Marine
Von See an Land und umgekehrt

Amphibische Operationen: Wer braucht schon Häfen?

Die niederländische „Rotterdam“ ist als Docklandungsschiff besonderes spezialisiert. Sie ist wichtig für die See-Evakuierung bei der Übung Schneller Adler der Bundeswehr.

Ein graues Schiff liegt in einem Fjord.

Sie sind eine Kombination aus Bootshafen, Flughafen, Kaserne, Parkhaus, Kommunikationszentrum und Krankenhaus: Docklandungsschiffe. Die Königlich-Niederländische Marine verfügt über zwei dieser amphibischen Transportschiffe, und zwar HNLMSHis/Her Netherlands Majesty's Ship „Johan de Witt“ und HNLMSHis/Her Netherlands Majesty's Ship „Rotterdam“. Letztere ist bei der deutsch-niederländischen Übung Schneller Adler 2022 die Plattform, von der aus die seegestützte Evakuierung abläuft.

Hauptaufgabe solcher Marineschiffe ist, amphibische Operationen an der Grenze zwischen Land und Meer zu führen und zu unterstützen. Die Schiffe können, ohne auf die Infrastruktur eines Hafens angewiesen zu sein, Personal und Güter an Land bringen oder von dort aufnehmen. Mit Landungsbooten und Transporthubschraubern bewegen sie Truppen und Ausrüstung von See an Land oder umgekehrt.

Niederländische Fähigkeiten, die auch die Deutsche Marine nutzt

Ebenso können „Rotterdam“ und „Johan de Witt“ auch als schwimmende Kommandozentrale für die Leitung groß angelegter amphibischer und anderer maritimer Operationen dienen. Und sie lassen sich bei Krisenmanagementoperationen, Naturkatastrophen und Evakuierungen einsetzen.

Die spezialisierte Streitmacht aus den beiden Docklandungsschiffen ergänzt das Mehrzweck-Versorgungsschiff HNLMSHis/Her Netherlands Majesty's Ship „Karel Doorman“, das ebenfalls über begrenzte amphibische Fähigkeiten verfügt. Die drei Schiffe sind die größten der niederländischen Marine und in Den Helder stationiert.

Durch die 2016 geschlossene deutsch-niederländische Kooperation kann auch das Seebataillon der Bundeswehr die Fähigkeiten dieser besonderen Schiffe nutzen. Seesoldaten aus Eckernförde trainieren seither immer intensiver mit ihren niederländischen Kameradinnen und Kameraden.

Hafen, Kräne und Kais nicht erforderlich

Amphibische Transportschiffe wie die „Rotterdam“ werden fachlich genau als Landing Platform Dock (LPDLanding Platform Dock) bezeichnet. Denn um Personal und Güter unabhängig von Häfen an Land bringen zu können, lässt sich das Heck des Schiffes um vier Meter absenken. Seewasser flutet dann in das sogenannte Welldeck, im Grunde ein im Schiff eingebautes Schwimmdock, und die Landungsboote des LPDLanding Platform Dock können ausfahren, um zum Beispiel an einem flachen Strand zu landen. Die „Rotterdam“ kann in ihrem Welldeck mehrere solcher Fahrzeuge transportieren: zum Beispiel zwei größere LCULanding Craft Utility​s (Landing Craft Utility) und drei kleinere LCVPLanding Craft Vehicle Personnel​s (Landing Craft Vehicle Personnel).

Beide niederländische LPDLanding Platform Dock​s haben einen einzigartigen dieselelektrischen Antrieb: Dieselgeneratoren erzeugen Energie für Elektromotoren, die wiederum die Schiffsschrauben antreiben. Mit diesem Antrieb können die Transportschiffe mit besonders niedriger Geschwindigkeit fahren und gleichzeitig Landungsboote ein- und ausschiffen.

Laderäume für Kampfpanzer und Lastkraftwagen

Indessen können auf dem Flugdeck der beiden Schiffe zwei Hubschrauber gleichzeitig starten beziehungsweise landen. Im Hangar, in den Aufbauten, ist Platz für vier mittelgroße Transporthelikopter. Die Laderäume der Schiffe selbst können darüber hinaus nahezu jeden Fahrzeugtyp aufnehmen: zum Beispiel bis zu 32 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 oder Fahrzeuge des Flugabwehr-Raketensystems PatriotPhased Array Tracking Radar to Intercept on Target. Nicht zuletzt lassen sich an Bord bis zu 610 Soldatinnen und Soldaten zusätzlich zur Stammbesatzung einschiffen.

„Rotterdam“ und ihr Schwesterschiff „Johan de Witt“ sind damit zum Beispiel in der Lage, ein komplettes Marineinfanteriebataillon zu transportieren und anzulanden, einschließlich Nachschub für zehn Tage.

Die „Rotterdam“ in Aktion

Ein autarkes Multi-Rollen-Schiff mit Selbstschutz

Die „Rotterdam“ selbst ist für rund einen Monat ohne Probleme autark, inklusive Versorgung für die Besatzung und die Marineinfanteristen an Bord. Das Schiff verfügt zudem über eine Entsalzungsanlage, die aus Meerwasser Trinkwasser herstellen kann. Es gibt ebenfalls ein Notkrankenhaus für 100 Patienten an Bord, mit Behandlungsräumen, OP-Tischen und Intensivbetten.

