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Seefernaufklärer: Plädoyer fürs Maritime Patrol Aircraft

Bemannte Langstrecken-Aufklärungsflugzeuge sind unverzichtbar für moderne Seestreitkräfte. Ein Fachbeitrag von Thorsten Bobzin

Ein hellgraues viermotoriges Propellerflugzeug im Flug vor grauem Himmel.

Einführung

Ich bin Bordhubschrauberpilot. Und als solcher natürlich davon überzeugt, dass es nichts Wichtigeres gibt. Auch ließen sich viele Operationen, die wir für das internationale Krisenmanagement mit dem Langstreckenflugzeug P-3C Orion erfüllen, vordergründig auch von günstigeren, unbemannten Systemen übernehmen. Wieso also halte ich hier ein Plädoyer für die Seefernaufklärung mit großen Flugzeugen? Weil sie wesentlich für die Durchschlagskraft einer modernen Marine ist.

Eine Begriffsklärung vorweg: Eigentlich ist das Wort „Seefernaufklärer“ irreführend, suggeriert es doch, es ginge nur um die weiträumige Informationsgewinnung über See. Dabei können die so bezeichneten Luftfahrzeuge weit mehr. Um dies zu verdeutlichen, gab die Fachwelt solchen Flugzeugen immer wieder neue Namen, um verschiedene Fähigkeiten zu betonen.

Der passendste Begriff ist vermutlich Maritime Airborne Warfare System (MAWS). Ins Deutsche übersetzt sich das ungefähr mit „luftgestütztes maritimes Kampfsystem“, also ein Flugzeug, das sich für verschiedene Aspekte der Seekriegführung eignet. Da MAWS jedoch für ein einzelnes konkretes deutsch-französisches Rüstungsprojekt steht, bleibe ich hier der Einfachheit halber beim geläufigsten englischsprachigen Begriff: Maritime Patrol Aircraft, kurz MPA.

1. Der perfekte U-Boot-Jäger

Schwarzweiß-Aufnahme eines U-Boots an der Wasseroberfläche; im Wasser weiße Spitzer von einschlagenden Geschossen.

Sie waren und sind die größte Gefahr für die Handelsschifffahrt: U-Boote. Dieses deutsche Boot der Klasse VIIC der Kriegsmarine wurde 1944 von einem australischen Seefernaufklärer versenkt.

Imperial War Museum
Schwarzweißaufnahme eines hellen viermotorigen Propellerflugzeugs.

Ein Vorfahre moderner Maritime Patrol Aircraft: ein Flugboot Sunderland Mk V der britischen Luftwaffe. Flugzeuge wie dieses besiegten die U-Boot-Rudel in der Schlacht im Atlantik.

Royal Air Force

MPAs wurden ursprünglich während des Zweiten Weltkriegs als verlängerter Arm von Kriegsschiffsverbänden konzipiert. Sie halfen dabei, dass alliierte Truppen und Nachschub geschützt vor der latenten U-Boot-Bedrohung des Gegners Europa erreichen konnten. Während des Krieges war dieser Gegner Deutschland, später im Kalten Krieg war der potentielle Feind der Warschauer Pakt.

Darüber hinaus sollten diese Flugzeuge in Meeren, die an das eigene Hoheitsgebiet grenzen, U-Boote im Verbund oder eigenständig aufspüren, um die Seewege für eigene und verbündete Marinen wie die Schifffahrt frei zugänglich zu halten.

Der richtige Waffenmix: Torpedos und Wasserbomben

Noch heute bringen MPAs die notwendige Geschwindigkeit, Reichweite und Ausdauer beziehungsweise Stehzeit mit, um ein Einsatzgebiet schnell zu erreichen und auch lange dort bleiben zu können. Mit ihren auf die U-Boot-Jagd spezialisierten Sensoren können sie sowohl konventionelle als auch nuklear betriebene U-Boote aufspüren und bei Bedarf mit eigenen Mitteln bekämpfen. Dies geschieht heutzutage noch immer so, wie es in den 1940ern anfing: mit Torpedos oder Wasserbomben.

Unter dem Rumpf eines Flugzeugs sind zwei große Klappen geöffnet; darunter eine kleine Hebebühne, auf ihr ein Torpedo.

Der Waffenschacht einer P-8 Poseidon der USUnited States Navy: Gerade ihre Größe macht MPAs so flexibel. Sie können außer Torpedos, Wasserbomben, Seeminen und viele verschiedene Arten von See-, Land- und Luftzielflugkörpern laden.

