Truppenpsychologie nach der Evakuierungsoperation Afghanistan
Truppenpsychologie nach der Evakuierungsoperation Afghanistan
- Datum:
- Ort:
- Köln-Wahn
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Nach dem Truppenabzug aus Afghanistan entwickelte sich die Lage durch die rasche Machtübernahme der Taliban dynamisch und unkontrolliert. Zahlreiche deutsche und andere Staatsangehörige, sowie gefährdete afghanische Ortskräfte, wurden von der Bundeswehr im Rahmen einer MilEvakOp evakuiert. Die Gesamtumstände der Operation und insbesondere die Situation am Kabuler Flughafen stellten für das dort eingesetzte Personal eine extreme Ausnahmesituation dar.
Frau Wegner, wie und in welchem Umfang wurden die Soldatinnen und Soldaten in den letzten Wochen durch die Truppenpsychologie im Bereich der Luftwaffe unterstützt?
Die Arbeit der Truppenpsychologie setzt in so einem Fall bereits sehr frühzeitig ein. Unmittelbar mit Bekanntwerden eines Einsatzes wird geprüft, aus welchen konkreten Verbänden Personal eingesetzt wird und ob in den entsprechenden Verbänden truppenpsychologisches Fachpersonal vorhanden ist. Ist das der Fall, setzt sich dieses umgehend mit der Verbandsführung in Verbindung und stellt so psychologische Führungsberatung frühzeitig sicher. Im Rahmen dieser Führungsberatung wird von unserer Seite klar das Angebot der truppenpsychologischen Unterstützung signalisiert und aufgezeigt, mit welchen Maßnahmen unterstützt werden könnte.
Nach Abschluss eines Einsatzes wird dann anhand seiner Rahmenbedingungen konkret bewertet, wie ein Angebot ausgestaltet werden kann. Hierbei spielen insbesondere die psychischen Belastungsmomente vor Ort eine entscheidende Rolle.
Die Belastungssituation der eingesetzten Luftwaffenkräfte war vielfältig, in manchen Facetten grundverschieden. Wie wird die Truppenpsychologie diesem Umstand gerecht?
Im Fall der Evakuierungsmission war aus Sicht der Truppenpsychologie von Beginn an klar, dass es sich am Flughafen Kabul um ein Szenario handelt, das von Chaos und somit einem hohen Maß an Unsicherheit geprägt sein wird – insbesondere für das Personal, das unmittelbar vor Ort zum Einsatz kam und die Lage hautnah miterlebt hat. Hierbei sprechen wir zum Beispiel von den sogenannten „Air Mobile Protection Teams“, die den Auftrag hatten, unsere Flugzeuge am Boden zu sichern.
Gleiches gilt aber natürlich auch für Personal, das z.B. in Tashkent oder in Deutschland mit den Eindrücken dieser besonderen Operation konfrontiert war: auch hier muss die individuelle Belastungslage betrachtet werden. Jede einzelne Person begibt sich – unabhängig vom eigentlichen Auftrag – als Individuum in den Einsatz, mit mehr oder weniger Einsatzerfahrung und somit einem unterschiedlichen Hintergrund an schwierigen oder belastenden früheren Erlebnissen. Auch die private Lebenssituation fließt hier mit ein. All dies hat Einfluss darauf, wie wir auf eine aktuelle Situation reagieren und wie wir sie verarbeiten.
Genau deswegen ist es wichtig, dass wir unser Angebot an truppenpsychologischer Unterstützung an alle beteiligten Soldatinnen und Soldaten richten und bedarfsbezogen gestalten.
Wie war hier die kurzfristige, akute Herangehensweise zur Unterstützung der potentiell belasteten Soldatinnen und Soldaten? Wie sieht ein langfristiges Konzept zur Unterstützung aus?
Über die Führungsberatung findet während der laufenden Evakuierungsoperation ein kontinuierlicher Austausch zur Bewertung der aktuellen psychologischen Lage, sowie daraus abgeleitet, zu dem Bedarf an truppenpsychologischen Maßnahmen, statt. Hierzu zählt beispielsweise auch die Möglichkeit der psychologischen Unterstützung der Angehörigen von Einsatzkräften.
