VAPB – Der deutsche Kontingentführer im Interview
VAPB – Der deutsche Kontingentführer im Interview
- Datum:
- Ort:
- Ämari
- Lesedauer:
- 5 MIN
Im Interview erklärt Oberstleutnant Sebastian Fiedler Hintergründe zum Combined Air Policing der britischen Royal Air Force (RAF) und der deutschen Luftwaffe. In der Woche vom 5. bis 9. Oktober 2020 fliegen deutsche Eurofighter der „Verstärkung Air Policing Baltikum 2020/2021“ (VAPB 2020/21) gemeinsame Missionen mit Eurofightern (engl. Bezeichnung: TYPHOON) der No. 3 Squadron der RAF aus dem englischen Coningsby.
Der 39-jährige Oberstleutnant, in der Heimat Kommandeur der Fliegenden Gruppe des Taktischen Luftwaffengeschwaders 71 „Richthofen“ in Wittmund, ist aktuell Kontingentführer des deutschen Kontingents bei der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mission zur Luftraumsicherung im Baltikum. Seit September 2020 beteiligt sich die Bundeswehr von der Ämari Air Base in Estland aus mit Eurofightern an der Sicherung des Luftraums über den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen.
Oberleutnant Daniel Waite: Herr Oberstleutnant, was ist das Ziel der Woche des gemeinsamen Flugbetriebs von Royal Air Force und Luftwaffe beim Combined Air Policing Baltikum in Ämari?
Oberstleutnant Sebastian Fiedler: Wir haben beim NATONorth Atlantic Treaty Organization Air Policing den gleichen Auftrag und das gleiche Ziel wie die Royal Air Force, wenn sie hier im Baltikum im Einsatz ist. Daher wollen wir in dieser Woche mit gemeinsamen Flugbetrieb die Interoperabilität zwischen unseren Kontingenten stärken. Außerdem wollen wir weiter erproben, wie sich hierdurch Ressourcen sparen lassen. Dies betrifft nicht nur Piloten und Jets, sondern zum Beispiel auch logistische und medizinische Fähigkeiten. Diese müssen beim Combined Air Policing nicht doppelt, also von beiden Nationen, abgebildet werden. Stattdessen stellen wir uns gegenseitig unsere Fähigkeiten zur Verfügung. Das Ziel hierbei lautet: eine gemeinsame Air Policing Mission mit Personal und Material aus beiden Nationen durchzuführen.
Waite: Welche Ereignisse waren bisher die wichtigsten auf dem Weg hin zu diesem Ziel?
Fiedler: Man kann das bisherige Vorgehen beim Combined Air Policing in drei Schritte aufteilen: Der erste Schritt erfolgte bei der letzten Rotation mit deutscher Beteiligung an der Mission VAPB im Mai 2019. Damals gab es bei der Übergabe der Verantwortung von der Luftwaffe an die RAF zum Ende des Kontingents erste gemeinsame Operationen. Dies geschah als beide Kontingente noch vor Ort in Ämari in Estland waren. Damals wurden bereits weitere Schritte zur Vertiefung der Zusammenarbeit identifiziert.
Darauf aufbauend haben wir dieses Jahr im zweiten Schritt während der Air Policing Mission der RAF im litauischen Siauliai ein kleines Kontingent der Luftwaffe an das Kontingent unserer britischen Gastgeber angedockt – dies nennen wir „Plug & Fight“. Hierbei waren circa 35 Soldatinnen und Soldaten des Taktischen Luftwaffengeschwaders 71 „Richthofen“ aus Wittmund mit zwei Eurofightern vor Ort, um gemeinsame Missionen zu fliegen und die Zusammenarbeit zwischen den Frauen und Männern aus Großbritannien und Deutschland zu verbessern.
Nun folgt diese Woche der dritte Schritt, indem ein kleines britisches Kontingent der No. 3 Squadron der RAF mit zwei Eurofightern an unser Kontingent der Mission VAPB hier in Ämari andockt. Wir werden wieder gemeinsam Missionen planen, durchführen und anschließend auswerten. Der Schwerpunkt liegt neben den gemeinsamen Flügen vor allem auf logistischen und technischen Verfahren. Zum Beispiel: Welche Arbeitsschritte kann ein britischer Wart am deutschen Eurofighter durchführen und umgekehrt.