US Navy/Kevin A. Flinn

Es mag anachronistisch scheinen, aber Wasserbomben haben weiter ihre Daseinsberechtigung, sind sie doch anders als ein Torpedo skalierbar einsetzbar: Das heißt, nicht direkt auf ein U-Boot abgeworfen oder nur in seine Nähe können sie als Warnung dienen. Auch sind sie im Flachwasser einsetzbar, dort, wo der Abwurf eines Torpedos nicht möglich ist.

Seit dem ursprünglichen Einsatzkonzept hat sich Einiges verändert. Der Zerfall des Warschauer Pakts und das Ende des Kalten Krieges bedeuteten zugleich den Wegfall einer perzipierten Gefahr von Angriffen durch Unterseeboote, die mit ballistischen Atomraketen bestückt waren. In den 1990er Jahren stellte die russische Marine Dutzende ehemals sowjetische Raketenboote außer Dienst und ließ kaum neue bauen.

MPAs seit Ende des Kalten Krieges

Viele Nationen haben daher die MPA-Fähigkeiten eingespart, die sie für die Aufklärung solcher U-Boote gebraucht hatten, oder auf kleinere, günstigere Flugzeugmuster mit deutlichen Einbußen bei Reichweite, Stehzeit, Sensorik und Bewaffnung gesetzt. Im Nordseeraum etwa stellten Großbritannien und die Niederlande ihre leistungsfähigen MPA-Flotten außer Dienst.

Zwei große, olivfarbene Düsenflugzeuge im Parallelflug.

Zwei Nimrod R1 der Royal Air Force. 2010 stellten die britischen Streitkräfte dieses MPA außer Dienst, ein Nachfolger war vor allem wegen fehlender Finanzierung nicht bestellt worden.

Crown Copyright/Ministry of Defence

Jetzt, 30 Jahre nach dem Mauerfall, sind MPAs im Nordatlantikbündnis eine rare, aber überaus begehrte Ressource – sie sind ein sogenannter NATONorth Atlantic Treaty Organization shortfall. Denn weltweit steigt inzwischen die Anzahl gerade von konventionellen Unterseebooten und Nationen modernisieren ihre Flotten.

Schon wenige, relativ günstige konventionelle U-Boote sind ein wertvolles strategisches Mittel. Das Vorhandensein eines einzelnen U-Boots in einem großen Operationsgebiet, ist ein Risiko, dass keine Nation für Hochwerteinheiten seiner Marine oder die der zivilen Schifffahrt akzeptieren möchte. Schiffe wie Flugzeugträger oder Militärtransporter, Frachter oder Tanker sind seit den 1940ern, und auch seit den 1980ern, immer größer und seltener geworden – und damit als einzelnes Ziel immer wertvoller.

Auch Taktiken haben sich weiterentwickelt. In Kriegsfilmen sieht man immer, wie der Zerstörer auf die Position des U-Boots zufährt. Das wurde früher tatsächlich so gemacht. Heute möchte kein Schiffskommandant auch nur in Reichweite eines U-Boot-Torpedos kommen.

Vorteile gegenüber Hubschraubern

Und auch wenn es mir als Hubschrauberpilot nicht gefällt: Selbst Helikopter, insbesondere im Sonar-Hover, sind seit der Erfindung von Flugabwehrraketen, die sich von U-Booten aus starten lassen, nicht mehr unverwundbar. MPAs mit großer Flughöhe und Geschwindigkeit dagegen weitgehend schon. Folgerichtig baut Großbritannien seine MPA-Flotte mit der amerikanischen P-8A Poseidon wieder auf und Norwegen modernisiert seine Marine mit dem gleichen Typ.

Ein weiterer Punkt: Die NATONorth Atlantic Treaty Organization hat sich zur Aufgabe gemacht, ein umfassendes maritimes Lagebild im Nordatlantik aufzubauen und dauerhaft zu halten. Dies ist gerade unter Wasser eine Herausforderung, da moderne Technologie U-Boote drastisch leiser gemacht hat. Erreichen will das Bündnis dieses dauerhafte Lagebild durch neuere Technik und noch mehr Kooperation: mit Langzeitsensoren, Vernetzung, Datenaustausch. Aber auch mit neuen taktischen Verfahren: der Bi- und der Multistatik.

Ein Schlüsselelement in der Multistatik

Ein Marinesoldat in hellbrauner Arbeitsuniform sitzt vor einer Konsole mit mehreren Bildschirmen und einer Tastatur.

