Schleudersitze, Anti-G-Hosen und Textilerfrischer
Schleudersitze, Anti-G-Hosen und Textilerfrischer
- Datum:
- Ort:
- Rovaniemi
- Lesedauer:
- 4 MIN
Sie sind für die Schleudersitze in den Eurofightern und für die gesamte Sonderbekleidung der Piloten verantwortlich: Die Fachgruppe Rettungssysteme des Taktischen Luftwaffengeschwaders 31 „Boelcke“ aus Nörvenich. Und damit rettet ihre sorgfältige Arbeit im Notfall den Eurofighter-Piloten buchstäblich das Leben. Auch im finnischen Rovaniemi sind acht Soldaten der Fachgruppe dabei. Insgesamt sind hier für die multinationale Übung Arctic Challenge 2021 rund 200 deutsche Soldatinnen und Soldaten mit zehn Eurofightern stationiert.
Der Bereich Rettungssystem
Das Cockpit des Eurofighters ist der Arbeitsplatz von Oberfeldwebel Schuh, auch wenn er kein Pilot ist. Er ist zusammen mit seinen Kameraden für die Rettungssysteme des Kampfjets zuständig. „Der Pilot muss sich auf den Sitz und uns verlassen können, wir sind seine letzte Lebensversicherung“, sagt Schuh, der seit 2011 bei der Bundeswehr ist.
105 Kilo Lebensversicherung
Der Schleudersitz des Eurofighters, das Modell „Mk 16A“ des britischen Unternehmens Martin-Baker, wiegt etwa 105 Kilo. Neben einem ausgeklügelten Gurtsystem sind im Sitz 14 Munitionskartuschen verbaut. Unter dem Sitz befindet sich ein Raketenmotor und hinten im „Mk 16A“ eine Sauerstoffflasche, mit der der Pilot sich manuell Sauerstoff zuführen kann. Im Sitz dabei ist auch das Personal Survival Pack mit einem Boot, das sich bei einem Aufprall im Wasser automatisch mit Druckluft aufbläst.
In drei Sekunden gerettet
Denn wenn der Notfall eintritt, kann der Pilot selbst nicht mehr viel tun. Es dauert nur circa drei Sekunden vom Ziehen der schwarz-gelben Schlaufe über das Rausschießen des Sitzes, das Rausschleudern des Fallschirms und die Trennung von Sitz und Pilot. Dieser wird inklusive Sitz 80 Meter hoch mit bis zu 18 G, also seinem 18-fachen Körpergewicht, aus dem Jet geschleudert. 9 G sind für einen trainierten Kampfpiloten kein Problem, bei 18 G wird jeder ohnmächtig.
Alle 24 Monate muss so ein Schleudersitz komplett gewartet werden. Bis dahin gibt es alle 14 Tage eine Sichtwartung. Auch das Kabinendach wird regelmäßig kontrolliert, denn hier sind zwei Raketenmotoren verbaut, um im Notfall das Dach nach hinten abzuwerfen, bevor der Pilot herausgeschossen wird.
Doch Kabinendach und Sitz müssen auch dann ausgebaut werden, wenn einer der Computer im Cockpit getauscht werden muss oder wenn jemand etwas im Cockpit verloren hat. „Egal, ob es ein Ohrstöpsel oder ein Kugelschreiber ist, wir müssen es finden“, sagt Oberfeldwebel Schuh „Denn so etwas kann beispielsweise eine Verriegelung blockieren. Also saugen wir dann auch das ganze Cockpit aus.“
Der Bereich Flugausrüstung
Der Gegenpart zu den Rettungssystemen des Jets ist die sogenannte Fliegersonderbekleidung des Piloten. Sie besteht aus Weste, Anti-G-Hose und Helm. Alles zusammen wiegt gut neun Kilo. Dazu kommen die Pilotenstiefel, deren spezielles Sohlenprofil dafür sorgt, dass nichts daran hängen bleibt und die Piloten keine Steinchen ins Cockpit tragen.
Textilerfrischer statt Waschmaschine
Die Weste gibt es in 18, die Hose in zwölf verschiedenen Größen. Beides ist aus schwer entflammbarem Material, kann also nicht in die Waschmaschine. Deshalb werden die Sachen regelmäßig ausgelüftet und mit Textilerfrischer eingesprüht, um den Geruch zu neutralisieren. „Die Piloten schwitzen bei ihren Flügen enorm“, erklärt Oberfeldwebel Leisten, einer der zwei Soldaten des Bereichs Ausrüstung aus Nörvenich, die in Rovaniemi dabei sind.
Die Fliegerkombis, die die Piloten unter ihrer Anti-G-Kleidung tragen, können zum Glück ganz normal gewaschen werden. „Dafür haben wir in Nörvenich zwei Industrie-Waschmaschinen und einen Trockner“, so Oberfeldwebel Leisten.
Doch vor allem sind Flugausrüster für die Sicherheit der Sonderbekleidung zuständig. „Den Helm inklusive der Maske untersuchen wir alle 30 Tage“, erklärt der 35-jährige Oberfeldwebel. Die anderen Teile der Ausrüstung sind alle 15 Wochen dran.
Alles in der Weste: von der Signalpistole bis zum Feuerstarter
Dabei wird zum Beispiel die Weste komplett ausgepackt und Oberfeldwebel Leisten schaut, ob alles da ist und funktioniert. In der Weste befindet sich unter anderem eine Notfalltasche mit Trillerpfeife, Feuerstarter, Taschenlampe, Erste-Hilfe-Set, Taschenmesser und Signalpistole. Alle Gegenstände sind mit Nylonschnüren in der Weste befestigt, damit sie auf keinen Fall herausfallen können, auch wenn der Pilot nach der Betätigung des Schleudersitzes kopfüber in einem Baum landen sollte. In einer anderen Tasche der Weste steckt ein Notfunkgerät, das direkt nach der Trennung von Sitz und Pilot auslöst und ein Notsignal sendet. Die Weste hat einen Schwimmkragen, der sich unter Wasser automatisch aufbläst.
Höchstens ein halbes Kölsch-Glas Wasser
Zur Sonderbekleidung der Piloten gehört auch ein Überseeanzug. Dieser wird bei der 15-Wochen-Prüfung auf links gedreht, mit Wasser gefüllt und 20 Minuten hängen gelassen. Denn er muss sehr dicht sein. „Ein bisschen Wasser darf schon etwas durch die Nähte sickern, aber nicht mehr als ein halbes Kölsch-Glas voll“, sagt Oberfeldwebel Leisten.