U-Boot-Schüler: Bereit zum Abtauchen
U-Boot-Schüler: Bereit zum Abtauchen
- Datum:
- Ort:
- Berlin
- Lesedauer:
- 6 MIN
Auf einer zweiwöchigen Schülerfahrt lernen angehende Wachoffiziere, wie man ein U-Boot manövriert. Das Training an Bord eines Bootes der Klasse 212A verlangt den jungen Kandidaten alles ab. Wer hier durchfällt, bekommt keine zweite Chance.
„Mann über Bord!“ Langsam dirigiert Patrick Mundstock die 56 Meter lange „U31“ an den Kameraden im Wasser heran. Das 1.500 Tonnen schwere U-Boot der Klasse 212A soll zum Stehen kommen, wenn sich der Verunglückte seitlich des Buges befindet. Er darf dabei auf keinen Fall angefahren werden, das könnte tödlich sein. Trotzdem muss der Oberleutnant zur See das Boot so schnell wie möglich in die richtige Position bringen, um den über Bord Gegangenen sicher aufnehmen zu können. Zum Glück ist das Wetter gut – und zum Glück ist es dieses Mal nur eine Übung. Eine Boje stellt den Verunglückten dar. Im Ernstfall würde jetzt ein Rettungsschwimmer an einer Leine ins Wasser springen und den Mann herausholen.
Bei Mundstock hat das Manöver schon ganz gut geklappt, die Bedingungen sind aber auch ideal. Neben dem Manöver ging es darum, sich an das Handling des U-Bootes zu gewöhnen, während der sogenannten Seewache Fahrpraxis zu bekommen. Das Boot ist aufgetaucht, Mundstock steuert es, natürlich unter Aufsicht, von der Brücke aus.
„Die Jungs sollen in diesem Stadium das Boot kennenlernen, sie sollen die Stoppstrecken einschätzen können und wissen, wie das Boot manövriert“, erläutert Korvettenkapitän Rudolf Lenthe. „Im Ernstfall geht der Mann wahrscheinlich im Sturm oder bei Nacht über Bord, da sieht die Sache dann schon anders aus“, sagt der Kommandant von „U31“.
Oberleutnant zur See Mundstock ist einer von vier angehenden Wachoffizieren (WOWachhabender Offizier), die im polnischen Hafen Gdynia an Bord gegangen sind – zur zweiwöchigen Schülerfahrt. Ein Jahr lang wurden die jungen Marineoffiziere am Ausbildungszentrum Uboote in Eckernförde theoretisch und am Simulator ausgebildet. Die Schülerfahrt ist ihre Abschlussprüfung. Dabei müssen die Kandidaten beweisen, dass sie fähig sind, ein U-Boot der Klasse 212A als Wachoffizier alleine zu fahren.
Nur Teamplayer sind geeignet
„Wichtig ist, an die Sache positiv heranzugehen, mit Optimismus und dem Willen, U-Boot-Fahrer zu werden“, sagt Fregattenkapitän Manfred Grabienski, der Leiter des Ausbildungszentrums. Grabienski ist auf dem Bergungsschlepper „Fehmarn“ eingeschifft, der „U31“ in den kommenden zwei Wochen als Übungspartner begleiten wird. Wille und Motivation allein reichten aber nicht, so Grabienski. Der Kandidat muss den Stoff der bisherigen Ausbildung beherrschen und anwenden können, zum Beispiel nautische Gesetzeskunde, Navigation, die schiffsbetriebstechnischen Anlagen und taktisch-operative Verfahren.
„Daneben geht es vor allem um die Eignung des jungen Offiziers als Teamplayer“, erläutert Grabienski. „Er muss geeignet sein, als Teil einer U-Boot-Besatzung seinen Beitrag zum Teamerfolg zu leisten, auch unter Stress oder Schlafentzug. Das sind die Dinge, die wir hier sehen wollen.“ Im Gegensatz zur landgestützten Ausbildung könne man hier nicht flüchten. Und früher oder später kämen die Schüler auch mal an ihre Leistungsgrenze.
