Letzte Ruhe in der fremden Erde Nazareths
Letzte Ruhe in der fremden Erde Nazareths
- Datum:
- Ort:
- Israel
- Lesedauer:
- 4 MIN
Musketiere, Flieger und Dragoner – im Ersten Weltkrieg kämpften sie an der Seite der osmanischen Verbündeten an der Palästinafront. Noch über 100 Jahre nach deren Tod wird ihrer gedacht – auf einem Friedhof, der von den Nationalsozialisten 1933 im heutigen Israel errichtet wurde. Dr. Norbert Schwake kümmert sich darum im Auftrag des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge.
Die Hitze drückt auch noch im Oktober unbarmherzig auf den von einer hohen Mauer umgebenen Friedhof im Zentrum Nazareths. Die knallroten Geranien in der kargen Erde einzelner Gräber könnten ohne die gelegentliche Wasserspende durch den Gärtner Murat nicht überleben. Benediktiner, Dominikaner, Franziskaner und Barmherzige Brüder wurden und werden hier bestattet, nachdem sie sich meist ein Leben lang in dem direkt danebenliegenden Hospital der Heiligen Familie mit angeschlossenem Kloster engagiert haben.
Priester, Arzt und jetzt Volksbund-Beauftragter
Durch einen schmalen Treppenaufstieg, wie er kennzeichnend ist für die Architektursprache von Robert Tischler, Chefplaner des Volksbundes für viele Kriegsgräberstätten, geht es zum eigentlichen Soldatenfriedhof. Ein martialischer Adler an der Mauer und der „Aufmarschplatz“ mit den heute leeren Fahnenstangen dahinter unterstreichen die Ideologie aus der Entstehungszeit des Friedhofes. „Offensichtlich waren die Planer damals der Meinung, dass es hier keine Steine gibt, sonst hätten sie nicht aus dem fernen Deutschland rötliche Weser-Sandsteinplatten herangekarrt“, erzählt Norbert Schwake süffisant. Der gebürtige Niederrheiner arbeitete – nach seiner Zeit als katholischer Priester – als Arzt im Krankenhaus nebenan. Von der Bundeswehr gemustert musste er den Wehrdienst wegen seines Theologie-Studiums aber nicht mehr antreten. Das Militär holte ihn nach seinem zwischenzeitlichen Medizin-Studium dennoch. Und zwar das israelische. Denn nach seiner Heirat mit einer Israelin wollte der Staat auf seine Dienste als Reservist und Mediziner in der chirurgischen Ambulanz eines südlibanesischen Militärkrankenhauses nicht verzichten.
Seit knapp 20 Jahren kümmert sich der heute 82-jährige Arzt um den einzigen deutschen Soldatenfriedhof in Israel. Das umfasst nicht nur das Nachzeichnen der goldgelben Buchstaben auf den zahlreichen Grabtafeln. Große Sorgen bereiten ihm derzeit die unübersehbaren Risse in den Friedhofsmauern und Torbögen, die mittlerweile so groß sind, dass eine ganze Handfläche darin verschwinden könnte. „Woher die Setzungen kommen, die auch das Gelände außerhalb des Friedhofs betreffen, ist nicht nachvollziehbar“, rätselt Schwake. Fest steht, dass es mit dem Zuschmieren der Fugen mit Mörtel nicht getan ist. Der deutsche Bürokratenhengst wiehert auch fern der Heimat, weswegen er mindestens drei Angebote für die Sanierung der Mauer einholen muss.
Rund 500 Namen sind verzeichnet
Der „Turm der Treue“ mit der angeblich größten Glocke im Heiligen Land überragt die Anlage. Gleich daneben die Ehrenhalle mit einem wuchtigen Gitter, für das eine Ebersberger Kunstschlosserei immer noch die Entwürfe aufbewahrt. Von da führen nochmal ein paar Stufen hinauf zu den eigentlichen Grabstellen. Wie in einem engen Hausflur sind rechts und links die Gräber und darüber die frisch nachgezeichneten Grabtafeln angeordnet. Parallel zum ersten Gang, wo die sterblichen Überreste der 261 dort Genannten auch bestattet sind, wurden in einem zweiten Gang weitere 250 Kriegstote aus Deutschland und Österreich erwähnt, die nicht hier begraben sind.
Einen Großteil seiner Arbeit widmet der Vater dreier Söhne, die allesamt ihren Wehrdienst in Israel geleistet haben, der Recherche. Gut dokumentiert ist der Einsatz, der rund 16 000 deutsche Soldaten nach Palästina geführt hatte: anfangs halfen sie den auf Kamelen berittenen Türken zum Suezkanal vorzudringen und den Briten den Weg zu ihren Kolonien in Afrika abzuschneiden. Größter Truppensteller waren die Angehörigen der Königlich Bayerischen Fliegertruppe. Mit ihren Doppeldeckern sollten sie Luftaufklärung, auch gegen aufständische Araber betreiben und die Arbeit der Eisenbahn-Sonderkompanie, die an der Hedschasbahn von Damaskus nach Arabien baute, aus der Luft absichern. In Luftkämpfe mit den Briten verwickelt, zogen sie mit ihren dafür ungeeigneten Maschinen oft genug den Kürzeren und stürzten ab.
Wer waren die Menschen hinter den Namen?
Aufwändiger war die Recherche dagegen bei der Frage, wer denn an der Palästina-Front gekämpft hatte. Bedeutende Archive des Ersten Weltkriegs in Berlin-Spandau waren bei Kriegsende abgebrannt, nur in Bayern wurde Norbert Schwake fündig. Viele der rund 1 000 an der Palästina-Front Gefallenen stammten aus der im Jahr 1917 in Oberschleißheim bei München aufgestellten Bayerischen Fliegerabteilung 304. Noch schwieriger ist Schwakes emsiges Bemühen, den Namen ein Gesicht zu geben. Wer war Brigitte Lunar, die einzige namentlich hier erwähnte Frau? Vermutlich Krankenschwester im Lazarett Be’er Scheva. Gelegentlich spürt Schwake auch Nachfahren ganz klassisch im Telefonbuch auf. So kam er an Reste eines Kriegstagebuches von Julius Führer. Dass der am 8. Juni 1918 abgeschossene Rüdiger Freiherr von Künzberg Pilot war ist gesichert. Nach altem Fliegerbrauch ist sein Name auf dem Propeller seines abgeschossenen Flugzeuges eingeritzt und hängt heute im Glockenturm.
Das Gelände des Soldatenfriedhofs gehört heute dem israelischen Staat, denn die Gültigkeit des Pachtvertrages der Briten, die dem Deutschen Reich das Grundstück für 999 Jahre übertragen hatten, währte bekanntlich nicht lange. „Man kann sich vorstellen, dass es für Israel sehr schwierig war, diese Stätte zu erhalten“ sagt der Volksbund-Beauftragte Schwake. Das gute Verhältnis zwischen Deutschen und Israelis würden vor allem die Soldaten prägen. Dabei seien die hebräischen Sprachkenntnisse des hier stationierten Personals von großem Vorteil. Deswegen hat in der jüdischen Stadt mit den christlichen Wurzeln das weithin hörbare Zwölfuhrläuten vom Glockenturm genauso seine Berechtigung wie der Gebetsruf des Muezzins kurz danach.