Marine
Von Freunden lernen

Was kanadische und deutsche Einsatzgruppenversorger verbindet

Was kanadische und deutsche Einsatzgruppenversorger verbindet

Datum:
Ort:
in See
Lesedauer:
5 MIN

Das Indo-Pacific Deployment 2024 führt den Ausbildungsverband der Marine westwärts, zuerst zur Ostküste des NATO-Partners Kanada. Die Atlantiküberquerung vom 7. bis 17. Mai hat die Royal Canadian Navy für den fachlichen Austausch genutzt. Mit der deutschen „Frankfurt am Main“ erlebten kanadische Austauschoffiziere eine noch nicht in Dienst gestellte, neue Klasse von Versorgungsschiffen in der Praxis.

Ein graues Kriegsschiff und ein größeres graues Schiff in See

Einsätze mit großer Reichweite brauchen leistungsfähige Logistik, auch bei der kanadischen Marine. Virtuelle Darstellung eines Einsatzgruppenversorgers der Protecteur-Klasse mit einer Fregatte der Halifax-Klasse

Government of Canada/Gouvernement du Canada

225 deutsche Marinesoldatinnen und -soldaten haben mit dem Einsatzgruppenversorger „Frankfurt am Main“ den Atlantik überquert. Ebenfalls an Bord befanden sich vier kanadische Gäste. Für die zehntägige Fahrt von Wilhelmshaven nach Halifax war Fregattenkapitän Landon Creasy mit drei weiteren Offizieren an Bord. Creasy ist der designierte Kommandant des künftigen Einsatzgruppenversorgers HMCSHis/Her Majesty's Canadian Ship (His Majesty's Canadian Ship)Protecteur“ der Royal Canadian Navy.

Die kanadischen Seestreitkräfte lassen zurzeit die „Protecteur“ und ein Schwesterschiff, die „Preserver“, bauen. Mit der Auslieferung von Creasys neuem Schiff rechnet die Royal Canadian Navy im nächsten Jahr. Die Vorgängerschiffe der Protecteur-Klasse waren nicht vom gleichen Schiffstyp: keine Mehrzweck-Versorgungsschiffe, sondern nur Flottentanker. Und sie sind seit rund zehn Jahren außer Dienst gestellt.

Die kanadische Marine braucht daher quasi ein Update für den Betrieb von Versorgungsschiffen, gerade wie denen der Berlin-Klasse. Denn dieser in Deutschland gebaute Schiffstyp, zu dem auch die „Frankfurt am Main“ gehört, ist zugleich auch Vorlage für die neuen kanadischen Marineschiffe: Die Protecteur-Klasse ist ein modifizierter Lizenzbau.

Die „Frankfurt am Main“ und ihre Schwestern: Vorbilder aus Deutschland

Großes graues Schiff in See ist mit Drahtseilen und schwarzem Schlauch mit zweitem Schiff verbunden.

Ein Standardverfahren, das alle NATO-Partner teilen: die „Frankfurt am Main“ bei einem Seeversorgungsmanöver

Bundeswehr/Nico Theska

Wie bei der Bundeswehr orientieren sich die kanadischen Streitkräfte beim Erwerb neuer Systeme an den Fähigkeiten, die sie bieten sollen. „Was wir bei der Beschaffung der Protecteur-Klasse betrachtet haben, war nicht so sehr das Schiff selbst, sondern vielmehr das, was das Schiff leisten sollte“, erklärt Creasy.

Die kanadische Marine hatte hinsichtlich der Größe der eigenen Bauwerft wie auch der Größe des Schiffes selbst gewisse Vorgaben. Die Fähigkeiten sollten eine optimale Mischung aus größtmöglicher Versorgung für Kampfschiffe wie auch teilstreitkraftübergreifende Unterstützung bieten. Wichtig waren den Kanadiern zum Beispiel Aspekte wie das Handling von Hubschraubern, das Schiffslazarett und die Munitionslagerung. 

Die Berlin-Klasse eines deutschen Herstellers wäre auf dem internationalen Markt das beste Angebot gewesen, die beste Mischung aus den benötigten Fähigkeiten für die kanadische Marine, so Creasy. „Also haben wir das Design gekauft und daran noch Änderungen vorgenommen.“

Notwendige Anpassungen an einem bewährten deutschen Schiffstyp

„Wir haben mit dem SH-148 Cyclone einen viel größeren Mehrzweckhelikopter als die Deutsche Marine“, sagt Korvettenkapitän Cyrus S.* Er ist Ladungsoffizier der zukünftigen „Protecteur“ und hat zurzeit auch die Position des Schiffstechnikoffiziers inne. „Wir mussten also Form und Größe des Hangars anpassen und damit verbundene Designänderungen an den Aufbauten vornehmen“, führt er aus „Aber zum Beispiel die Rumpfform selbst, der Aufbau der Antriebsanlage oder die Kraftstoffbunker sind gut so, wie sie bereits sind.“ 