Konsole des Überwasser-Operator in einer deutschen P-3C Orion. MPAs sind eine ideale Relaisstation für die vernetzte U-Boot-Jagd.

Bundeswehr/Andrea Bienert

Das Prinzip der Bistatik ist relativ simpel: Ein U-Boot-Jäger, in der Regel eine Fregatte, sendet aktive Sonarimpulse auf der Suche nach U-Booten. Ein zweiter empfängt diese Impulse, wenn sie auf ein Unterwasserziel treffen, und bekämpft dieses Ziel dann. Multistatik erweitert die Zahl der Empfänger und der Sender solcher aktiven Sonarsignale. Neue Kommunikationstechnologie macht die Vernetzung von immer mehr Sendern und Empfängern über und auch unter Wasser möglich.

Gerade aber die Multistatik erfordert das schnelle Ausbringen von aktiven und passiven Sonarbojen in einem Aufklärungsgebiet, das deutlich größer ausfällt, als es bei früheren Verfahren war. Erprobungen der letzten Jahre haben bewiesen, dass weder Schiffe noch Hubschrauber in der Lage sind, diese Bojenfelder in angemessener Zeit und Bojenanzahl aufzubauen, geschweige denn, sie angesichts beschränkter Auffassungsreichweite zu überwachen.

Die gewachsenen Distanzen erschweren zudem inzwischen nicht nur Schiffen, sondern auch Hubschraubern, einen Unterwasserkontakt frühzeitig zu bekämpfen. Auch hier punktet das MPA mit seiner vergleichsweise hohen Geschwindigkeit und großen Nutzlast für Sensoren und Waffen.

Hintergrund

Ein großes, zweimotoriges Propellerflugzeug steht auf einem Flugfeld.

Ein Seefernaufklärer Breguet Atlantic der Bundesmarine, 1986.

Alain Rioux/GNU Free Documentation License 1.2


Die Bundesmarine betrieb ab 1958 zunächst 15 britische Fairey Gannet zur U-Boot-Jagd, die sie ab 1966 gegen 15 Breguet Atlantic austauschte. Ab 2006 wurden diese wiederum durch 8 gebrauchte P-3C Orion der niederländischen Marine ersetzt. Alle deutschen Maritime Patrol Aircraft gehören zum Marinefliegergeschwader 3 „Graf Zeppelin“, ihr Heimatstützpunkt ist Nordholz bei Cuxhaven.

Die P-3Cs sollten zunächst bis 2025 eine Fähigkeitslücke verhindern, jedoch blieb ihre Verfügbarkeit stets hinter den Erwartungen zurück. Zwischenzeitlich hat die Bundeswehr jedoch beschieden, den Weiterbetrieb der Flugzeuge über 2025 hinaus zu ermöglichen. Die Modernisierung verläuft aktuell stockend und reduziert die Verfügbarkeit der wenigen MPAs weiter.

Parallel zu diesem Prozess beschloss der deutsch-französische Ministerrat 2017, einen gemeinsamen Nachfolger für P-3C der Deutschen Marine und Breguet Atlantique 2 der Marine nationale zu beschaffen. Dieses Vorhaben läuft derzeit unter dem Arbeitsbegriff Maritime Airborne Warfare System (MAWS), eingebettet in den Kontext um das europäische Future Combat Air System. Das bemannte MAWS soll in der Marine die Aufgaben eines MPA spätestens 2035 von der P-3C übernehmen.

Westliche Nationen betreiben nur eine Handvoll vollwertiger MPA-Typen. Neben der weitverbreiteten amerikanischen P-3C gibt es die neue, ebenfalls amerikanische P-8A Poseidon, die japanische Kawasaki P-1 sowie die französische Breguet Atlantique 2, eine modernisierte Version der alten Breguet Atlantic.

2. Das Musketier-Prinzip: Eines für alles

Heutzutage ist ein Maritime Patrol Aircraft zu deutlich mehr als zur U-Boot-Jagd in der Lage. Mit seinen Sensoren kann es auch ein Überwasserlagebild exzellent aufbauen, halten und teilen. Es verdichtet kontinuierlich das Lagebild, indem es Radardaten mit elektromagnetischen Ausstrahlungen sowie Aufnahmen aus seinem Video- und Infrarotsensor übereinandergelegt. Die gewonnenen Daten kann es an eigene Kräfte oder der Bündnispartner, auch zur Bekämpfung, weitergeben.

