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Kapitel 2: Auftrag vom Flaggschiff

Kapitel 2: Auftrag vom Flaggschiff

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Tage später hat sich die Lage im Marinemanöver Northern Coasts verändert. Die Krise hat sich verschärft, der fiktive Gegner hat eine Sperrzone angekündigt und begonnen, einige Seegebiete zwischen Schweden und Finnland zu verminen. Die NATO ihrerseits will militärische Verstärkung in die Region schaffen, um das gegnerische Bündnis von einer weiteren Eskalation an Land abzuschrecken.

In der Operationszentrale der „Hamburg“ während Gefechtsübung des Manövers Northern Coasts 2018

Bundeswehr/Marcel Kröncke

Die Arbeitszelle der Naval Cooperation and Guidance for Shipping (NCAGSNaval Co-operation and Guidance for Shipping) im finnischen Hafen Turku erhält zwei Aufträge vom Flaggschiff, der deutschen Fregatte „Hamburg“: Erstens zu prüfen, welche Hafenanlagen in der instabilen Region noch geeignet sind, große Transportschiffe zu entladen. Zweitens einen NCAGSNaval Co-operation and Guidance for Shipping Liaison Officer als Verbindungsmann auf die „MS Louhi“ zu schicken, die mit Ausrüstung für eine Brigade der NATO Response Force auf dem Weg in die Ostsee ist.

Jetzt beginnt die Kernaufgabe der Offiziere der Marineschifffahrtleitung aus Hamburg: „Protection of Merchant Shipping“ – der Schutz unbewaffneter ziviler Schiffe in einer Krisen- oder Konfliktzone. Oder wie CTGCommander Task Group Sven Beck selbst es erst vor ein paar Tagen bei einem Briefing im Auriga Center gesagt hatte: „Das ist genau das, worum es bei diesem ganzen Manöver geht.“

Alles dreht sich ums Hochwertziel

Gemäß Szenario dampft die „Louhi“ noch durch die Nordsee, aber sie und ihre Ladung müssen in zwei Tagen sicher ankommen. Sie ist von der Manöverleitung in Turku zum Hochwertziel erklärt worden, zur „High value unit“. Eigentlich ist sie ein Ölauffangschiff und Eisbrecher der finnischen Marine, aber fürs Manöver spielt sie eine ganze andere Rolle: Nun ist sie um ein Mehrfaches größer als die „Hamburg“ und trägt als Transporter so viel Ladung an Bord wie vor Jahrzehnten ein halbes Dutzend Frachtschiffe. Kommt die „Louhi“ nicht an, oder schlimmer noch, wird sie versenkt, kann das Bündnis seinem Gegner in der Region keine kampfstarke Truppe entgegenstellen.

Kapitänleutnant Arne Bergholz packt jetzt seinen Rucksack. Nur das Nötigste: eine Zahnbürste, einen dicken Pullover, frische Unterwäsche – und seine dienstlichen Unterlagen, darunter in einem schlanken DINDeutsches Institut für Normung-A4-Ordner die „Allied Tactical Procedure 02“, das NATO-Handbuch für das NCAGSNaval Co-operation and Guidance for Shipping-Geschäft. Ein Helikopter soll ihn am nächsten Morgen auf das wertvolle Transportschiff bringen.

Vom Lotsen zum NCAGSNaval Co-operation and Guidance for Shipping Liaison Officer: Kapitänleutnant Arne Bergholz

Bundeswehr/Marcus Mohr

„Ich gehe da an Bord, um dem zivilen Kapitän die Zusammenarbeit mit den Marineschiffen zu erleichtern“, erklärt Bergholz seine neue Aufgabe. „Unsere Minenjagdboote räumen gerade einen sicheren Weg durch ein vermutlich vermintes Gebiet. Aber ganz allein geht die ‚Louhi‘ da nicht durch.“ Das gebe dem zivilen Kapitän mehr Sicherheit und nehme ihm ein großes Stück der Verantwortung, sein Schiff in so gefährliche Gewässer zu steuern.

Auf der „Louhi“ wird Bergholz quasi zum militärischen Seelotsen. Nur der Marineoffizier kennt die genauen Wegpunkte der neuen minenfreien Route, denn diese Daten sind geheim. „Als erstes schalten wir das aktive AIS ab und auch andere Geräte auf passiv, die sonst unsere Position verraten könnten“, kündigt er an. Offen ausgesendete, zivile Signale zeigen im Frieden den Kurs und noch viele andere Schiffsdaten an. Aber die NATO möchte es ihrem Gegner nicht leicht machen, die „Louhi“ zu entdecken und ihr den Seeweg erneut zu versperren.

