Licht im Tal der Dunkelheit
Licht im Tal der Dunkelheit
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75 Jahre nach dem größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte – dem Holocaust – sind erstmalig israelische und deutsche Kampfflugzeuge an der KZ-Gedenkstätte Dachau Seite an Seite vorbeigeflogen. Die Formation, die von beiden Luftwaffenchefs angeführt wurde, symbolisiert die einzigartige Geschichte der beiden Völker. Eine der Reden hat die Zuhörer ganz besonders berührt.
Das Wetter an diesem Dienstagvormittag im bayerischen Dachau ist sinnbildlich für den Verlauf der letzten 75 Jahre. Dunkle Wolken bedecken den Himmel und Starkregen prasselt auf die Kieswege der KZ-Gedenkstätte nieder.
Es ist ein Ort, an dem mindestens 200.000 jüdische Menschen gequält und erniedrigt wurden. Mehr als 41.500 von ihnen wurden von den Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges ermordet. Viele weitere wurden von dort in andere Vernichtungslager deportiert.
Plötzlich stoppt der Regen und warme Sonnenstrahlen durchbrechen die tiefgraue Wolkendecke. Die Menschen verlassen ihre schützenden Unterstände und blicken in den Himmel. Es wird laut und wenige Augenblicke später werden die Besucher Zeugen eines geschichtsträchtigen Ereignisses. Schulter an Schulter oder besser gesagt Flügel an Flügel fliegt eine Formation bestehend aus zwei deutschen Eurofightern und zwei israelischen F-16 an dem „valley of darkness“ vorbei, um nicht nur die zahlreichen Opfer des NSNationalsozialismus-Regimes zu ehren, sondern um der ganzen Welt zu zeigen, dass aus einer scheinbar unüberwindbaren Feindschaft unzertrennliche Freundschaft entstanden ist.
Angeführt werden die Kampfflugzeuge von einer Gulfstream 550. Die Passagiere sind enge Freunde. Es sind Generalleutnant Ingo Gerhartz und Generalmajor Amikam Norkin. Sie sind die Chefs der deutschen und israelischen Luftwaffen. Während des Vorbeifluges setzt Norkin einen bewegenden Funkspruch ab:
„Flying together above the valley of darkness making room for only light ahead. As we vow: never again!” (zu Deutsch: Gemeinsam fliegen wir über das Tal der Dunkelheit, um Platz für Licht zu schaffen. Wir schwören: Niemals wieder!)
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Zuvor überflog die historische Formation den Flugplatz Fürstenfeldbruck, wo 1972 die Geiselnahme der Olympischen Spiele ihr tragisches Ende fand und insgesamt 12 Menschen, darunter elf israelische Sportler, von palästinensischen Terroristen ermordet wurden.
Mit Landung der Gulfstream auf dem Fliegerhorst in Lechfeld geht der Tag, der in die Geschichte der Deutschen und Israelischen Luftwaffen eingehen wird, weiter. Gemeinsam mit Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und dem israelischen Botschafter Jeremy Issacharoff besuchen Generalmajor Norkin und Generalleutnant Gerhartz die gerade noch aus der Luft passierte KZ-Gedenkstätte Dachau.
Die Bundesverteidigungsministerin spricht in ihrer auf Englisch gehaltenen Rede von einem „bewegenden Moment für beide Delegationen“.
Botschafter Issacharoff betont die Bedeutung von „Blue Wings 2020“. „Diese beispiellose gemeinsame Übung der Luftstreitkräfte Israels und Deutschlands hat die strategische Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern buchstäblich zu neuen Höhenflügen geführt. Heute hier zu sein und Zeuge dieses inspirierenden Ereignisses zu werden, führt einem die Freundschaft und das Vertrauen vor Augen, die zwischen Israel und Deutschland entstanden sind„.
Im Anschluss legen Kramp-Karrenbauer und Issacharoff einen Kranz vor dem internationalen Mahnmal nieder.
Zusammen gehen die Delegationen zum jüdischen Mahnmal. Dort ergreifen zunächst die beiden Chefs der Luftstreitkräfte das Wort. Erneut setzt starker Regen ein, was den Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Gerhartz, nicht abhält, seine Rede unbeeindruckt fortzusetzen und die besondere Verbundenheit der beiden Luftwaffen zu erwähnen. „Die starken Verbindungen zwischen unseren Streitkräften im Allgemeinen und unseren Luftstreitkräften im Besonderen sind von außerordentlicher Bedeutung“. Zudem betont Gerhartz, dass sich Verbrechen, wie die der Nazis, niemals wiederholen dürfen und beendet seine Ansprache auf Hebräisch mit einem לעולם לא עוד(dt.: nie wieder).
Generalmajor Norkin ist gerade im Begriff, an das Rednerpult zu treten, als der Glockenturm zu läuten beginnt. Ruhig bleibt er auf seinem Platz sitzen. Nach dem letzten Gong tritt er nach vorne und beginnt mit den Worten: „Wir haben 75 Jahre auf diesen Moment gewartet. Auf fünf Minuten länger kommt es dabei nicht an“. Damit bringt es Norkin fertig, an diesem Ort des Leids den Zuhörern ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer erwähnt im Vorfeld, „dass in der israelischen Delegation auch Teilnehmer sind, die angehörige Vorfahren haben, die selbst in Dachau (…) waren“. Es sei daher auch ein „persönlich emotionaler Moment“.
Von amerikanischen Soldaten befreit
Sie meint damit den israelischen Piloten (auf Bilder und Namensnennung wird aus Sicherheitsgründen verzichtet), der nach einem jüdischen Gebet zum Abschluss das Wort ergreift und die ohnehin schon emotional betroffenen Zuhörer mit seiner Rede noch tiefer berührt.
Er erzählt, wie sein Großvater von amerikanischen Soldaten aus dem Konzentrationslager befreit wurde. Er wog damals gerade mal 30 Kilogramm und überlebte nur dank amerikanischen Militärärzten. Seine komplette Familie, darunter seine drei Brüder, sind im Holocaust umgekommen.
Wenige Jahre später baute er in dem neu gegründeten Staat Israel ein neues Leben auf. Das erste Mal lebte er würdevoll in Freiheit und gründete eine neue Familie.
Es herrscht eine ohrenbetäubende Stille im Auditorium. Der israelische Pilot führt seine Rede fort. Er berichtet von seinem Vater, der in der Israelischen Luftwaffe als Kampfpilot diente und über feindlichem Gebiet abstürzte und starb. Im Einsatz für das Land, das allen Juden weltweit auf ewig Sicherheit, Freiheit und Menschenrechte garantiert – Israel.
Nun steht der Enkel in Dachau, dem Ort, der seinen Vorfahren unendliches Leid gebracht hat und spricht voller Stolz und Demut, dass er bei diesem epochalen Ereignis dabei sein darf.
Staatspräsident ruft aus Israel an
Die Zeremonie endet offiziell mit einer Kranzniederlegung der beiden Luftwaffenchefs am jüdischen Mahnmal.
Plötzlich zieht Generalmajor Amikam Norkin sein Telefon aus der Tasche. Der Anrufer ist kein Geringerer als Reuven Rivlin. Der israelische Staatspräsident beglückwünscht die beiden Generale, die deutsch-israelische Freundschaft und die militärische Zusammenarbeit mit dem historischen Tag auf eine neue Stufe gesetzt zu haben. Eine ganz besondere Ehre für Generalleutnant Ingo Gerhartz.
Der 18. August 2020 wird in die Chroniken der Deutschen und der Israelischen Luftwaffen eingehen und ein Kapitel öffnen, das von jetzt an gemeinsam geschrieben wird.