Operation Aspides: Raketen-Bedrohung im Roten Meer
Operation Aspides: Raketen-Bedrohung im Roten Meer
- Datum:
- Ort:
- Rostock
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Das Waffenarsenal der Huthi im Jemen ist vielseitig. Die Bürgerkriegsgruppe verfügt allein über gut ein Dutzend unterschiedlicher Typen von Anti-Schiff-Lenkflugkörpern und ballistischen Raketen. Tatsächliche Leistungsfähigkeit und genaue Anzahl der Waffen sind aber nicht bekannt.
Dass es südlich des Suezkanals gefährlich werden kann, ist für Seefahrer seit Jahren nichts Neues. Mit dem Beginn des Bürgerkriegs in Somalia 2006 griffen immer mehr Piraten aus dem verarmten Land Handelsschiffe in den Seegebieten ums Horn von Afrika an. Internationale Marineverbände, darunter die EUEuropäische Union-Operation Atalanta, griffen ein, um die zivile Schifffahrt vor Überfällen und Entführungen zu schützen. 2013 war die Zahl der Piratenangriffe stark gesunken, die Situation galt als stabilisiert.
Bis heute allerdings sind internationale Kriegsschiffe in der Region geblieben, um die Lage weiter zu kontrollieren – denn vereinzelte Zwischenfälle hat es weiterhin gegeben, und Somalia gilt immer noch als sogenannter gescheiterter Staat. Dennoch: Die Sicherheit der Seewege war praktisch wiederhergestellt. Gut 15 Prozent des weltweiten Schiffsverkehrs haben die Region durchquert, vor allem auf der Route zwischen Europa und Asien.
Am 19. November 2023 landeten Bewaffnete per Militärhubschrauber auf dem Autofrachter „Galaxy Leader“ im südlichen Roten Meer. Sie stürmten die Brücke und entführten das Schiff samt Besatzung in den Hafen Al-Hudaida an der Westküste des Jemen. Die Angreifer gehören zur jemenitischen Bürgerkriegsfraktion der Huthi. Sie beherrschen den Westen des arabischen Landes, gut ein Drittel der Fläche Jemens.
„Das war ein ausgeklügelter Angriff, einschließlich eines gut ausgerüsteten, gut ausgebildeten Kommandoteams“, kommentierte der ehemalige USUnited States-Admiral James G. Stavridis den Überfall. „Ein Video dieses Angriffs, von den Huthi veröffentlicht, ist perfektes Futter für die Sozialen Medien.“ Stavridis kennt die Region aus eigener Marine-Berufserfahrung. Als NATONorth Atlantic Treaty Organization-Oberbefehlshaber von 2009 bis 2016 war er über die detaillierte Lage auch am Horn von Afrika informiert.
Eine neue Qualität von Angriffen auf Handelsschiffe
Stavridis erkennt in dem Vorgehen der Huthi-Milizionäre im Vergleich zu den somalischen Piraten eine neue Qualität. Denn diese Angreifer benutzen nicht nur Kalaschnikow-Sturmgewehre und Speedboote. Wenige Tage nach der Entführung der „Galaxy Leader“ haben die Huthi begonnen, zivile Schiffe im südlichen Roten Meer mit Selbstmorddrohnen und Raketen zu beschießen.
Sprecher der jemenitischen Bürgerkriegsgruppe rechtfertigen die Angriffe, indem sie sie mit dem israelischen Krieg gegen die Terrororganisation Hamas in Verbindung bringen. Beide Gruppen, Huthi und Hamas, haben bislang starke militärische Unterstützung aus dem Iran erhalten. Experten gehen davon aus, dass sie vom Regime in Teheran als Stellvertreter im geopolitischen Machtkampf im Nahen Osten benutzt werden.
So verfügen die Huthi mittlerweile über ein vermutlich umfangreiches Arsenal unterschiedlicher Anti-Schiff-Raketen, deren Quelle hauptsächlich der Iran ist. Die Waffen gelangen, trotz eines VN-Embargos gegen die Huthi von 2015, durch Schmuggel über See in den Jemen. Das belegen vor allem Funde bei Kontrollen durch internationale Marineschiffe.
Ein Expertenpanel bestätigte dem VN-Sicherheitsrat im November letzten Jahres, dass die Huthi massiv gegen das Waffenembargo verstießen. Das betreffe „militärisches Material, wie ballistische Raketen, Marschflugkörper, Anti-Schiffs-Raketen, unbemannte Angriffsflugzeuge, improvisierte Überwassersprengsätze und Hunderte von Geländewagen, die für den Transport verschiedener Waffensysteme umgebaut wurden“. Sie wären bei Militärparaden zur Schau gestellt worden.
