Marine
Landes- und Bündnisverteidigung

Unter erschwerten Bedingungen: Northern Coasts 2021

Unter erschwerten Bedingungen: Northern Coasts 2021

Datum:
Ort:
Rostock
Lesedauer:
6 MIN

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Wenn die Ostsee im September brodelt, ist es wieder so weit: Großmanöver Northern Coasts. Auch dieses Jahr haben wieder mehrere Dutzend Schiffe und Flugzeuge aus 15 Nationen gemeinsam geübt, dieses Mal vor der Küste Schwedens.

Mehrere Schiffe fahren über ein weitläufiges Gewässer.

Der Verband im Überflug. Beim sogenannten „Photex“ fahren alle 30 Schiffe und Boote in einer festgelegten Formation.

Swedish armed forces/Melina Westerberg

Für die Deutsche Marine ist die Schwerpunktübung ein wichtiges Bindeglied der Landes- und Bündnisverteidigung. Zudem bietet die Ostsee beste Übungsbedingungen für alle teilnehmenden Seestreitkräfte. Nachdem das multinationale Manöver letztes Jahr in dänischen Gewässern pandemiebedingt hatte ausfallen müssen, konnte es dieses Jahr in kleinerem Rahmen unter Auflagen stattfinden. Die Deutsche Marine hatte die Großübung, bei der sich alljährlich Deutschland, Dänemark, Schweden und Finnland in der Rolle des Gastgeberlandes abwechseln, 2007 ins Leben gerufen.

Das Randmeer im Norden Europas ist Lebensader der Bevölkerung

Die Ostsee ist ein rund 400.000 Quadratkilometer großes Seegebiet, auf das viele Staaten im eurasischen Raum angewiesen sind. Die Ostsee ist eine maritime Lebensader, die für Versorgung von Staaten wie Finnland, Polen oder den baltischen Ländern essenziell ist. Kommt diese zum Stillstand, würde dies die Bevölkerung unmittelbar spüren. Das Angebot in den Supermärkten würde rapide abnehmen und auch der Treibstoff, der sonst über den Seeweg kommt, bliebe aus.

Die Freiheit der Seeverkehrswege nimmt deshalb einen wichtigen Stellenwert für alle EUEuropäische Union-Anrainerstaaten sowie befreundeter Nationen ein. Die aktuelle politische Lage im Indopazifik sowie in russischen Territorialgewässern zeigt, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist. Die NATONorth Atlantic Treaty Organization steht mit ihrem Programm „Partnership for Peace“ solidarisch nicht nur hinter ihren Bündnispartnern. Zu dieser Verbindung gehören neben allen 30 NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mitgliedern auch weitere 20 europäische und asiatische Nicht-NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mitgliedsstaaten. Darunter auch das diesjährige Gastgeberland Schweden. In dem Programm können die teilnehmenden Nationen das Ausmaß der Zusammenarbeit selbst bestimmen. In der Regel verläuft die Übung unter Berücksichtigung der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Standards.

  • Ein Soldat zieht Ein Tau-Leine.

    „Alle Leinen los und ein“ hieß es zum Start des Manövers im schwedischen Hafen Karlskrona.

    Bundeswehr/Nico Theska
  • Die Fregatte „Hamburg“ während einer Verbandsübung auf See.

    Die Fregatte „Hamburg“ während einer Verbandsübung auf See

    Bundeswehr/Nico Theska
  • Ein deutscher Eurofighter überfliegt den Verband.

    Ein deutscher Eurofighter überfliegt den Manöververband von Northern Coasts. Die Luftwaffe unterstützt Marinemanöver regelmäßig.

    Bundeswehr/Julia Kelm

Ideale Trainingsbedingungen vor der Haustür Schwedens

In diesem Jahr übernahm die schwedische Marine die Hauptverantwortung für das Großmanöver. Mehr als 2.000 Soldatinnen und Soldaten, über 30 Schiffe und Boote, zehn Luftfahrzeuge sowie landgestützte Truppen waren der Einladung zur Teilnahme an der Übung gefolgt.

„Beim Manöver NOCO 2021 werden Seestreitkräfte aus 15 Nationen ihre Fähigkeiten trainieren und verbessern, um den gegenwärtigen und zukünftigen Sicherheitsherausforderungen in einem maritimen Umfeld in Küstennähe begegnen zu können. Eine solch groß angelegte Ausbildung ist unerlässlich, damit sie in der Lage sind, bei internationalen Krisenmanagementoperationen gemeinsam zu operieren“, unterstrich Kapitän zur See Jonas Källestedt. Er war der Hauptverantwortliche des Gastgeberlandes für die Planung und Durchführung der Übung.

