Luftwaffe
Lehrgang in Fürstenfeldbruck

Überleben mit Blasen und leerem Magen

Überleben mit Blasen und leerem Magen

Datum:
Ort:
Pfullendorf
Lesedauer:
5 MIN

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Gefürchteter Höhepunkt eines jeden Offizierlehrgangs an der Offizierschule der Luftwaffe ist das viertägige Überlebenstraining – mit sehr wenig Schlaf und noch weniger Essen. Kurz vor dem Ende der achtmonatigen Ausbildung wird Offizieranwärterin Elena K.* noch einmal alles abverlangt – körperlich wie mental.

Zwei junge Soldaten sitzen auf einer Stange.

Elena K. (rechts) bei einer Team-Challenge: Die ganze Gruppe muss in 20 Minuten das Hindernis überwinden. Wie die Teilnehmenden das schaffen, ist ihnen überlassen. Die einzige Prämisse: Keiner darf den Boden berühren.

Privat/Frank Kerwien

Wie bereitet man sich auf die Strapazen der bevorstehenden Tage am besten vor?  In den nächsten Tagen wird es nämlich weder nennenswerten Schlaf noch Essen geben. Einige meiner Kameradinnen und Kameraden sammeln auf der zweistündigen Busfahrt in das Ausbildungszentrum „Spezielle Operationen“ im baden-württembergischen Pfullendorf die letztmöglichen Minuten Schlaf, andere stopfen sich mit Essen so voll, wie sie nur können. Ich dagegen hatte versucht, schon in den Tagen zuvor beides herunterzufahren. Wehmütig schaue ich aus dem Busfenster und frage mich, ob das so clever war.

Überleben in unbekannter Umgebung

Der Bus stoppt. Wir sind in dem Camp angekommen, in dem mein Hörsaal und ich den berüchtigten Überlebenslehrgang absolvieren sollen. Genannt wird dieser „SERESurvival, Evasion, Resistance and Extraction“ – das steht für Survival, Evasion, Resistance, Extraction, also Überleben, Ausweichen/Flucht, Widerstand und Rückführung, wenn man von eigenen Kräften abgeschnitten ist. Bei diesem Training geht es für die Offizieranwärterinnen und -anwärter um das Überleben in unbekannter Umgebung, hinter feindlichen Linien und unter ungünstigen Bedingungen – mit dem Ziel der eigenen Rettung und Rückführung, kurz Personnel Recovery.

Die ersten Stationen sind schon Routine: Feuermachen und Schrägdach für eine eigene Unterkunft bauen, die wir leider kaum nutzen werden. Der erste Hunger macht sich bemerkbar und ich denke nur: Das kann ja was werden ...

Erster Nachtorientierungsmarsch nach Mitternacht

Das Magenknurren ist nicht mehr zu überhören, als wir uns bis spät nachts auf Englisch Unterrichte anhören (müssen). Kurz nach Mitternacht geht es dann richtig los. Unser Auftrag: einen 80 Kilo schweren Dummy und eine klobige Munitionskiste zurück ins Camp bringen. Müdigkeit macht sich breit, und auch das Schleppen der Puppe kostet uns viel Kraft. Als wir im Morgengrauen endlich das Camp erreichen, baue ich schnell meinen Schlafplatz im Wald auf, selbst wenn ich mich nur für wenige Minuten ausruhen kann.

Zwei junge Menschen klettern im Kletternetz.

Rucksack auf, Gewehr um: Jeder und jede muss samt Ausrüstung am Kletternetz nach oben

Privat/Frank Kerwien

Klettern in luftigen Höhen

Ich wache total gerädert auf. Frühstück? – Fehlanzeige! Stattdessen kraxeln wir im Camp-eigenen Kletterwald. Es geht darum, luftige Höhen zu überwinden und sich möglichen Ängsten zu stellen. Das klingt nach Freizeitspaß, für den andere Geld bezahlen. Für uns ist es jedoch angesichts des fehlenden Schlafs und der Anstrengungen der letzten Nacht überschaubar spaßig, aber immer noch der unterhaltsamste Teil in diesen vier Tagen.