Drei Marinesoldaten in dunkelblauer Arbeitsuniform auf dem Deck eines Schiffs

Commander Creasy (l.) mit seinem Führungsteam beim Einlaufen des IPDIndo-Pacific Deployment-Verbandes in Halifax

Bundeswehr/Nico Theska

Den Kanadiern ging es bei ihrer Mitfahrt aber vor allem um die Betriebsabläufe auf dem deutschen Schiff. „Jeder Tag an Bord ist für uns damit gefüllt, die deutsche Arbeitsweise im Detail kennenzulernen, sie mit unserer zu vergleichen – und vor allem mit der Weise, wie für uns ein Versorgungsschiff funktioniert“, sagt Korvettenkapitän Ryan D.*, Creasys Erster Offizier. „Es ist zehn Jahre her, dass die kanadische Marine über diese Fähigkeit verfügt hatte. Dieses Schiff ist dem, was wir bekommen werden, viel ähnlicher als unsere alte Schiffsklasse. Das ist letztlich der Grund, warum wir hier sind: to pick your brain – um Wissen abzugreifen.“

Kommandant Creasy liefert dafür Beispiele. „Wir lernen so einige Praktiken von der deutschen Marine, die ich sehr schätze, wie für das Management des Brückenteams“, ergänzt er seinen Ersten Offizier. Auch lernten er und seine Offiziere viel über die militärmedizinischen Einrichtungen und Abläufe auf dem deutschen Einsatzgruppenversorger. „Damit können wir besser abschätzen, wie wir das Sanitätspersonal der ‚Protecteur‘ zusammenstellen, um die Fähigkeiten des Schiffs voll auszuschöpfen.“

Abgucken aus der Praxis an Bord eines Einsatzgruppenversorgers

Nach ihrer Indienststellung ist vorgesehen, dass der erste der beiden neuen Einsatzgruppenversorger der Pazifikkräften der Royal Canadian Navy zugeteilt wird, sein Schwesterschiff den Atlantikkräften. Solche Schiffstypen sind enorm wichtig für die kanadische Flotte, denn sie muss allein schon für ihre Heimatgewässer mit enormen Distanzen umgehen. Kanada besitzt die weltweit längste Küstenlinie entlang von drei Ozeanen: Atlantik, Pazifik und Arktischer Ozean.

Die Royal Canadian Navy verfügt über zwei räumlich getrennte Großverbände mit Marinebasen an der Ost- und Westküste – ganz wie die Deutsche Marine, die sich in Verbände für zwei Randmeere gliedert: Nordsee und Ostsee. Doch vom Marinestützpunkt Wilhelmshaven zum Stützpunkt Kiel dauert eine Fahrt mit der Route durch den Nord-Ostsee-Kanal nur rund einen Tag. 

Kanadische Schiffe brauchen für eine Verlegung von Halifax in Nova Scotia am Atlantik durch den Panamakanal nach Esquilmalt in British Columbia am Pazifik fast einen Monat. Die Fregatten, Patrouillenschiffe, Mehrzweckboote und U-Boote der kanadischen Marine können leistungsfähige Versorgungsschiffe also sehr gut gebrauchen.

Der noch ungestrichene Stahlbug eines großen Schiffes in einem Trockendock.

Kanadische Werft, deutsche Baupläne: der Rohbau der künftigen HMCSHis/Her Majesty's Canadian ShipProtecteur“ in den Vancouver Shipyards, August 2023

Seaspan/21Stops.com/Mike Savage

Für Landon Creasy war die Mitfahrt auf der „Frankfurt am Main“ die erste Zusammenarbeit mit der Deutschen Marine und damit auch das erste Kennenlernen der Berlin-Klasse. „Das war also ein großartiges Erlebnis!“, sagt er. Er und sein Führungsteam hätten in den zehn Tagen an Bord erstaunlich viel über das Schiff gelernt. Abgesehen von Details würde die deutsche und kanadische Marine mehr verbinden als unterscheiden. „Wir sind also sehr, sehr dankbar für die Möglichkeit, nicht nur das Schiff zu besichtigen, sondern auch neue Freunde zu finden“, so Creasy.

Sobald HMCSHis/Her Majesty's Canadian Ship „Protecteur“ in Dienst gestellt ist, planen die Kanadier, die Crew der „Frankfurt am Main“ für einen Gegenbesuch einzuladen. So können sie ihren Neubau präsentieren und dessen Veränderungen im Vergleich zur Berlin-Klasse. „Mein Traum ist es“, schließt Creasy, „in anderthalb Jahren die ‚Protecteur‘ zusammen mit der ‚Frankfurt am Main‘ auf einem Foto im Pazifik zu sehen.“

*Namen zum Schutz abgekürzt.

von  David Wähner, Marcus Mohr  E-Mail schreiben

Mehr zum Thema