Begrenzte Erkenntnisse über die Waffen der Huthi
„Iranische Unterstützung war der Schlüssel zu dieser Aufrüstung der Schiffsabwehrraketen der Huthi“, erklärt der Militäranalyst Fabian Hinz vom Londoner International Institute for Strategic Studies. Zum Beispiel fing 2019 ein USUnited States-Zerstörer im Arabischen Meer ein Schiff ab, das Waffen aus iranischer Produktion nach Jemen schmuggelte, unter anderem eine Version des ursprünglich chinesischen Anti-Schiff-Marschflugkörpers C-802. Mit dieser Waffe hatte 2006 schon die, ebenfalls vom Iran unterstützte, Terrorgruppe Hisbollah vor der Küste des Libanon zwei Schiffe schwer beschädigt: eine israelische Korvette und einen ägyptischen Frachter.
„Bei vielen der Flugkörper im Bestand der Huthi weiß man nicht, wie ausgereift die Systeme sind“, so Hinz. „Schwierig wäre auch, westliche Maßstäbe anzulegen, weil die Iraner andere technische Standards haben. Aber über den C-802 lässt sich sagen: Er ist eine known quantity und wird in Masse produziert.“ Die Waffe sei ausgereift – auch wenn der Sprengkopf beim Angriff auf die israelische Korvette ‚Hanit‘ nicht gezündet, sondern nur Schäden durch den Einschlag selbst verursacht habe.
„Der Iran begann in den 1990er Jahren mit der Produktion der C-802 unter dem Namen ‚Nour‘“, führt Hinz in einer jüngsten Analyse aus, „und entwickelte sie zur Ghader mit 200 Kilometern und zur Ghadir mit 300 Kilometern Reichweite weiter. Es ist zwar ungewiss, welche Versionen die Huthi erhalten haben, aber die Gruppe behauptet, ihre C-802 habe eine Reichweite von 300 Kilometern, was auf eine mögliche Weitergabe der Ghadir hindeutet.“
Hinz‘ Untersuchung geht von gut einem Dutzend verschiedener Marschflugkörper und ballistischer Lenkflugkörper aus, die für Angriffe gegen Schiffe gedacht sind. Unklar ist, ob die unterschiedlichen Raketentypen alle einsatzfähig sind und wie groß die jeweilige Anzahl ist.
„Die Huthi zeigen zwar gern, was sie haben“, sagt Experte Hinz. „Aber Zahlen werden sehr, sehr schwierig. Ihr Arsenal lässt sich nicht quantifizieren.“ Zahlen über die Raketenvorräte in Händen der Hisbollah und der Hamas stammten hauptsächlich aus israelischen Quellen, und deren Fokus liege nicht auf dem Jemen. „Auch sind die Lieferwege sehr kompliziert“, ergänzt der IISSInternational Institute for Strategic Studies-Experte, „und die Systeme sind weit über das Gebiet verteilt, das die Huthi kontrollieren. Sie lagern in geheimen Verstecken, nicht in sichtbaren Lagern oder Hangaren.“
Das Angriffsrisiko besteht besonders in der Südhälfte des Roten Meers
Das Risiko, das von den Waffen ausgeht, ist weiträumig: Flugkörper der Huthi wie der iranische Paveh/351 sollen eine Reichweite von rund 800 Kilometern haben. Das deckt das halbe Rote Meer und den ganzen Golf von Aden ab. Ebenso konnten die Huthi seit einem Waffenstillstand in Jemens Bürgerkrieg im Dezember 2022 ihr Arsenal, ohne den Druck größerer Kampfhandlungen, wahrscheinlich aufstocken.
Seit der Erstürmung der „Galaxy Leader“ im November letzten Jahres greifen die Huthi nun fast täglich mehrfach Schiffe im Roten Meer und im Bab al-Mandab, der Meerenge zwischen Arabischer Halbinsel und Afrika, an. Sie beschießen dabei sowohl Handels- wie auch Kriegsschiffe, verwenden dafür nicht nur Lenkflugkörper und Drohnen, sondern wie Piraten auch bewaffnete Speedboote. Die Huthi konnten mit diesen Attacken bereits einige Handelsschiffe beschädigen. Menschen sind bislang noch nicht zu Schaden gekommen.
Für Hinz liegen die Gründe dafür bei den Waffen und ihren Zielen selbst. „Dass noch keine gesunken sind, trotz bereits mehrerer Treffer auf Handelsschiffen, ist nicht außergewöhnlich“, sagt er. „Anti-Schiff-Raketen sind bekannt für schwere Schäden, aber wenig Versenkungen. Sie schlagen ja über Wasser ein, im Unterschied zu Torpedos. Außerdem sind Handelsschiffe sehr große Ziele, deutlich größer als Kriegsschiffe, bei viel kleinerer Besatzung – deshalb hat es glücklicherweise auch noch keine Verletzten oder sogar Tote gegeben.“