Ein hartgekochtes Ei als Belohnung

Es könnte (Konjunktiv!) nach zwei Tagen etwas zu essen geben. Wer es schafft, in 25 Minuten Feuer zu machen – selbstverständlich ohne Feuerzeug – und in einem Topf mit Wasser ein Ei hart zu kochen, darf dieses hinterher essen. Wie wild rennen wir alle in den Wald und sammeln Reisig für unsere Feuer, denn das könnte nach zwei Tagen unsere erste „Mahlzeit“ sein! Bei mir klappt es. Nach 16 Minuten kocht mein Wasser. Glücklich sitze ich in der Wiese und genieße mein Ei in kleinen Stücken.

Müdigkeit ist schlimmer als Hunger

Wir machen uns für den zweiten nächtlichen Orientierungsmarsch fertig. Zu allem Überfluss schüttet es wie aus Kübeln, während wir uns durch den Wald schlagen. Zwei Stunden verlieren wir, weil wir den Weg nicht finden. Das kostet schmerzhafte Extra-Kilometer. Bei jeder Pause schlafen wir sofort auf unseren Rucksäcken ein. Der eingeteilte Gruppenführer hat alle Mühe, uns immer wieder aufzuscheuchen. Müdigkeit ist schlimmer als Hunger. Letzterer tut inzwischen auch weniger weh, weil die unzähligen Blasen an den Füßen deutlich mehr schmerzen. Der Rucksack ist bleischwer und die Augen fallen uns sogar beim Gehen immer wieder zu. Nach acht Stunden Marschieren erreichen wir bei Sonnenaufgang das Camp.

Wut, Verzweiflung und ein selbst gefangener Fisch

Ohne Zeit zum Schlafen geht es im Eilmarsch rauf auf den Berg Falkenstein. Dort seilen wir uns von einer 30 Meter hohen Felswand ab. Kurz darauf folgt eine Gewässerüberquerung. Die ersten kommen an ihre Leistungsgrenze – aber in der Gruppe ziehen wir sie mit. Niemand darf zurückbleiben. Leider kommen wir nicht in der vorgegebenen Zeit am Ziel an, der Bus fährt uns vor der Nase weg. Wut, Verzweiflung und Tränen machen sich breit. Zu wissen, dass gerade eines der Ziele von SERESurvival, Evasion, Resistance and Extraction ist, uns an die Leistungs- und Willensgrenzen heranzuführen, hilft in dieser Situation herzlich wenig. Also heißt es: Kräfte sammeln und weitermarschieren. Ansporn ist allenfalls der nächste Ausbildungsabschnitt „Tierische Notnahrung“: Es gibt Fisch – aber wieder nur, wenn es gelingt, eine Bachforelle aus einem Becken mit der Hand zu fischen, sie auszunehmen und zu braten. Auch das schaffe ich.

Soldaten versuchen, das Hindernis zu überwinden.

Eine wackelige Angelegenheit: Elena K. und ihre Kameradinnen und Kameraden krabbeln vorsichtig über die selbst konstruierte Übergehhilfe

Privat/Frank Kerwien
Junge Soldatin klettert an Sprossenwand nach oben.

Ein Teil des Überlebenslehrgangs findet im bundeswehreigenen Kletterwald statt. Elena K. kämpft sich an der Wand nach oben.

Privat/Frank Kerwien

Abgesetzt im Nirgendwo und sieben Stunden Zeit

Es ist drei Uhr morgens. Wir sitzen in einem Bus und wissen nicht, wohin es geht. Irgendwo im Nirgendwo werden wir schließlich abgesetzt. Der Auftrag: innerhalb der nächsten sieben Stunden zu einem bestimmten Punkt gelangen. Wieder herrscht Zeitdruck, denn nur wer es rechtzeitig schafft, kann im Feindesland vom Hubschrauber – so das simulierte Szenario – evakuiert werden.

Am frühen Nachmittag ist alles vorbei. Ein unbeschreibliches Gefühl der Erleichterung begleitet uns auf der Rückfahrt. Die überraschende Erkenntnis: Mein Magen ist inzwischen so klein, dass ich nach einem halben der Burger, mit denen uns der Inspektionsfeldwebel an der Offizierschule der Luftwaffe begrüßt, schon satt bin. Und ein Blick in den Spiegel zeigt, dass ich beim Überlebenstraining mehrere Kilogramm verloren habe.

*Name zum Schutz der Person abgekürzt

Meine Berichte über die Ausbildung an der OSLw schließen mit diesem Teil. Die Serie wird in Kürze mit einem abschließenden Interview beendet.

von Elena K.

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