalen gibt es fünf dieser Bezirksverbindungskommandos. Der Unterschied zu den 54 Kreisverbindungskommandos (KVKKreisverbindungskommando)? Oberst P. erklärt: „Die Kreisverbindungskommandos sind uns nicht unterstellt, wir sind ihnen nicht vorgesetzt. Wir sind auf gleicher Ebene und sollen die KVKs im Regierungsbezirk koordinieren – im Rahmen der Ausbildung und von Notlagen.“ Wann kommt das BVKBezirksverbindungskommando dann zum Einsatz? „Wenn eine Hochwasserlage - wie wir sie jetzt ansatzweise üben - so stark ist, dass sie in mehr als zwei Landkreisen oder kreisfreien Städten auftritt. Dann ist das BVKBezirksverbindungskommando das Kommando, das den Regierungspräsidenten berät. Beschränkt sich die Situation auf einen Landkreis oder eine Stadt, ist nur das Kreisverbindungskommando zuständig und wir werden als BVKBezirksverbindungskommando nur informiert.“
Regional verbunden und vernetzt
Brigadegeneral Hans-Dieter Müller, Kommandeur des Landeskommandos Nordrhein-Westfalen, betont die Bedeutung der Verbindungskommandos: „Diese Soldatinnen und Soldaten sind eng mit den zivilen Akteuren in ihrer Region vernetzt, kennen jede Ecke ihrer Heimat bestens und sind sowohl mit den kommunalen Politikern als auch mit den im Katastrophenschutz agierenden Blaulichtorganisationen in engem Austausch. In einer realen Krise sind diese kurzen Wege entscheidend. Dazu bekommen ich und mein Stab im Landeskommando in Düsseldorf über die Verbindungskommandos ein Bild von der Lage vor Ort. Die Verbindungskommandos sind meine Augen in die Fläche.“
Auch Oberstleutnant David L. (42), seit 2016 Verbindungsoffizier im Kreisverbindungskommando Bergisch Gladbach und im zivilen Beruf ITInformationstechnik-Berater, begründet sein Engagement als Reservist mit der regionalen Verknüpfung: „Für mich ist es eine Reserveverwendung, die unmittelbar mit meiner Region, mit meinem Wohnort verbunden ist. So sehe ich einen unmittelbaren Nutzen.“
In der Krise Köpfe kennen
Ein konkretes Beispiel aus der Übung: In Warendorf muss ein liegen gebliebenes Militärfahrzeug abgeschleppt werden. Gleichzeitig benötigen die Soldatinnen und Soldaten eine Unterkunft. Das lokale Verbindungskommando prüft Lagekarten, kontaktiert Abschleppdienste und sucht nach nahegelegenen Kasernen. Gleichzeitig verschärft sich die Hochwasserlage: Ein Seniorenheim muss evakuiert werden. Die Verbindungskommandos behalten den Überblick, stimmen sich mit zivilen Blaulichtorganisationen wie Technischem Hilfswerk und Feuerwehr sowie anderen Behörden ab.
Stabsfeldwebel Sascha B. vom Bezirksverbindungskommando Köln kennt solche Situationen aus der Realität. Nach seiner Dienstzeit als Zeitsoldat – zuletzt bei der Panzerbrigade 21 – folgten zwei Jahre Bundeswehrpause. Dann machte ihn der stellvertretende Leiter auf das Verbindungskommando aufmerksam. Zivil ist B. Prüfingenieur bei der VdS Schadensverhütung in Köln: „Ich prüfe Fenster, Türen, Schlösser und auch Hochwasserschutzsysteme.“ Top Fachwissen, wovon wieder das Verbindungskommando profitieren kann.
B. erzählt: „2021 war ich während des Hochwassers im Einsatz.“ Der 43-Jährige bewegte kein schweres Gerät, sondern ging zur Bezirksregierung Köln. Hier hat das Verbindungskommando auf dem Flur des Dezernats 22/Gefahrenabwehr ein Büro: „Gegen 7.00 Uhr haben wir den Dienstbetrieb aufgenommen, waren die folgenden Tage im Schichtbetrieb 24 Stunden im Einsatz.“
In solchen Momenten ist es entscheidend, dass sich die Akteure kennen. „Wir treffen uns regelmäßig mit dem THWTechnisches Hilfswerk oder dem Katastrophenschutz. Auch Vor-Ort-Erkundungen von kritischer Infrastruktur machen wir gemeinsam mit den zivilen Partnern.“ Netzwerken, kennenlernen, vor der Krise Köpfe kennen – das ist der Auftrag dieser Reservistinnen und Reservisten. Mit ihrem Wissen und ihren Kontakten sind sie das Bindeglied zwischen der zivilen und militärischen Seite.