Schon beim eintägigen Transit von Gdynia ins Übungsgebiet östlich der Insel Bornholm erlebt Patrick Mundstock den Unterschied zwischen Theorie und Praxis: „Das sind jetzt ganz andere Faktoren“, sagt er. „Allein die Dynamik, die mit der Bewegung in das Boot kommt. Man muss mit den Menschen an Bord, mit der Besatzung auskommen. Das ist was komplett anderes als im Simulator.“
Am nächsten Morgen müssen die Schüler in der Zentrale des U-Bootes antreten. Auf dem Programm steht der taktische Umgang mit dem Sehrohr: ausfahren, sich bei einem 360-Grad-Schwenk einen Überblick verschaffen – und das alles möglichst schnell. Je länger ein Sehrohr aus dem Wasser ragt, desto größer ist die Gefahr, dass es mit Radar oder von einem Ausguck geortet wird. Fregattenkapitän Ralph Tastl ist als Prüfstabsoffizier auf dem Boot eingeschifft. Er weiß, dass die Schüler unter enormem Druck stehen: „Es gibt nur eine Chance. Wenn einer in diesen zwei Wochen durchfällt, war‘s das.“
Die Enge muss man aushalten
Auf Patrick Mundstock wartet eine weitere Übung mit der „Fehmarn“: Der Schlepper und „U31“ fahren frontal aufeinander zu. Sobald der Sicherheitsabstand von 800 Metern erreicht ist, soll „U31“ auf 40 Meter Tiefe gehen, unter der „Fehmarn“ hindurchtauchen und nach weiteren 800 Metern wieder auftauchen. Die Herausforderung für die Schüler ist, die Punkte, an denen getaucht und aufgetaucht wird, möglichst präzise einzuhalten, ohne dabei das Boot zu gefährden. Um hier zu bestehen, muss man ein sehr gutes räumliches Vorstellungsvermögen haben.
Doch bei den ersten Durchgängen glänzt keiner der Kandidaten. Sie haben Probleme mit dem Periskop, wenn zum Beispiel Wasser über die Linse kommt oder gleißende Sonne auf der Meeresoberfläche zu Reflexionen führt. Die Entfernungsmessungen der Schüler sind viel zu ungenau, die Prüfer sind unzufrieden.
Alle vier Kandidaten bekommen daraufhin eine Aufgabe. Sie sollen sich mit dem Periskop und dessen Einstellungen besser vertraut machen – und zwar in der Mittagspause. Die ohnehin schon knappe Pause fällt somit entsprechend kurz aus. Dabei müssen die WOWachhabender Offizier-Schüler in der Messe außerdem servieren und das Geschirr abspülen. Mundstock nimmt es mit Humor: „Da kann ich mich mal für zehn Minuten entspannen“, sagt er beim Abtrocknen. Gleich darauf geht es weiter, alle vier Kandidaten müssen nacheinander wieder ans Periskop und die Übung mit der „Fehmarn“ fahren.
„Gucken, was machen – gucken, was machen. Kein Sehrohrtourismus“, mahnt der Kommandant, wenn einer der WOWachhabender Offizier-Schüler zu lange am Periskop braucht. Im Laufe des Tages bekommen es die jungen Offiziere aber immer besser hin. Die Entfernungsmessungen werden genauer.
Die Lernkurve zeigt nach oben
„Sie sind der Einzige, der hier zum Fenster raussieht, arbeiten sie also präzise“, mahnt Prüfer Tastl. „Die Besatzung verlässt sich auf Ihre Beobachtungen.“ Zwar machen Mundstock und seine Kameraden immer noch Fehler, aber die Lernkurve zeigt nach oben, und genau das wollen die Prüfer sehen. Tastl ist zufrieden: „Das war schon ganz anständig, darauf kann man aufbauen.“
Neben den Sehrohrübungen und der Seewache prägt der sogenannte Schülerordner den Tag der WOWachhabender Offizier-Schüler. Der Ordner ist eine Art Aufgabenheft, das die jungen Offiziere durcharbeiten müssen. Ein U-Boot ist ein extrem komplexes technisches System, dementsprechend umfangreich ist der Lernstoff. Bei jeder Gelegenheit lassen sich die Schüler von den jeweiligen Abschnittsleitern über die Schiffstechnik einweisen, denn auch das wird während der Schülerfahrt ständig abgeprüft.
Zwei Wochen lang geht das so: Stress und Schlafentzug, lernen und Prüfungen. Eine Zeit, in der mancher an seine Leistungsgrenze kommt. „Man wird hier häufig in Situationen kommen, in denen man sich fragt, warum man sich das antut“, erzählt Manfred Grabienski. „Aber dann ist eben der Biss gefordert, das Lehrgangsziel erreichen zu wollen und U-Boot-Fahrer zu werden.“
Am Ende haben es drei der vier Kandidaten geschafft, unter ihnen Patrick Mundstock. Zwei Wochen Prüfungsstress haben Spuren hinterlassen. Die angehenden Wachoffiziere sind erschöpft, als sie in Eckernförde einlaufen. Aber Motivation und Leistungsbereitschaft haben sich gelohnt: Die drei wissen, dass sie jetzt dazugehören. Und bald werden sie die alten Hasen sein.
Dieser Beitrag ist eine Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung. Das Original ist in der Ausgabe 1/2019 der „Y – Magazin der Bundeswehr“ erschienen.