Unter der Tragfläche eines Flugzeugs befestigen Soldaten in Tarnuniform eine große Rakete mit Hilfe einer kleinen Hebebühne.

USUnited States-Marinesoldaten bewaffnen eine P-8 Poseidon mit der Anti-Schiff-Rakete vom Typ AGM-84 Harpoon. Die Bundeswehr verfügt nur über die see- beziehungsweise schiffgestützte Variante des Flugkörpers, die RGM-84.

US Navy/Juan S. Sua

Allerdings kann ein modernes MPA, mit einem breiten Portfolio an Waffen, auch über große Distanzen hinweg, in der Regel über 200 Kilometer, und selbst unter Bedrohung eigenständig wirken. Dies ist von besonderer Bedeutung, da die Seekriegführung aus der Luft für die Bundeswehr derzeit eine längerfristige Lücke aufweist: Die Marine hat ihre Jagdbomber-Komponente 2005 aufgegeben, die Luftwaffe hat die übernommenen Anti-Schiff-Rakete Kormoran 2012 ausgephast. Eine Umrüstung der deutschen Seefernaufklärer P-3C Orion, vergleichbare Wirkmittel einsetzen zu können, ist bis heute nicht geplant.

Dabei kann ein MPA kann sowohl als Träger einer solchen Waffe als auch als Übermittler von Zieldaten für Flugzeuge der Luftwaffe oder anderer Bündnispartner einen Beitrag leisten. Über die Nutzung der P-3C Orion, die bei anderen Nationen auch für den Verschuss von Seezielflugkörpern bestimmt ist, haben die deutschen Marineflieger immer noch teil an Entwicklungen in diesem Bereich. Das beständige Üben bei nationalen und internationalen Manövern garantiert die Kompatibilität der Einsatzgrundsätze und Verfahren. Kurz: Sie können mitmachen.

Ein Teamplayer für den Einsatz

Am häufigsten aber bietet das MPA der Politik ein probates Mittel, das mit seinem Schwerpunkt Aufklärung politisch leicht konsensfähig ist, schnell entsandt werden kann, keine Stationierung im Einsatzland erfordert, eigene Kräfte nur wenig in Gefahr bringt und für das leicht eigene Rules of engagement entwickelt werden können. Der benötigte Footprint an Land ist verhältnismäßig klein; Unterkunft, Fernmeldeanbindung, ein angepasstes Ersatzteilpaket und eine verlegbare Auswertezelle mit Stabsanteilen genügen für den praktischen Einsatz.

Zwei große, hellgraue, viermotorige Propellerflugzeuge über dem Meer, unter ihnen ein großer Containerfrachter.

Ein deutscher und ein japanischer Seefernaufklärer vom Typ P-3C Orion im Einsatz gegen Piraten über dem Indischen Ozean. Die „Augen der Flotte“ sind Aufpassser des globalen Seehandels.

Japanese Maritime Self Defense Force

So nehmen die Marineflieger mit ihren P-3C Orion seit 2008 an der EUEuropäische Union-Operation teil und liefern entsprechende Erfolge. Sie hatten bereits vorher am Horn von Afrika jahrelang wertvolle Daten für die Operation Enduring Freedom gesammelt. Aufklärungsmissionen fliegen deutsche MPAs auch für die Assurance Measures der NATONorth Atlantic Treaty Organization im Raum Baltikum. In allen Missionen spielt das MPA seine Vorzüge von Geschwindigkeit, Stehzeit, Sensormix, Fernmeldeanbindung und Verlegbarkeit aus.

Seit Mai 2020 setzt die Deutsche Marine ihre MPA zudem in der EUEuropäische Union-Mission Irini über dem zentralen Mittelmeer ein. Aufgrund der Einschränkungen durch die COVID-19Coronavirus Disease 2019-Pandemie muss dies aus Deutschland erfolgen. Die Reichweite des MPA macht es möglich.

Die Flexibilität gefällt auch den Planern

Gerade bei kurzfristigen Einsätzen oder einsatzgleichen Verpflichtungen wählen politische und militärische Planer als erste Option gerne die luftgestützte Aufklärungskomponente, lässt sich das MPA doch relativ einfach aus dem geplanten Jahresprogramm der Marine herauslösen und anderweitig verlegen. Die Anfahrtswege, im Vergleich zu einem Schiff, sind schneller zu bewältigen, Kosten und Personalbedarf geringer.

