Zu Besuch beim Seebataillon: Angehende Medizinerinnen und Mediziner lecken Blut
Zu Besuch beim Seebataillon: Angehende Medizinerinnen und Mediziner lecken Blut
- Datum:
- Ort:
- Eckernförde
- Lesedauer:
- 5 MIN
Auf dem Übungsgelände der Marineinfanteristen, direkt an der Eckernförder Bucht, erleben angehende Ärztinnen und Ärzte der Bundeswehr ein paar fordernde, aber auch lehrreiche Tage. Sie lernen die Arbeit bei der Marine kennen und können ihre Fähigkeiten in der taktischen Versorgung von Verwundeten unter Beweis stellen.
Die Sanitätsoffizieranwärterinnen und -anwärter, die auch SanOAs genannt werden, haben sich während ihrer Semesterferien für ein viertägiges Ausbildungsprogramm bei der Marine entschieden. Bereits zum sechsten Mal bietet die Abteilung Marinesanitätsdienst des Marinekommandos in Rostock ein Ausbildungswochenende für angehende Humanmediziner an. Durch die zentralisierte Ausbildung im Sanitätslehrregiment in Feldkirchen haben die Studierenden während ihres sechsjährigen Medizinstudiums sonst keine großen Berührungspunkte mit der Truppe.
„Die SanOAs haben während ihres Studiums keinen Bezug zur Marine, oder gar zur Truppe im Allgemeinen. Wir möchten das mit unserem Programm ändern“, sagt Flottillenarzt Nadine A. Sie ist Leiterin des Dezernats Einsatzplanung und Einsatzführung im Marinesanitätsdienst und Initiatorin des Ausbildungswochenendes, das sie auch „Marineschnupperkurs“ nennt.
Flotillenarzt A. ergänzt: „Wir möchten den Studierenden zeigen, was die Marine ist, wie es in ihr aussieht, welche Möglichkeiten sie bei uns haben.“ Sie möchte, dass auch in Zukunft die Arztdienstposten in der Marine gut nachbesetzt werden. „Dieses Jahr hatten wir ein sehr großes Interesse an dem Ausbildungswochenende. 34 SanOAs haben sich freiwillig gemeldet, um sich in ihrer freien Zeit fortzubilden und die Marine zu erleben. Sie hätten auch einfach zu Hause bleiben und ihre Freizeit genießen können. Dass sie sich freiwillig für die Ausbildungstage bei uns gemeldet haben, rechne ich allen sehr hoch an“, so die Leiterin.
Die Standorte und Spezifikationen variieren dabei jährlich. So fanden in der Vergangenheit bereits Ausbildungen auf den Fregatten in Wilhelmshaven und an der Marinetechnikschule in Parow bei Stralsund statt.
Einer der diesjährigen Sanitätsoffizieranwärter, Leutnant zur See Jannik S., sagt: „Ich trage bereits einen Marinedienstgrad, hatte aber bisher keine Berührungspunkte mit der Marine.“
S. studiert im fünften Studienjahr Humanmedizin an der Universität von Lübeck und ist kurz vor seinem zweiten Staatsexamen. Die Universitäten der Bundeswehr in München und Hamburg bieten keine medizinischen Studiengänge an. Alle angehenden Bundeswehrärztinnen und -ärzte studieren an zivilen Universitäten.
„Ich bin sehr froh, nach der Grundausbildung mal wieder Kameradschaft zu erleben und vor allem einen Einblick in die Marine zu bekommen. In meiner Uni sind sonst nur sehr wenige Soldaten“, so Leutnant zur See S.
Seefahrer aus Tradition
Seine Begeisterung für die Seestreitkräfte ist ihm schon in die Wiege gelegt worden: „Mein Großvater war bereits Seefahrer bei der Marine. Er fuhr auf dem Zerstörer ‚Bayern‘ und jetzt möchte ich selbst gern Schiffsarzt oder Arzt in der Sanitätseinsatzgruppe des Seebataillons werden.“ Arzt auf einem Kriegsschiff zu sein, ist sehr speziell. Krankenhäuser mit großen Untersuchungsgeräten und Fachärzten können während einer Seefahrt sehr weit entfernt sein und so für die Versorgung nicht zur Verfügung stehen.