Sperrzonen in der Ostsee

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Während des Manövers sind die NCAGSNaval Co-operation and Guidance for Shipping-Offiziere viel unterwegs. Die offiziellen Informationen in der Arbeitszelle in Turku sind eine Sache. Aber wie sieht es in den benachbarten Häfen der Region wirklich aus?

Bundeswehr/Marcus Mohr
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Lars Mack nutzt einen finnischen Militärhubschrauber für den ersten Schritt eines Port Assessment: ein Aufklärungsflug, um festzustellen, ob die Lage vor Ort noch den Infos aus den Datenbanken entspricht.

Bundeswehr/Marcus Mohr

Währenddessen prüft der Rest des NCAGSNaval Co-operation and Guidance for Shipping-Teams im Auriga Center in Turku die Optionen: Wo – im zugespitzten Szenario – ist im Südwesten Finnlands noch ein Hafen verfügbar, in dem die „Louhi“ entladen kann? Wohin reicht der sichere Weg durch die gegnerische Sperrzone, den draußen zwischen den hunderten felsigen Inseln und Inselchen vor der Küste die deutschen, finnischen, schwedischen und belgischen Minenabwehrboote freiräumen?

Also setzen sich Oberleutnant zur See Lars Mack und die finnische Leutnant Meeri Tengström ins Auto und fahren ins zwei Stunden entfernten Hanko. Tage zuvor hatten sie bereits mit einer Maschine der finnischen Luftwaffe einen ersten Aufklärungsflug über der Südwestküste Finnlands unternommen. „Das gibt uns einen ganz neuen Blick für eine Lage, die wir sonst für gegeben nehmen würden“, erzählt Tengström.

„Laut Handbuch hätten wir in Hanko alles, was wir brauchen“, ergänzt Mack. Das Hafenbecken sei angeblich tief genug, die Piers zum Anlegen lang genug und die Kräne dort könnten das nötige Gewicht tragen – der Mehrzweckkran im Westhafen sogar einen 40-Tonnen-Schützenpanzer. „Aber in der Konfliktlage, in der wir uns befinden, wollen wir uns nicht auf nicht mehr aktuelle, öffentliche Informationen verlassen“, erläutert der Oberleutnant. „Also treffen wir vor Ort den Hafenmeister und prüfen persönlich, ob die Daten noch mit der Realität übereinstimmen.“

Ein Polizist aus München kennt sich mit Häfen aus

Mack war fünf Jahre aktiver Marinesoldat und Logistiker, im Zivilleben ist er in München Polizist geworden. Das bedeutet, dass er nicht nur eine Kaimauer auf die richtige Länge vermessen, sondern auch einschätzen kann, ob die örtliche Sicherheitslage so ruhig ist, dass das Entladen wertvoller Güter ungehindert bleibt. „Im Idealfall ist unser Team gut gemischt: ein paar Seeleute, Lotsen, Ingenieure und andere Experten. So sind wir flexibel für alle Problemlagen“, sagt Mack.

181104_NorthernCoasts_Saarinen_4520

Luftverteidigungsfregatte „Hamburg“ an der Spitze ihrer Task Group. Von hoher See aus, weit südwestlich von Finnland, können die Kriegsschiffe die gesamte mittlere Ostsee kontrollieren – und wertvolle Ziele wie die „Louhi“ beschützen.

Bundeswehr

Vier Stunden später liegt in Turku Macks und Tengströms „Port Assessment“ vor, ein knapper Bericht, der alle relevanten Faktoren abhakt. Die Kernaussage: Der Hafen von Hanko ist für die „Louhi“ geeignet. Mack: „Da kriegen wir alles sicher von A nach B.“ Das positive Assessment geht per militärischer Datenleitung an das Flaggschiff und die „Louhi“.

Auf der „Hamburg“ draußen auf See bespricht Senior Officer NCAGSNaval Co-operation and Guidance for Shipping Tobias Lüthe diesen Bericht und weitere Informationen mit seinem CTGCommander Task Group Beck. Hanko liegt gut 90 Kilometer Luftlinie südöstlich von Turku, aber nicht so weit östlich wie Helsinki, wo die geringere Entfernung zu den Basen des fiktiven Gegners auch die Gefahr eines Angriffs von dort erhöht. Turku läge zwar für das aus Südwesten kommende Schiff näher, aber der Weg dorthin führt durch so enge, verwinkelte Schärengewässer, dass auch hier das Risiko wieder zu groß wäre.

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