Nach Rückkehr der Soldatinnen und Soldaten fanden erste psychologische Nachbereitungsmaßnahmen statt, die bedarfsbezogen für die einzelnen Verbände und Einheiten ausgeplant und durchgeführt wurden. In der Regel handelt es sich hier um Gruppengespräche, bei der die Teilnehmenden nach Möglichkeit aufgabenbezogen eingeteilt werden. Ein wesentliches Ziel der Gespräche ist es, eine erste Entlastung zu schaffen. Es können jegliche Aspekte angesprochen werden, die im Zusammenhang mit dem Einsatz als schwierig oder belastend empfunden wurden. Eventuell stellt sich hierbei heraus, dass eine noch intensivere Auseinandersetzung sinnvoll wäre, wie zum Beispiel durch ein Einsatznachbereitungsseminar unter Hinzuziehung von Moderatoren.
Außerdem beinhaltet das Gruppengespräch auch immer einen sogenannten psychoedukativen (= erklärenden) Anteil. Es wird z.B. darüber informiert, wie sich belastende Erlebnisse auf unser körperliches und psychisches Wohlbefinden auswirken können und wie man damit umgehen kann. Zudem wird erläutert, dass Belastungsreaktionen individuell unterschiedlich verlaufen können bzw. manchmal auch erst viel später auftreten. Daher ist es ganz wichtig, Betroffene für die Angebote des sogenannten Psychosozialen Netzwerks (PSNPsychosoziales Netzwerk), also von Truppenarzt, Sozialdienst, Militärseelsorge und Truppenpsychologie, zu sensibilisieren.
Nicht zuletzt bedeutet langfristige Unterstützung auch, Führungskräfte zur sogenannten „Dokumentation von belastenden Ereignissen bei Einsätzen der Bundeswehr“ zu beraten. So wird eine bestmögliche Unterstützung, z.B. bei möglichen Versorgungsansprüchen für die Soldatinnen und Soldaten, sichergestellt.
Was genau war in der unmittelbaren Zeit nach der Evakuierungsoperation ihre persönliche Aufgabe?
Ich persönlich war bereits mit Beginn der Evakuierungsoperation gefordert. Mir oblag die Koordination der psychologischen Unterstützung des eingesetzten Personals der Luftwaffe. Ich nahm Kontakt mit allen relevanten Verbänden auf und führte die psychologische Führungsberatung immer dann selbst durch, wenn die Verbände nicht oder nur zeitweise auf eigene Beratungskapazitäten zurückgreifen konnten. Zudem habe ich die Einbindung der Flugpsychologie, die sich mit den spezifischen psychologischen Aspekten fliegerischer Aufgaben befasst, sichergestellt. Weiterhin war und ist es meine Aufgabe, psychologische Lagebilder zur Führungsberatung zu erstellen. Im direkten Kontakt zu dem eingesetzten Personal stand ich in meiner koordinierenden Rolle allerdings nur vereinzelt – die direkte psychologische Nachbereitung übernehmen die Kolleginnen und Kollegen vor Ort in den Einheiten.
Wie bewerten Sie die Arbeit der vergangenen Wochen aus fachlicher Sicht, welche Schlüsse ziehen Sie aus der psychologischen Unterstützung des MilEvakOp Einsatzes hinsichtlich der Truppenpsychologie? Gibt es bereits „Lessons Learned“?
Bei Einsätzen wie dieser Evakuierungsmission, die mitunter sehr kurzfristig beginnen, wird auch die Truppenpsychologie entsprechend kurzfristig gefordert. Ursprüngliche Terminplanungen werden hinfällig, dienstliche Prioritäten müssen zugunsten der akuten Unterstützungsleistung neu bewertet werden.
Mein persönliches Fazit ist, dass sich der Psychologische Dienst der Bundeswehr mit allen involvierten Kolleginnen und Kollegen von Beginn an mit jeglichen zur Verfügung stehenden Ressourcen eingebracht hat. An der einen oder anderen Stelle haben wir zwar gemerkt, dass der uns letztlich zur Verfügung stehende Personalkörper endlich ist und durch die Fokussierung auf diese wichtige Aufgabe, andere dienstliche Belange ein Stück weit warten mussten. Trotzdem lief das Zusammenspiel zwischen den Einheiten und der Truppenpsychologie hervorragend.
Haben Sie eine besondere persönliche Botschaft mit Blick auf die vergangenen Wochen?
Gerne möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen und mich auch auf diesem Weg noch einmal bei allen Kolleginnen und Kollegen des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr innerhalb und außerhalb der Luftwaffe sowie auch bei allen anderen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern bedanken, die dazu beigetragen haben, dass die in die Evakuierungsoperation eingebundenen Einsatzkräfte der Luftwaffe die erforderliche psychologische Unterstützung erhalten.