Neben aktuellen wie geplanten Einsätzen, einsatzgleichen Verpflichtungen und der Übungstätigkeiten in den herkömmlichen Seekriegsarten nehmen MPAs letztlich auch weltweit militärpolitische Aufgaben wahr oder sind an Seenotrettungseinsätzen beteiligt. Sie können ebenso Spezialkräfte unterstützen oder gar aus der Luft absetzen.

Mit seinen Sensoren, allen voran einem leistungsfähigen Video- und Infrarotkamera-System, kann ein MPA aus der Luft Kräfte am Boden mit den aktuellen Informationen und Livebildern versorgen. Die Crew im Flugzeug erhält somit an Bord die Gesamtübersicht des Einsatzgebietes, kann auf Besonderheiten und die anstehende Vorgehensweise eingehen und versorgt die Truppen am Boden mit den Daten im Livefeed über ein taktisches Datennetz.

3. Wird das MPA durch Drohnen ersetzt?

Nahaufnahme eines großen, grauen Drohnenflugzeugs von schräg vorne.

Der Euro Hawk, 2013 als Bundeswehr-Projekt aufgegeben: Sein Scheitern an der Zulassung in Europa steht für eines der Probleme, das selbst moderne Drohnen noch haben. Für bemannte MPAs gibt es diese und andere Einschränkungen nicht.

Bundeswehr/Markus Laisiepen

Die Prognosen für die kommenden rund 20 Jahre sagen „nein“. Selbst sehe ich zwar die fernere Zukunft in der unbemannten Fliegerei. Bis Unmanned Aerial Vehicles (UAVs), also Drohnen, aber einen umfänglichen, adäquaten Ersatz für MPAs bieten, in Europa zugelassen und als Waffenträger ethisch akzeptiert sind, wird es noch lange dauern. Derzeit scheitern viele Systeme noch immer an den hohen Anforderungen an Reichweite und Stehzeit bei gleichzeitig großer Zuladung von Sensoren und Waffen. Insbesondere gelingt aber die Integration in den europäischen Luftraum und die entsprechende luftrechtliche Zulassung noch nicht.

Dabei haben wir noch nicht einmal das hart umkämpfte elektromagnetische Spektrum näher betrachtet. Dies wird von unbemannten Systemen, wenn sie ausfallen sollten, einen hohen Grad an Automation und/oder künstlicher Intelligenz erfordern und die Fähigkeit, ihren Auftrag weiterführen zu können, auch wenn ihre Fernmeldeanbindung gezielt gestört wird. MPAs werden daher als flexibles und skalierbares Einsatzmittel von der nächsten Generation von UAVs nicht ersetzt, sondern nur ergänzt werden.

Schlussfolgerung: So what?

Der stete Wandel in der Sicherheitspolitik ist eine Binse. Der militärische und politische Nutzen moderner Waffensysteme wird entsprechend weniger auf deren Spezialisierung basieren, als vielmehr auf dem Bereitstellen anpassungsfähiger Handlungsoptionen. Dies ist die Stärke des MPA, das neben seinen maritimen Kernfähigkeiten auch streitkräftegemeinsame und ressortübergreifende Szenarien – auch über Land – bedienen kann. Der Bundeswehr-Einsatz Counter Daesh, auf eine Basis in Jordanien gestützt, ist nur ein Beispiel, bei dem der Einsatz eines Seefernaufklärers gewinnbringend möglich gewesen wäre.

Bereits jetzt ist die Deutsche Marine aber schon proportional überdurchschnittlich in Einsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen gebunden. Diese Verpflichtungen tragen zu nicht unerheblichen Teilen die MPAs der Marineflieger. Angesichts der Forderungen von NATONorth Atlantic Treaty Organization und EUEuropäische Union wird sich das auch in den kommenden Jahren kaum ändern. Denn: Kein anderes einzelnes System bietet diesen Mix aus Reichweite, Geschwindigkeit, Stehzeit, Sensor- und Waffenkombination, Fernmeldeanbindung und Verlegbarkeit.

Am Ende bleibt die Feststellung, dass, ganz nüchtern betrachtet, einsatzbereite, verfügbare Seefernaufklärer für die Marine unverzichtbar bleiben.

  • Autor: Kapitän zur See Thorsten Bobzin

    Kommandeur des Marinefliegerkommandos

Veröffentlicht am: 07.06.2020, zuletzt aktualisiert am: 29.06.2022    
Ort: Rostock    
Lesedauer: 10 Minuten

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