Die schwedischen Schären rund um den Übungsraum der Hanö-Bucht, das Seegebiet um Öland und Gotland sowie angrenzende Gebiete eignen sich perfekt für ein vielseitiges Übungsszenario. Wegen zahlreicher Untiefen ist das Manövergebiet nicht nur navigatorisch anspruchsvoll, der steinreiche Meeresboden ist auch noch wie gemacht für den Einsatz von Seeminen.

Der Startschuss fiel in Karlskrona

Der schwedische Hafen in Karlskrona liegt knapp 250 Seemeilen nordöstlich von Kiel. Hier war der Startpunkt des diesjährigen Manövers und somit Treffpunkt der Schiffe und Boote. Bereits im Vorfeld konnten sich die Teilnehmer in Workshops im Marinestützpunkt gegenseitig kennenlernen und gewannen so einen ersten Eindruck. Nach der offiziellen Pressekonferenz am 12. September begann dann die multinationale Großübung.

Mit einer Integrations- und Kennenlernphase begann die Übung. Dieser erste Abschnitt gilt als der Schlüssel zum Erfolg für den weiteren Verlauf eines Manövers. In erster Linie dient es allen Nationen zur Feinabstimmung untereinander. In Schwerpunkten wie der Abwehr von Luftbedrohungen, Seezielschießen oder Seenotrettungen üben die Besatzungen die Zusammenarbeit im Verband und verbessern zudem ihre Fertigkeiten. Teil der taktischer Übungen waren seemännische Manöver wie das Längsseits-Gehen in See oder das Versorgen per Postbeutelverfahren. Außerdem übten die Teilnehmer Formationsfahrten, bei denen die Boote und Schiffe mit vorgegebenen Abstand, Kurs und Geschwindigkeit fahren. Das Lichtmorsen und die Kommunikation anhand von Flaggensignalen waren weitere Übungsbestandteile.

  • Das Minenjagdboot wirft vor Beginn der Operationsphase Übungsminen aus.

    Das Minenjagdboot „Sulzbach-Rosenberg“ bringt mitten in der Nacht eine Übungsmine aus.

    Bundeswehr/Nico Theska
  • Mehrere Personen sitzen in einem Speedboot. Ein Taucher macht eine Rückwärtsrolle ins Wasser.

    Minentaucher können auffällige Sonarbilder identifizieren. Zum Glück handelt es sich bei den meisten Kontakten um Steine, Bodenwellen oder Muschelfelder. Aber die Ostsee ist noch voll mit Altlasten aus den beiden Weltkriegen.

    Bundeswehr/Nico Theska
  • Eine Drohne wird ins Wasser geworfen.

    Alternativ zum Einsatz von Tauchern können die Minenjäger verdächtige Kontakte mit dem Seefuchs aus der Operationszentrale ihrer Boote heraus identifizieren.

    Bundeswehr/Nico Theska

Die effektive Kommunikation auf hoher See spielte eine wichtige Rolle. Durch Fernschreiben oder verschlüsselte Funksprüche bekamen alle Beteiligten ihre nächsten Aufträge mitgeteilt. Dabei den gemeinsamen Zeichenvorrat zu finden und eine Konferenzschaltung zu etablieren, war die größte Herausforderung in den ersten Tagen.

Herausforderung „Free Play“-Phase

In der heißen Phase des Manövers gibt es keine Vorgaben mehr. Es entsteht ein sogenanntes „Free Play“, also entwickelt sich der weitere Übungsverlauf frei und dynamisch. Lässt sich ein Kriegsschiff durch gezieltes Anfahren eines Gegners provozieren? Fallen Warnschüsse oder kommt es sogar simuliert zu einem Abschuss? 

Wie im wahren Leben kann mit einer unbedachten Handlung die Lage sehr schnell eskalieren. Deshalb ist es wichtig, die schwimmenden Einheiten ihren Fähigkeiten entsprechend einzusetzen, damit diese handlungssicher agieren können. Eine Fregatte kann bestimmte Aufgaben besser wahrnehmen als ein Minenjagdboot. Umgekehrt ist das die Fregatte völlig ungeeignet für die Minenjagd. Die Zuteilung der Aufgaben obliegt dem schwedischen Verbandsführer. Auch die Führungsstrukturen des Stabes an Land werden durch die Übungsleitung auf eine harte Probe gestellt. Sie müssen weitreichende Entscheidungen treffen und stets den Überblick über Ihre Einheiten an Land, in der Luft und auf dem Wasser behalten.

Spezialistin für Luft- und Überwasserverteidigung

  • Ein graues Schiff in See

    Die Fregatte „Hamburg“. Das Schiff der Klasse F124 ist das größte teilnehmende Schiff. Sie ist zuständig für die Erstellung eines umfassenden Luftlagebildes im Verband.

