Luftwaffe

Liquid Oxygen – Flüssiger Sauerstoff zum Atmen

Liquid Oxygen – Flüssiger Sauerstoff zum Atmen

Datum:
Ort:
Kropp
Lesedauer:
8 MIN

Hinter der etwas sperrigen Bezeichnung „Taktisches Luftwaffengeschwader 51 ‚Immelmann‘ Instandsetzungsstaffel Teileinheit Atemsauerstofferzeugung“ verbirgt sich eine der kleinsten Einheiten der Luftwaffe – bestehend aus gerade einmal zehn Soldaten. Sie und acht olivgrüne 20-Fuß-Container erzeugen bis zu 100 Liter flüssigen Sauerstoff pro Stunde. Und ein Liter flüssiger Sauerstoff wird zu etwa 850 Liter Sauerstoff zum Atmen.

Zwei Soldaten in Schutzanzügen stehen bei Sonnenaufgang in flachen Nebelschwaden.

Ist flüssiger Sauerstoff nicht zu verwenden, verdampft er kontrolliert in flachen Nebelschwaden

Bundeswehr/Pressestelle TLG 51

Wofür braucht die Luftwaffe flüssigen Sauerstoff?

Atemsauerstoff wird in Wester-Ohrstedt, im hohen Nordwesten Schleswig-Holsteins, seit 1976 erzeugt. Die Luftwaffe brauchte LOX – Liquid Oxygen – seit jeher für das Kampfflugzeug Phantom, später dann für den Tornado. Und der fliegt noch heute. In großen Höhen verdrängt der atmosphärische Druck nach und nach den Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft, aber der Pilot muss weiter atmen. So schaltet er die Sauerstoffversorgung zu; das funktioniert manuell und automatisch. 

Im Flugzeug verbaut, befindet sich ein sogenannter Konverter. Das ist ein kleiner runder Tank mit einem Fassungsvermögen von rund zehn Litern. Der Tornadopilot hat somit eine Menge von umgerechnet etwa 8.500 Litern Sauerstoff zum Atmen dabei. 

Ein Raum im zweiten Container mit vielen gelben Schraubventilen an der linken Seite.

Flüssiger Sauerstoff ermöglicht das Atmen in großen Höhen und Tiefen. LOX benötigt in Flugzeugen oder U-Booten wenig Platz – ein Liter flüssiger Sauerstoff, ergibt etwa 850 Litern zum Atmen. Seine Herstellung ist komplex.

Bundeswehr/Sarah Wetjen

...und wie wird es hergestellt?

Das Verfahren der Atemsauerstofferzeugung ist komplex und wurde 1871 von Carl von Linde entwickelt. Der Ingenieur wollte ursprünglich ein System zum Kühlen von gebrautem Bier entwickeln. Die Verflüssigung der Luft und die Sauerstofferzeugung waren das Ergebnis vieler Versuche.

Die bundeswehrtypischen grünen Container in Wester-Ohrstedt könnten von außen auch normale Lager- oder Bürocontainer sein. Das einzige, was sie verrät, sind die angeschrägten Containerecken und die dicken gelben Starkstromkabel, die in ihnen verschwinden. Die Container bekamen diese Ecken, um seinerzeit in die C-160 Transall zu passen. Ein Notstromaggregat, betrieben über einen 12-Zylinder-Dieselmotor haucht der Sauerstofferzeugungsanlage Leben ein. Und der Verbrauch? „Etwa eins zu eins“, sagt Hauptfeldwebel Børge Willrodt: „50 Liter Diesel die Stunde macht 50 Liter flüssigen Sauerstoff.“

Ein roter Dieselmotor mit zwölf Zylindern steht in einem Container. Er treibt die Sauerstofferzeugungsanlage an.

Mit einem starken 12-Zylinder-Dieselmotor wird die Sauerstofferzeugungsanlage angetrieben

Bundeswehr/Sarah Wetjen

24 Stunden nach dem Einschalten läuft die Anlage zuverlässig und stabil. Alle Parameter stimmen, alle Ventile sind eingestellt, die Mannschaft hat alle Werte im Blick und auch, wenn die Anlage größtenteils automatisch läuft – ohne Aufsicht darf sie es nicht; noch nicht. „Das heißt: Produzieren wir Sauerstoff, sind wir im Dienst und zwar 24/7, rund um die Uhr“, erzählt Børge. Acht bis zehn Stunden dauert der Weg der angesaugten Luft, bis sie flüssig wird. Erst dann kann fertiger LOX abgefüllt werden. Aber alles hängt von dem wesentlichen Parameter ab: Der Qualität der Umgebungsluft. 