„Die Seefahrt reizt mich schon sehr“, sagt Jannik. „Vor allem, dass ich dort allein Entscheidungen treffen kann und muss. Und natürlich auch die typischen Seemannsmythen, die Romantik und einfach die Möglichkeit, viel von der Welt zu sehen.“
Während der ersten zwei Ausbildungstage bereiten sich die angehenden Medizinerinnen und Mediziner für den Übungsplatz vor und erhalten Informationen über ihre Möglichkeiten in der Marine. Auf dem Übungsgelände direkt an der Eckernförder Bucht lernen sie dann unter anderem das Sanitätsfahrzeug Eagle IV BATBeweglicher Arzttrupp und den Krankenkraftwagen – auch als Zwotonner bekannt – des Seebataillons kennen. Sie richten ein Lager ein, das später als Dreh- und Angelpunkt für die Versorgung der Verwundeten während der großen Abschlussübung dient. Am Strandabschnitt des Geländes üben sie anschließend die taktische Verwundetenversorgung unter Feindkontakt.
Kunstblut und Geschrei bei der Abschlussübung
In einer umfassenden Abschlussübung stellen die Ausbilder alle zuvor gelernten Übungsabschnitte nochmal in einer großen Gesamtlage dar.
Mehr als drei Stunden erreichen schnell anfahrende Fahrzeuge mit Verwundeten den Sammelpunkt, nachdem sie sich vorab über Funk angemeldet hatten. Alle 15 bis 20 Minuten kommen neue Verwundete an. Die angehenden Mediziner müssen die Verletzten – oft schreiend und stark blutend – sofort gemäß ihren Wunden einteilen und versorgen. Die erste Versorgung muss sehr schnell erfolgen. Darum ordnen die SanOAs die Verwundeten in vier Kategorien ein – sprich, sie nehmen eine Triage vor. Durch sie lassen sich Zeit und Ressourcen sparen, um so viele Menschen wie möglich zu retten.
Train as you fight
Jeweils ein Ärzteteam, bestehend aus zwei SanOAs, versorgt die Patienten. Schutzweste und Helm ablegen, den gesamten Körper auf Wunden kontrollieren und diese dann versorgen sowie immer wieder die Vitalfunktionen überprüfen. Die Ausbilder und langjährig praktizierende Ärztinnen und Ärzte schauen den SanOAs dabei genaustens zu, kontrollieren die einstudierten Abläufe und teilen ihre Erfahrungen aus der Berufspraxis. Trotz des Stresses hält sich die Aufregung in Grenzen. Alle arbeiten sehr konzentriert und professionell.
Nachdem der Gruppenführer einen guten Überblick über die Verletzten hat, setzt er über Funk einen sogenannten Nineliner an den BATBeweglicher Arzttrupp ab. Der Nineliner ist ein Meldeverfahren, in dem die neun wichtigsten Informationen zur Abholung von Patientinnen und Patienten zusammengefasst sind.
Gegen 23:00 Uhr endet die Übung. Alle Soldatinnen und Soldaten sind vom starken Regen an diesem Tage bis auf die Knochen durchnässt. Die abfallende Anspannung steht den Anwärterinnen und Anwärtern ins Gesicht geschrieben und sie freuen sich wieder trockene Uniformen anziehen zu können. Die Ausbilder sind mit den Leistungen und dem Engagement äußerst zufrieden.
Den Abschluss des Marinebesuchs bildet das Abseilen vom zwölf Meter hohem Übungsturm in der Kaserne des Seebataillons in Alt Duvenstedt. Das Abseilen, das in der Bundeswehr auch „Fast Roping„ genannt wird, ist die schnellste und manchmal auch die einzige Variante, um Personen aus einem Helikopter auf ein Schiff zu bekommen. Dabei hängt ein dickes Seil vom Helikopter bis auf den Boden. Ärztliches Personal kann sich so auf ein Schiff mit Verunglückten abseilen und schnell Erste Hilfe leisten.
Für Leutnant zur See S. sind die Tage bei der Marine ein voller Erfolg: „Das Ausbildungswochenende ist wirklich top organisiert. Die Ausbilder sind super und können äußerst gut auf unsere verschiedenen Ausbildungsstände eingehen.“
Auch Flottillenarzt Nadine A. zieht nur Positives aus dem Wochenende: „Die Resonanz von der diesjährigen Ausbildung ist wirklich sehr gut. Ich freue mich schon jetzt, wenn mich einige SanOAs gleich nach dem Wochenende wieder anrufen und nach den nächsten Terminen fragen.“