Allerdings sind LPDLanding Platform Dock​s keine Kampfschiffe. Ihre Bewaffnung beschränkt sich auf den Selbstschutz. Beide niederländischen Schiffe dieses Typs besitzen zwei Goalkeeper-Flugabwehrsysteme für den Nahbereich. Diese Schnellfeuerkanonen mit einer Kadenz von 4.200 Schuss pro Minute schützen die LPDs aus nächster Nähe vor angreifenden Anti-Schiff-Flugkörpern. Ebenso können „Rotterdam“ und „Johan de Witt“ bis zu zehn schwere 12,7-Millimeter-Maschinengewehre an festgelegten Positionen auf dem Oberdeck einrüsten.

In den Einsatz am besten mit Kampfschiffen gemeinsam

Zur Luftverteidigung des Schiffs können mitfahrende Marineinfanteristen mit Ein-Personen-Flugabwehrraketen zum Beispiel vom Typ Stinger beitragen. Grundsätzlich aber wird ein LPDLanding Platform Dock in einer Gefechtssituation durch andere spezialisierte Kriegsschiffe geschützt, beispielsweise durch Fregatten der niederländischen De-Zeven-Provinciën- oder der deutschen Sachsen-Klasse. Die Landungsschiffe selbst verfügen über Radar-, Video- und Infrarotsensoren, um Gefahren rechtzeitig zu erkennen, und Täuschsysteme, um Torpedos und radargesteuerte Raketen abzulenken.

Ebenfalls können die niederländischen LPDLanding Platform Dock​s Torpedos transportieren, als Bewaffnung für eigene Bordhubschrauber oder als Reserve für eskortierende Fregatten. Denn haben „Rotterdam“ oder „Johan de Witt“ NHNATO-Helicopter-90-Marinehubschrauber eingeschifft, können diese von ihrer Basis auf einem LPDLanding Platform Dock auch U-Boote bekämpfen.

Technische Daten

Maẞe

  • 166 m Länge (über alles)
  • 27 m Breite
  • 6 m Tiefgang
  • 14.000 t volle Einsatzverdrängung

Antrieb

  • 4 x Dieselmotor
  • 2 x 2 kombinierte Elektromotoren
  • 2 x Propeller
  • 14.600 kW (19.800 PS) Gesamtleistung
  • 2 x Propeller
  • mehr als 21 kn Geschwindigkeit

Sensoren

  • 1 x NS100 Luft- und Oberflächen-Suchradar
  • 2 x Navigationsradar
  • 1 x 360-Grad-Infrarotüberwachung Gatekeeper
  • Radar-Warnsysteme

Waffen

  • 2 x Maschinenkanone 27 mm Goalkeeper, Reichweite mehr als 1.500 m
  • max. 10 x schweres Maschinengewehr 12,7 mm
  • 1 x AN/SQ-25 Nixie Torpedo-Täuschsystem
  • Anti-Radar-Täuschkörper

Besatzung und Sonstiges

  • Stammcrew: 130 Soldaten und Soldatinnen
  • Zusatzpersonal: max. 610
  • max. 4 x Hubschrauber (Typ NHNATO-Helicopter-90 oder Cougar) im Hangar
  • max. 6 x Landungsboote (Typ LCVPLanding Craft Vehicle Personnel) im Welldeck

Stolze Geschichte und scharfer Einsatz

Das LPDLanding Platform Dock „Rotterdam“ ist nach der zweitgrößten Stadt der Niederlande benannt. Diese größte Hafenstadt Europas ist mit der niederländischen Marine eng verbunden. Zu den ersten Kriegsschiffen ihres Namens gehörten bereits zu Zeiten der Republik im 17. und 18. Jahrhundert mehrere Fregatten und Linienschiffe der Rotterdamer Admiralität. Auch war die Stadt bis Mitte des 19. Jahrhunderts wichtiger Werftstandort für die Marine.

Ein rundes Wappen, horizontal zweigeteilt; oben vier Löwen, unten drei senkrechte Streifen Grün-Grau-Grün.

Das Schiffswappen ist an das Emblem der Stadt Rotterdam angelehnt. Auf dem Wappen ist auch das Motto der „Rotterdam“ festgehalten: „Durch den Kampf stärker“.

Mediacentrum Defensie

Zur Garnison der niederländischen Marineinfanterie wurde Rotterdam erst im 19. Jahrhundert. Aber schon früher lebten dort viele Seesoldaten des 1665 gegründeten Korps Mariniers.

Der Kiel der heutigen „Rotterdam“ wurde 1996 bei der Schelde-Gruppe in Vlissingen gelegt. Die Marine stellte das LPDLanding Platform Dock 1998 in Dienst. Schon ein Jahr später nahm es an der NATO-Operation Allied Harbour vor der Küste Albaniens teil. Weitere Einsätze der „Rotterdam“ seither waren zum Beispiel die UNUnited Nations-Friedensoperationen UNMILUnited Nations Mission in Liberia in Liberia und UNMEEUnited Nations Mission in Ethiopia and Eritrea vor der Küste Eritreas sowie die Anti-Piraterie-Missionen Atalanta der EUEuropäische Union und Ocean Shield der NATO.

Im Einsatz hat die „Rotterdam“ die Notwendigkeit ihrer Bewaffnung für den Selbstschutz bereits erlebt. Im Herbst 2012 wurde sie am Horn von Afrika von somalischen Piraten von einem gekaperten Fischerboot aus beschossen. Das LPDLanding Platform Dock erwiderte das Feuer, setzte das Boot in Brand und konnte die Seeräuber festnehmen.

Veröffentlicht am: 03.05.2022, zuletzt aktualisiert am: 04.05.2022    
Ort: Rostock    
Lesedauer: 4 Minuten

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