Suez-Blockade: Zeichen strategischer Empfindlichkeit
Suez-Blockade: Zeichen strategischer Empfindlichkeit
- Datum:
- Ort:
- Hamburg
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Sieben Tage lang hat die havarierte „Ever Given“ den Suezkanal blockiert. Der Unfall zeigt, wie fragil der globale Seehandel ist.
Der Suezkanal, eine der global wichtigsten Handelsrouten, war zwischen dem 23. und 29. März blockiert. Das Containerschiff „Ever Given“ war frühmorgens am 23., kurz nach Einlaufen in den 190 Kilometer langen Kanal aus Richtung Süden, auf die Böschung gefahren.
Experten vermuten, dass starke, böige Seitenwinde das knapp 400 Meter lange Schiff erfasst und von seinem Kurs abgebracht hatten. Mit einer Ladungskapazität von über 20.000 Standard-Containern gehört die „Ever Given“ zu den gut 100 größten Schiffen dieses Typs weltweit. Der große Umfang der Ladung ist es auch, die ein Freikommen des Schiffs so schwierig machte.
Denn laut der mit der Bergung beauftragten niederländischen Spezialfirma war es erst möglich, die „Ever Given“ wieder zu bewegen, nachdem an der Böschung gut 20.000 Kubikmeter Sand abgetragen worden wären. Zudem hätte gegebenenfalls das Gesamtgewicht des Schiffs reduziert werden müssen. Erst dann konnte man unter Ausnutzen der Gezeiten versuchen, den Frachter freizuschleppen.
Das dazu geeignete Zeitfenster hat sich nun ergeben. Der um einen halben Meter angestiegene Wasserpegel im Kanal machte es möglich, am Morgen des 29. März zunächst das Heck des Schiffs wieder zu bewegen. Am Nachmittag ist schließlich auch der Bug freigekommen. Die Vollmondtide am Sonntag von circa 50 Zentimetern hatte dem Containerriesen etwa 10.000 Tonnen mehr Auftrieb verschafft, was einer Entladung um rund 1.200 Containern entspricht.
Ein aufwendiges, zeitfressendes Entladen der Container per Kran oder Lastenhubschrauber war also nicht nötig geworden. Wäre der Bergungsversuch gescheitert, hätte sich eine nächste Gelegenheit erst nach 12 bis 14 Tagen wieder ergeben.
Die Bedeutung des Suezkanals für Deutschland
Diese einzelne Havarie hat wegen ihrer globalen Auswirkungen strategische Bedeutung. Es ist Aufgabe der Marineschifffahrtleitung in Hamburg, solche und andere Vorfälle sorgfältig zu beobachten sowie für die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium zu analysieren. Die Dienststelle ist ein Dezernat der Abteilung Einsatz des Marinekommandos.
Der Unfall der „Ever Given“ macht deutlich, wie abhängig die globale Wirtschaft von maritimen Engpässen wie dem Suezkanal ist und wie anfällig sie für Störungen sein kann. Laut Schifffahrts- und Versicherungsexperten nehmen etwa zehn bis zwölf Prozent des gesamten Welthandels den Weg durch den Kanal.
Deutschland als globale Handelsnation, vom Import von Rohstoffen aller Art abhängig, ist besonders auf einen ungestörten Seehandel angewiesen. Und die Hauptschlagader dieses Handels führt durch den Suezkanal: 98 Prozent der zwischen Deutschland und China verkehrenden Containerschiffe wählen diese Route. Eine andauernde Unterbrechung der Schiffsbewegungen hätte einschneidende wirtschaftliche Folgen.
Die Schließung von sogenannten maritimen Choke points wie diesem ist stets eine reale Gefahr. Bei möglichen internationalen Krisen könnten zum Beispiel nur wenige Seeminen den Suezkanal oder andere Meerengen wie etwa die Straße von Hormuz de facto vollkommen abriegeln. Auch Terroranschläge, zum Beispiel auf Schleusen oder Schiffe, lassen sich nicht ausschließen. Der Suezkanal selbst war zuletzt bis 1975 für acht Jahre während der israelisch-arabischen Kriege gesperrt.
Der Kanalblockade folgt eine Kettenreaktion von Auswirkungen
Die Marineschifffahrtleitung kalkuliert in einer internen Analyse damit, dass die Reise vom Suezkanal nach Hamburg durchschnittlich zehn Tage dauert. Damit würden sich die unmittelbaren Folgen der Havarie der „Ever Given“, das heißt zunächst Schiffsausfälle in der Abfertigung, vermutlich erst um den 2. April im Hamburger Hafen zeigen. Sobald der Kanal wieder freigegeben ist, könne Tage später eine größere Zahl von Schiffen zeitgleich vor der Elbmündung eintreffen.
Die Verzögerungen werden auch dazu führen, dass sich die weltweiten Seetransportkapazitäten einschließlich der Zahl verfügbarer Container verknappen. Letztere sind laut den Seehandelsexperten der Marine schon jetzt in China Mangelware. Währenddessen warteten am 29. März schon 400 Schiffe in Mittelmeer und Rotem Meer darauf, dass der Suezkanal wieder freigegeben wird.
Ebenfalls rechnet die Marineschifffahrtleitung damit, dass Störungen im Fahrplan der Schiffe und der Hafenrotationen am Ende ihrer Reiserouten noch bis zu drei Monaten andauern können. Bei einer Verzögerung des Warenverkehrs von maximal einer Woche seien allerdings keine signifikanten Einschränkungen in der Produktion in Europa zu erwarten. Ob die die daraus resultierenden Kosten an Kunden weitergeben werden, sei jetzt noch nicht genau abzuschätzen.
Obwohl der Ölpreis am Tag nach der Havarie leicht anzog, gehen Energiemarktexperten aktuell nicht von einem signifikanten Preisanstieg aus. Mit freien Pipelinekapazitäten und alternativen Seerouten würden ausreichend Redundanzen für den europäischen Energienachschub zur Verfügung stehen.
Hintergrund
Deutschlands Handelsflotte gehört nach Nationalität der Eigner mit 2.715 Handelsschiffen zu den größten der Welt. Mit einer Wirtschaftskraft von rund 500 Milliarden Euro ist sie einer der wichtigsten und fortschrittlichsten Wirtschaftszweige des Landes. Laut Statistischem Bundesamt sind rund 400.000 Arbeitsplätze in über 2.800 Unternehmen direkt oder indirekt mit der Seewirtschaft verbunden.
Jährlich führt die Bundesrepublik über den Seeverkehr Waren und Güter mit einer Gesamtmasse von 300 Millionen Tonnen ein- und aus. 2020 hat sie Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 1,2 Billionen Euro exportiert, im Wert von gut 1,0 Billionen Euro importiert. Der Exportüberschuss lag bei über 179 Milliarden Euro.