    Bundeswehr/Nico Theska
  • Mehrere Soldaten stehen auf der Brücke eines Schiffes.

    Auf Brücke der„Hamburg“ gilt es den Überblick zu behalten. Gemeldete Kontakte gleicht der Wachoffizier mit dem Lagebild im Radar ab.

    Bundeswehr/Julia Kelm
  • Boardingübung laufen mit Waffen im Anschlag über das Deck eines Schiffes.

    Ein Boardingteam des Seebataillons aus Eckernförde bei einer Übung an Bord ihrer Fregatte.

    Bundeswehr/Julia Kelm

Als Luftverteidigungsfregatte liegt die Kernkompetenz der „Hamburg“ im Geleitschutz und in der Seeraumkontrolle. Mit ihrem SMART-L-Radar kann sie den kompletten Ostseeraum überwachen und dabei mehr als 1.000 Ziele gleichzeitig erfassen. Kommt es zu einem Zwischenfall, liegt die Reichweite der an Bord befindlichen Flugabwehrraketen vom Typ SM 2 bei 160 Kilometern. Ebenfalls an Bord des Schiffs befindet sich ein Boardingteam des Seebataillons. Dessen Aufgabe besteht darin, nach vorbestimmten Kriterien verdächtig agierende Schiffe oder Boote zu kontrollieren.

Neben der großen „Hamburg“ nahmen auch die Minenjagdboote „Weilheim“ und „Sulzbach-Rosenberg“ an Northern Coast 2021 teil. Die Ostsee ist ihre Heimat, hier operieren sie überwiegend. Mit an Bord ist auch jeweils ein Minentauchereinsatzteam. Zusätzlich ist ein Team zur Bedienung der Unterwasser-Drohne REMUS auf der „Weilheim“ eingeschifft. Der Hauptauftrag der Minenjäger besteht darin, Seeminen zu lokalisieren und zu neutralisieren. Dafür nutzen sie das im Bootsrumpf verbaute hochauflösende Sonar, mit dem sie im Vorausbereich frühzeitig auffällige Strukturen auf dem Meeresgrund oder in der Wassersäule erkennen können.

Als weiteren Sensor kann die Besatzung die Drohne REMUS 100 einsetzen. Diese scannt auf drei bis fünf Metern über Grund einen vorprogrammierten Weg ab. Anschließend wertet das REMUS-Team die Ergebnisse in der Operationszentrale an Bord aus. Um die mit Hilfe des Sonars erzielten Ergebnisse näher zu untersuchen, kommen entweder ein Seefuchs, eine ferngesteuerte Unterwasserdrohne samt Kamera, oder die Minentaucher zum Einsatz.

An Land zur Kampfmittelbeseitigung 

Dem Motto des Seebataillons „Vom Land zum Meer, vom Meer zum Land“ getreu sind die Minentaucher als Spezialisten für die Kampfmittelbeseitigung im maritimen Umfeld nicht nur im Wasser, sondern auch an Land in ihrem Element. Bei Northern Coasts hatte ein Trupp, bestehend aus sechs Personen, den Auftrag, auf der Insel Bollö nach Munitionsresten zu suchen wie auch auf eine Vielzahl von eingespielten Zwischenfällen zu reagieren. Das Bergen von Verletzten aus angesprengten Fahrzeugen und das Entschärfen von am Strand angespülten Kampfmittel oder Landminen forderten die Soldaten des Seebataillons.

  • Unter Vollschutz nähert sich der Kampfmittelbeseitiger einer Sprengfalle.

    Unter Vollschutz nähert sich ein Kampfmittelbeseitiger des Seebataillons einer Sprengfalle.

    Bundeswehr/Strauß
  • Zwei Soldaten suchen den Feldweg nach Sprengfallen ab.

    Zwei Marineinfanteristen suchen einen Feldweg nach Sprengfallen ab.

    Bundeswehr/Strauß
  • Ein Minentaucher sucht an einem Strand nach Sprengmitteln.

    Das Einsatzgebiet der Minentaucher der Deutsche Marine ist vielfältig. Nachdem am Strand ein Kampfmittel angespült wurde, ist ihre Expertise gefragt.

    Bundeswehr/Strauß

Am 23. September endete die Großübung Northern Coasts 2021 nach rund zwei Wochen dauer. In dieser Zeit haben die beteiligten Nationen einen gemeinsamen Weg beschritten. Dabei haben sie ihre Stärken gezeigt und an ihren Schwächen gearbeitet. Ganz im Sinne der „Partnership for Peace“, welche in Friedenszeiten die Zusammenarbeit stärken muss, um in Krisenzeiten zuverlässig zu funktionieren.

von Markus Ott  E-Mail schreiben

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