Waite: Blicken wir auf den ersten Schritt im Mai 2019: Welche Erfahrungen haben Sie beim ersten gemeinsamen Flugbetrieb gemacht, als Sie als Kontingentführer vor Ort in Ämari waren?
Fiedler: Der gemeinsame Flugbetrieb hat sehr gut funktioniert, so haben wir zum Beispiel Anteile von Flugmissionen bereits in gemischten Formationen mit einem Piloten der Luftwaffe als Formationsführer und einem Briten als Flügelmann durchgeführt – und umgekehrt. Auch die gemeinsame Übung von taktischen Verfahren im Rahmen des Air Policings hat gut funktioniert.
Herausforderungen haben wir vor allem im technisch-logistischen Bereich angetroffen. Dies betrifft die Lizenzierung des Personals und des Materials in der Technik und die logistischen Systeme. Hier haben wir Maßnahmen identifiziert, um unsere gemeinsame Zusammenarbeit weiter zu optimieren und zu vertiefen.
Waite: Was soll diese Woche in Hinblick auf die weitere Verzahnung des Eurofighter-Flugbetriebs der beiden Nationen konkret geschehen?
Fiedler: Diese Woche planen wir gemeinsame Übungsschutzflüge, genannt „Tango-Scrambles“, bei denen je ein britischer und ein deutscher Eurofighter gemeinsam alarmiert werden. Diese starten als sogenannte Alarmrotte (Quick Reaction Alert, QRAQuick Reaction Alert) anschließend in höchstens 15 Minuten und führen eine Mission durch. Dies kann zum Beispiel die Identifizierung eines unbekannten Luftfahrzeuges sein. Wir beabsichtigen diese Flüge vom Start bis zur Landung als gemischte Formation durchzuführen.
Neben den gemeinsamen Flügen wollen wir im technisch-logistischen Bereich weiter die Verzahnung der Arbeiten an unseren Luftfahrzeugen ausbauen. So sollen beispielsweise Wartungsarbeiten von einem deutschen Techniker an einem britischen Eurofighter durchführt werden.
Waite: Welche Bereiche des deutschen Kontingents sind in dieser Woche des gemeinsamen Flugbetriebs besonders gefordert?
Fiedler: Das komplette Kontingent ist gefordert, damit wir das Konzept „Plug & Fight“ mit Leben füllen können. Hierbei stehen nicht nur Techniker, Logistiker und Piloten im Fokus. Auch andere Bereiche, wie zum Beispiel unsere ITInformationstechnik-Fachleute werden gefordert sein – oft auch in Koordination mit unseren estnischen Gastgebern in Ämari.
Waite: Auf welches Ereignis freuen Sie sich in Hinblick auf diese Woche persönlich besonders?
Fiedler: Ich freue mich zum einen auf die gemeinsamen Missionen und die Zusammenarbeit zwischen den Soldatinnen und Soldaten unserer beiden Nationen hier vor Ort auf der Ämari Air Base. Zum anderen freuen wir uns alle im Kontingent darauf, gemeinsam von und mit der Royal Air Force zu lernen und unseren eigenen Horizont zu erweitern. Sowohl im fliegerischen Bereich, als auch am Boden – zum Beispiel bei der Technik. Dies geschieht im Hinblick auf die weitere geplante binationale Verzahnung unserer Luftwaffen im Rahmen des Combined Air Policing.
Waite: Mit dem Blick in die Zukunft: Was sind die nächsten Schritte zur Vertiefung der Zusammenarbeit der Royal Air Force und der deutschen Luftwaffe im Rahmen des Combined Air Policing?
Fiedler: Als nächsten Schritt für das Jahr 2021 planen wir ein erneutes Andocken im Rahmen des Prinzips „Plug & Fight“ – diesmal wieder mit den Briten als aufnehmende Nation. Dort wollen wir unsere Zusammenarbeit im binationalen Umfeld weiter vertiefen, mit dem Ziel in der Zukunft ein gemischtes Kontingent für Schutzflüge im Rahmen einer Air Policing Mission aufzustellen.