Ein Soldat sitzt in einem Container vor einem Rechner mit Bildschirm.

Der automatische Prozess der Atemsauerstofferzeugung wird immer durch einen der Soldaten begleitet und kontrolliert

Bundeswehr/Sarah Wetjen

Der Weg durch die Anlage

Die Anlage besteht im Grunde aus drei Containern. Dem Stromerzeuger, Container 1 zum Ansaugen, Verdichten und Reinigen der Luft; Container 2 zum Verflüssigen und Abfüllen. 

Die Rückseite des ersten Containers. Der kleine viereckige Einlass saugt die Umgebungsluft an.

Der unscheinbare Lufteinlass – hier beginnt die Reise der Umgebungsluft. Ihr Ziel: -183 Grad kalter flüssiger Sauerstoff zum Abfüllen.

Bundeswehr/Sarah Wetjen

Container 1 saugt die Umgebungsluft an, die im ersten Schritt verdichtet wird. Sie besteht aus 21 Prozent Sauerstoff, 78 Prozent Stickstoff und einem Prozent Edelgasen. An diese reinen 21 Prozent will das System. Nach einem langen Prozess des Verdichtens, Erwärmens und wieder Abkühlens ist die Luft im Container 2 angekommen. Hier herrscht eine Temperatur von -183 Grad: Der entscheidende Siedepunkt ist erreicht – der Sauerstoff verflüssigt sich.

In einer Art Säule mit Siebböden fließt das kalte Sauerstoff-Stickstoffgemisch im Kreis. Dadurch, dass Stickstoff erst ab einer Temperatur von -196 Grad flüssig wird, kann hier die Flüssigkeit vom Gas getrennt werden. Gas steigt nach oben, Flüssigkeit sinkt nach unten – Stickstoff steigt nach oben, Sauerstoff sinkt nach unten. Die Luft wird in ihre Hauptbestandsteile zerlegt und die Flüssigkeit bei ausreichender Reinheit von 99,5 Prozent abgepumpt; fertig ist LOX – Liquid Oxygen. 

Die Miniatur-Lasershow im Labor

Doch damit nicht genug. Der Flüssigsauerstoff wird nun, bevor er verwendet werden kann, analysiert. Auch das machen die Soldaten in Wester-Ohrstedt selbst. In ihrem kleinen mobilen Labor analysieren sie die Flüssigkeit unter anderem auf Methan, Wasser und andere Teile, die in reinem LOX nichts zu suchen haben. 

Die Flüssigkeit wird verdampft und einem kleinen silberfarbenen Würfel zugeführt. Ein Infrarotlaser schickt durch dieses Gas ein Licht. Ähnlich wie im Kino, wenn die Laserstrahlen sich am aufsteigenden Nebel brechen. Bricht der Laser, kann er sich nur an einem Teilchen brechen, das dort noch vorhanden ist; die Frequenz in diesem Moment bestimmt die Art des Teilchens.

Ein nicht elektronisches Gerät für ein chemisches Messverfahren zur Überprüfung der Sauerstoffqualität.

Mittels unterschiedlicher, zum Teil althergebrachter Verfahren, wird im mobilen Labor der Fachgruppe die Qualität des flüssigen Sauerstoffs überprüft

Bundeswehr/Sarah Wetjen

Liegt die Konzentration im Normbereich, ist der Sauerstoff verwendbar; gemessen wird in parts per million – ppm. Ist nur ein Teilchen zu viel, ist der Sauerstoff schlecht und die Flüssigkeit zu entsorgen oder ein möglicher Fehler zu beheben. Doch wohin mit -183 Grad kaltem, flüssigen Sauerstoff? 

Liquid Oxygen hat die Eigenschaft, bei einem Anstieg seiner Umgebungstemperatur sofort in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuwollen. Heißt: Es möchte sofort wieder gasförmig werden. Ein Anstieg der Temperatur heißt aber nicht automatisch ein aktives Erwärmen. Im Vergleich zu -183 Grad ist es überall warm. 

Spezielle Tanks zur Verdampfung von flüssigem Sauerstoff sorgen für flachen Nebel auf einer Betonplatte in Diepholz.

LOX muss nicht aktiv erwärmt werden – jede höhere Temperatur als -183 Grad animiert die Flüssigkeit, in ihren ursprünglichen gasförmigen Zustand zurückzukehren

Bundeswehr/Pressestelle TLG 51

Würde nun der Flüssigsauerstoff einfach auf die Wiese nebenan geschüttet werden, würde er schlagartig beginnen zu verdampfen. Doch reiner Sauerstoff ist nicht nur die rettende Luft zum Atmen – er kann auch ein explosiver Katalysator sein. Bei jedem lodernden Feuer und jeder Explosion spielt Sauerstoff eine entscheidende Rolle. 

