Mit Karte und Kompass zehn Stunden durch die Nacht
Mit Karte und Kompass zehn Stunden durch die Nacht
- Datum:
- Ort:
- Fürstenfeldbruck
- Lesedauer:
- 4 MIN
Mitten in der Nacht unterwegs – ohne Smartphone und nur mit handgezeichneter Karte. Ein Nachtorientierungsmarsch, der jedem Offizieranwärter und jeder Offizieranwärterin an der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck bevorsteht. Elena K. berichtet in dieser Serie über die Ausbildung dort von der nächtlichen Tour.
Angestrengt schaue ich aus dem Busfenster. Irgendwo hinter Oberschweinbach, einer kleinen Gemeinde nordwestlich der Offizierschule, verlässt mich mein Orientierungssinn. Der Bus stoppt, drei Kameraden und ich – ein sogenannter Trupp – werden von den Ausbildern freundlich aber bestimmt aus dem Bus befohlen. Der Bus fährt mit den anderen Kameraden weiter und verschwindet am Horizont. Da stehen wir nun im Nirgendwo. Uns wird klar: Kommende Nacht sind wir auf uns alleine gestellt.
Meinem Hörsaal Charlie (so heißt die Gruppe von rund 16 Offizieranwärtern) steht nun der berühmt-berüchtigte Nachtorientierungsmarsch bevor. Es ist schon der zweite während unseres Lehrgangs. Deshalb vermuten wir zu Recht, dass dieses Mal die Marschdistanz noch größer und das Orientieren noch anspruchsvoller werden. Und noch eine Verschärfung gibt es: Gefunkt wird ausschließlich in englischer Sprache und verschleiert. Das bedeutet, dass Informationen, wie zum Beispiel der eigene Standort, mittels Sprechtafel für Außenstehende unverständlich gemacht werden. Nur wer die gleiche Sprechtafel nutzt, kann die Funksprüche entschlüsseln. Das soll verhindern, dass der Feind mithört.
Einziger Anhaltspunkt: eine selbst gezeichnete Karte
Vor dem Start teilen die Ausbilder uns in acht Trupps ein und geben das Gebiet bekannt, in dem wir uns in der Nacht bewegen werden. Jeder Trupp bekommt außerdem drei Kartenausschnitte, die in zehn Minuten abgezeichnet werden müssen. Dabei ist es wichtig, möglichst alles zu erfassen, denn die Zeichnung ist später das Einzige, was uns zu unserem nächsten Punkt führen kann. Und die Erfahrung hat uns gelehrt: Eine vergessene Kreuzung führt zu Verwirrung und unter Umständen zu einem großen Umweg mit schmerzhaften Extra-Kilometern. Marschiert wird nach der selbst angefertigten Skizze, dem Marschkompass und Kartenteilen, die die Ausbilder zum Teil unkenntlich gemacht haben. Ein guter Orientierungssinn ist also nützlich und hilfreich.
Abgesetzt im Nirgendwo
Außerdem erhält mein Trupp, Deckname „Carrot“, in der Waffenkammer Gewehre vom Typ „G36“ sowie ein Handy für Funksprüche, Warnleuchten und eine Art Tracker, damit unsere Ausbilder uns im Notfall finden. Um 17 Uhr heißt es: Aufsitzen auf den KOM – Bundeswehr-Abkürzung für Kraftomnibus –, der die einzelnen Trupps nun verteilt im Landkreis Fürstenfeldbruck absetzt. „Wenn wir zuerst raus müssen, dann sind wir vielleicht schneller wieder zurück“, mutmaßt meine Trupp-Kameradin Jana A. Eins nehme ich vorweg: Am Ende der Nacht mussten wir gezwungenermaßen feststellen, dass dem nicht so war.
20 Kilometer mit 20 Kilo Gepäck – das merken die Knie
Die Sonne geht langsam unter. Solange es noch etwas hell ist, können wir uns gut im Gelände orientieren und versuchen, so viele Anlaufpunkte wie möglich zu erreichen. An jedem Punkt müssen wir den weiteren Marschweg samt dazugehöriger Aufgabe entschlüsseln, um das nächste Ziel zu finden. Das kostet wertvolle Zeit und ist mühsam.
Wir marschieren über nasse Felder, durch finstere Wälder und auf endlosen Straßen entlang. Mittlerweile ist es Mitternacht. Langsam spüren wir die bisher zurückgelegten 20 Kilometer – und zwar vor allem in Knien und Füßen. Kein Wunder, schließlich wiegt unsere Ausrüstung samt Rucksackinhalt rund 20 Kilogramm. Dazu gehören eine NATONorth Atlantic Treaty Organization-Rolle – so wird der eng zusammengerollte komplette Satz Wechselwäsche genannt –, Nässeschutz, Mehrzweckunterlage, Trinken, Koppel und zuletzt natürlich das G36.
Erschöpft, Blasen an den Füßen, überglücklich
Wir haben für eine kurze Rast unsere Rucksäcke am Waldrand abgesetzt. Gegen ein Uhr vibriert das Handy und unser Ausbilder mit dem Decknamen „Sunset“ meldet sich mit dem Auftrag, zurück zur Offizierschule der Luftwaffe zu kommen. Als einzige Hinweise für den Heimweg nennt er uns eine Himmelsrichtung und eine Marschkompasszahl.
Wir feuern uns gegenseitig nochmal an, denn wir wissen, dass noch mindestens sieben Kilometer Fußmarsch vor uns liegen. „Die letzten Kilometer warten, jetzt beginnt der Endspurt!“, so mein Truppführer Colin R. Dieser „Endspurt“ macht zwar Hoffnung, ist aber trotzdem hart, denn der Weg zurück zum „blauen Palais“, so wird die Offizierschule von den Absolventinnen und Absolventen auch genannt, zieht sich.
Um kurz vor drei Uhr in der Nacht, nach zehn Stunden Marschieren und Orientieren, kommen wir total erschöpft aber überglücklich an. „Trotz schmerzender Füße war das Erreichen des Kasernentors schon ein tolles Gefühl“, sagt Oberfähnrich Paul E. Die Nachwehen des Marsches sehen am nächsten Tag auch die anderen Kameraden und Kameradinnen an der Offizierschule der Luftwaffe: Mit Blasen an den Füßen und schlappen Beinen laufen manche von uns doch etwas unrund.