Vor 50 Jahren - der liberale Haar- und Barterlass der Bundeswehr
Vor 50 Jahren - der liberale Haar- und Barterlass der Bundeswehr
- Datum:
- Ort:
- Berlin
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- 4 MIN
Ein Blick in den Spiegel stellt es unverblümt dar. Die Haare fallen tief ins Gesicht, neuartige Löckchendrängen in den Nacken und lösen ein unzufriedenes Gefühl von „Zuviel“. In Zeiten des modischen Kurzhaarschnitts ist jeder Zentimeter Haarlänge eine Frage der Einstellung. Doch vor einem halben Jahrhundert war es auch schon anders.
In diesem Monat jährt sich bei der Bundeswehr zum 50. Mal der Haar- und Barterlass, der es den Wehrpflichtigen erlaubte, lange Haare wie Bärte zu tragen und in der Öffentlichkeit als Reaktion auf den Zeitgeist angesehen wurde – folgt man den Ausführungen der Medien von damals. Ein Blick zurück: „Die Bundeswehr kann in ihrem Erscheinungsbild die Entwicklung des allgemeinen Geschmacks nicht unberücksichtigt lassen.“ Dieser Satz aus einem Erlass des damaligen Bundesverteidigungsministers Helmut Schmidt (SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands) vom 8. Februar 1971 leitete eine kleine Revolution in den westdeutschen Streitkräften ein.
Elvis Presley und Beatles als Vorbilder
Nun durften deren Soldaten mit wallender Mähne ihren Dienst versehen. Schmidt kommentierte die Neuregelung pragmatisch: „Die modischen Äußerlichkeiten und Attitüden haben auf ihrem schnellen Marsch durch alle Gesellschaftsgruppen vor dem Kasernentor nicht haltgemacht.“ Längeres Männerhaar als Zeichen der Abgrenzung von der konformen Restgesellschaft etablierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zuerst in den USA. Stilbildend in den fünfziger Jahren war die pomadisierte Stirnlocke von Tony Curtis. Mit Elvis Presley und den pilzköpfigen Beatles kamen längere Haare auch bei den Männern in Mode. Sie wurden in den Sechzigern Ausdruck einer Protesthaltung gegen Staat und Gesellschaft - und waren dabei auch im linken Milieu durchaus umstritten: Rudi Dutschke zum Beispiel, der Studentenführer und Gallionsfigur der Proteste, lehnte die Langhaarfrisur stets ab.
Staatsbürger in Uniform mit „Zwiebelsack“
Weil die frisch eingezogenen Rekruten sich nicht als blinde Befehlsempfänger verstanden, sondern als Staatsbürger in Uniform, verweigerte manch einer beharrlich den Besuch beim Standortfriseur – die beklagten sich wiederum, dass sie keine Kundschaft mehr bekamen.
Als Regel für das Kopfhaar galt von nun an: „Haare und Bart müssen sauber und gepflegt sein. Soldaten, deren Funktionsfähigkeit und Sicherheit durch ihre Haartracht beeinträchtigt wird, haben im Dienst ein Haarnetz zu tragen.“ Die Innere Führung wollte den Staatsbürger in Uniform und der sollte über seine Haarlänge selbst bestimmen. Zur „inneren Haarführung“ schaffte man rund 750.000 Haarnetzen an, die sich die Bundeswehr 1971 und im Jahr darauf etwa 360.000 D-Mark kosten ließ. Ein überschaubarer Ausgabenposten, wenn man an andere Rüstungsprojekte denkt. Das Netzt bekam, wie so manch anderes Gerät bei der Bundesswehr, einen Spottnamen: Zwiebelsack oder Rollbraten.
Führung und Bevölkerung verunsichert
Das brachte zum Ausdruck, was nicht nur die weitgehend konservative militärische Führung dachte, sondern auch weite Teile der Bevölkerung irritierte: „Eine Vernachlässigung im Anzug und im Benehmen des Soldaten ist für jedermann der Beweis für eine schlechte Disziplin. Mit ihr steht und fällt aber der Abschreckungswert und damit der Friedensbeitrag der Truppe.“ Die Süddeutsche Zeitung zitierte damals eine besorgte Mutter: „Unser Holger war immer fleißig und ordentlich. Nun muss er zur Bundeswehr. Ich habe so Angst, dass er da verlottert.“ Spott erntete die Bundeswehr auch unter den Nato-Verbündeten. Unter der Hand hieß es bald „German Hair Force“ – das Ansehen der Armee im Ausland litt. Doch gut gemeint ist nicht gut gemacht, dass bewahrheitete sich besonders im Truppenalltag. Hier traten Probleme auf, die auf lange Haare zurückzuführen waren. So verzeichneten die Truppenärzte eine wachsende Anzahl von Ausfällen als Folge von Verkühlungen durch das nasse Haupthaar, noch dazu, dass die Haare bei Übungen nicht hinreichend gepflegt werden konnten.
Ab März wird wieder kurzgeschnitten
Ganz Realist, nahm Schmidt den Erlass im Mai 1972 wieder zurück. „Jemand, der aus Erfahrung nicht lernt, ist ein Scheißkerl“, soll er dazu geäußert haben. Von da an galt der bis heute bestehende Haar- und Barterlass mit den Vorgaben: Die Haare von Soldaten müssen kurz geschnitten sein. Ohren und Augen dürfen nicht bedeckt sein. Das Haar ist so zu tragen, dass bei aufrechter Kopfhaltung Uniform- und Hemdkragen nicht berührt werden. Für weibliche Soldaten gilt: Die Haartracht von Soldatinnen darf die Augen nicht bedecken. Haare, die bei aufrechter Körper- und Kopfhaltung die Schulter berühren würden, sind am Hinterkopf komplett gezopft auf dem Rücken oder gesteckt zu tragen. Dabei sind Form und Farbe der Haarspangen/Bänder dezent zu halten. Das Experiment einer Liberalisierung des Erscheinungsbildes der Bundeswehr war gescheitert. Doch jetzt wäre er fast wiedereingeführt – durch die Hintertür. Die Schließung der Frisöre seit Anfang November macht’s möglich. Doch ab dem 1. März ist es mit der ungewollten Langhaarfrisur vorbei, dann dürfen wieder Schere und Kamm geschwungen werden. Und der Blick in den Spiegel macht wieder Spaß.