Sobald hochkonzentrierter Sauerstoff mit organischen Stoffen in Berührung kommt, reicht ein Funkenflug oder ein Druckanstieg und es kommt zu einer Verpuffung, die explosionsartig ablaufen kann. Einer der Gründe, weshalb die Betonplatte in Wester-Ohrstedt keine Fugen mit Unkraut aufweist und die Soldaten ausschließlich mit einem Hammer aus Aluminium arbeiten. Aluminium ist ein Metall, das beim Schlag auf einen harten Untergrund oder ein anderes Metall keine Funken erzeugt. Soll nun flüssiger Sauerstoff ordnungsgemäß entsorgt werden, wird er kontrolliert verdampft. Er kann also langsam in seine ursprüngliche Form zurückkehren.

Ein Aluminiumhammer an einer Dichtung der Atemsauerstofferzeugungsanlage.

Um jeglichen Funkenflug bei der Arbeit mit Sauerstoff zu vermeiden, besteht selbst der Hammer aus Aluminium. Denn dieses Metall erzeugt keine Funken.

Bundeswehr/Sarah Wetjen

Vorsicht, Umsicht und Vertrauen

Doch der Funkenflug ist nicht die einzige Gefahr, die lauert. Beim Kontakt mit der -183 Grad kalten Flüssigkeit drohen schwere Kaltverbrennungen. Nicht nur zu heiße Stoffe lösen Verbrennungen aus, zu kalte ebenfalls. Und die Verletzungen sehen gleich aus. Die erste wichtige Therapie ist: „Ab unter die Dusche!“ In kurzer Reichweite zu jeder Sauerstofferzeugungsanlage befindet sich eine Schwalldusche. Bei knapp fünf Grad Außentemperatur im Januar ist das Wasser, das aus der Dusche in Ohrstedt kommt, nicht warm – aber wärmer als flüssiger Sauerstoff und das zählt. Gravierende Kaltverbrennungen haben die Männer in Ohrstedt glücklicherweise noch nicht erlebt. Daher gilt immer das oberste Gebot: „Vorsicht, Umsicht und Vertrauen in die Systeme – das ist ganz entscheidend“, mahnt Børge.

Eine Schwalldusche steht nah bei jeder Anlage. Sie ist die erste Hilfsmaßnahme bei Kaltverbrennungen.

Ganz ähnlich wie Verbrennungen durch heiße Stoffe sehen Kaltverbrennungen aus. Die Therapie ist zunächst die gleiche: ab unter die Dusche.

Bundeswehr/Sarah Wetjen

Bis zum Jahr 2007 produzierte die Fachgruppe Atemsauerstofferzeugung kontinuierlich flüssigen Sauer- und Stickstoff. Sie belieferten nahezu alle militärischen Dienststellen im Norden Deutschlands mit ihren Produkten. Zu Hochzeiten verließen 16.000 bis 18.000 Liter pro Woche das Depot. Dann kam der erste Auslandseinsatz auf die Männer zu. Drei Jahre Afghanistan von 2007 bis 2010. Vor Ort, in der staubigen Wüste des Landes, produzierten sie 99,5 Prozent reinen Sauerstoff für die Tornadopiloten und NATO-Partner. 

Heute und im Inland ist das anders. Der Eurofighter fliegt mit einem anderen System und die Tornados des Taktischen Luftwaffengeschwaders 51 bekommen den Sauerstoff der Fachgruppe nur noch, wenn sie sich quartalsweise selbst trainiert. In dieser Zeit, vier Mal im Jahr, fahren die Männer insgesamt drei bis vier Tanks mit jeweils 2.000 Litern der blassblauen Flüssigkeit zu den Tornados nach Jagel. 

Mehrere olivgrüne 2.000-Liter-Tanks auf Rädern stehen auf dem Gelände der Fachgruppe.

In olivgrünen Transport- und Lagertanks mit einem Fassungsvermögen von 2.000 Litern wird die blassblaue Flüssigkeit zum Atmen ins TLG 51 gebracht. Das geschieht noch etwa vier Mal pro Jahr.

Bundeswehr/Sarah Wetjen

LOX gibt es nicht auf Vorrat 

Ist der Sauerstoff einmal verflüssigt, lässt er sich aber nur vergleichsweise kurz lagern. Nach drei bis vier Wochen ist trotz des geschlossenen Tanks so viel Flüssigkeit verdampft, dass die nötige Reinheit zum Atmen nicht mehr gegeben ist. Gasförmig abgefüllter Sauerstoff kann hingegen ewig gelagert werden. 

Drei Druckgasflaschen mit einem Fassungsvermögen von 50 Litern stehen an einer Anlage, die sie befüllt.

In Wester-Ohrstedt kann flüssiger Sauerstoff auch wieder in gasförmigen umgewandelt werden. Dabei wird er mit einem Druck von 200 bar in 50-Liter-Flaschen abgefüllt.

Bundeswehr/Sarah Wetjen

Seit der Rückkehr aus Afghanistan war die Sauerstofferzeugungsanlage nicht mehr im Auslandseinsatz. Das Labor und seine Analyseverfahren hingegen schon. Die Luftwaffe und ihre NATO-Partner kauften bei ihren Auslandseinsätzen den Sauerstoff vor Ort. Gab es jedoch Probleme damit oder wurde die Qualität in Frage gestellt, kam die Fachgruppe des Taktischen Luftwaffengeschwaders ins Spiel. Gibt das Labor grünes Licht, werden die Konverter mit der flüssigen Luft befüllt und verbaut. Das gesamte Labor war zuletzt seit 2018 in Jordanien. Mit dem Ende der Tornado-Ära in diesem Einsatz kam 2020 auch die Analyse zurück nach Deutschland.

Ein Soldat mit einem Verbandsabzeichen auf dem Ärmel seiner Feldbluse steht vor Teilen des mobilen Labors der Fachgruppe.

Der Miraculix der Luftwaffe – das chemische Wissen der zehn Soldaten ist enorm. Sie erzeugen flüssige Luft zum Atmen

Bundeswehr/Sarah Wetjen

Mehr als „nur“ Elektriker

Eins haben alle zehn Soldaten gemeinsam. Sie sind in ihrer Verwendung nicht nur deutschlandweit einzigartig, sie haben auch alle einen Beruf, in dem sich alles um die Elektrik dreht. Sie sind Anlagenmechatroniker, Elektroniker oder Industrieelektriker. Das physikalische und chemische Wissen der Stabsunteroffiziere und Feldwebel in der Fachgruppe ist enorm: Es reicht vom Prinzip des Notstromaggregats und wie aus Diesel Strom wird, bis zu der Chemie zwischen Sauerstoff und Kupfer. Einen eigenen Ausbildungsgang, wie beispielsweise den zum Fluggerätmechaniker an einer Fachschule, gibt es für sie aber nicht. Ihre Lehre findet in Form einer Ausbildung am Arbeitsplatz für zehn bis zwölf Wochen statt.

Das mobile Labor der Fachgruppe Atemsauerstofferzeugung.

Zehn bis zwölf Wochen begleiten die Sauerstofferzeuger in Ohrstedt ihre Kameraden, weitere sechs drücken sie im Technischen Ausbildungszentrum in Faßberg die Schulbank.

Bundeswehr/Sarah Wetjen

Nach weiteren sechs Wochen Grundlagenausbildung im Technischen Ausbildungszentrum in Faßberg kennen sie sich zwar mit Bodendienstgeräten aus, aber alles andere macht die Zeit. „Du brauchst hier die Erfahrung durch den Betrieb der Anlage. Uns gibt es eben nur einmal und wir können nur von uns selbst lernen. Wenn du erstmal die Vorgänge hinter der Sauerstofferzeugung verstanden hast, musst du Fehler sehen; du musst jedes Bauteil der Anlage kennen, du musst „Erste Hilfe“ leisten, wenn etwas nicht funktioniert. Das alles kann nicht nach kurzen sechs Wochen Faßberg und zwölf Wochen Ausbildung am Arbeitspaltz klappen“, beschreibt Børge seinen Job. 

Erfahrung ist alles 

Die Teileinheit Atemsauerstofferzeugung im hohen Norden ist ein Unikat. Die kleine Einheit produziert ein lebensnotwendiges Gas aus Husumer Umgebungsluft, sie repariert und überprüft sich selbst. Einzig die behördliche Aufsicht können die zehn Soldaten nicht selbst bewerkstelligen. Die Brandmeldeanlagen werden von externen Firmen gewartet, Prüfgase für das Labor dezentral bestellt und zum TÜV müssen ihre Anlagen, Fahrzeuge und Tanks auch gebracht werden. Aber der Rest läuft in Wester-Ohrstedt absolut autark.

von Sandra Süßmuth