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Materialforschung

Fallschirm- und Flugunfälle: So ermittelt die AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen die Ursachen

Fallschirm- und Flugunfälle: So ermittelt die AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen die Ursachen

Datum:
Ort:
Deutschland
Lesedauer:
4 MIN

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Der Albtraum eines jeden Fallschirmspringers: Die am Flugzeug befestigte Aufziehleine, die den Schirm öffnen soll, reißt. Der Springer rauscht ungebremst zu Boden. Mit einem 100 Kilo schweren Dummy statt Springer ist das passiert. Die Arbeitsgruppe für technische Untersuchungen (AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen) machte sich an die Arbeit und ermittelte die Ursache.

Fallschirmjäger gleitet zu Boden.

Fallschirmjäger am Rundkappenschirm T-10. Dieser Typ wurde auch beim Erprobungssprung genutzt. Nur die Aufziehleine war eine andere.

Bundeswehr/Carl Schulze

„Wir sind luftfahrtechnische Gutachter“, erklärt Wolfram Keller, einer von drei zivilen Untersuchungsingenieuren bei der AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen. Drei weitere aus dem Team sind Soldaten – zwei luftfahrtzeugtechnische Offiziere und ein Elektronikoffizier. Eine Bürokraft komplettiert das siebenköpfige Team. Zusammen haben sie ihren Sitz in der Liegenschaft des Wehrwissenschaftlichen Instituts für Werk- und Betriebsstoffe (WIWeBWehrwissenschaftliches Institut für Werk- und Betriebsstoffe) in Erding. Sie gehören zum Waffensystemunterstützungszentrum 1 in Manching, sind also Teil der Luftwaffe.

Immer, wenn es um die Aufklärung von technischen Ursachen nach Unfällen im Flugbetrieb geht, sind die besonderen Fähigkeiten und die langjährigen Erfahrungen der Erdinger Flugsicherheitsexperten gefragt. Auch bei der Begutachtung technischer Schäden an Luftfahrzeugen oder von Betriebsstörungen ist die Expertise aus Erding unerlässlich.

Warum ist die Leine gerissen?

Entsprechend begann die AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen auch in Sachen Aufziehleine mit ihren Untersuchungen. Genau solche Leinen wurden zum Absetzen von Fallschirmspringern aus dem neuen Transportflugzeug C-130 Hercules mit Dummys erprobt.  Der Test scheiterte. Bei der Ursachenforschung für Materialfehler wie diesen ist eine langjährige Erfahrung in der Militärflugzeugtechnik unabdingbar.

Aufziehleine konnte Stoß nicht standhalten

Umfangreiche Textilprüfungen und Untersuchungen an der Flugzeugtür, von der aus der Erprobungssprung stattgefunden hat, lösten schließlich das Rätsel: Ursache war eine Überlastung des Materials der Leine in Kombination mit einer Türkante ohne ausreichendem Türkantenschutz, die zudem aus Sicht der AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen eine unzulässige Rauigkeit aufwies. Die Leine war nicht geeignet, um den Stoß eines an der Tür hängengebliebenen Springers abzufangen. Daher empfahl die AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen, eine andere Aufziehleinenart zu verwenden, die die höheren Kräfte eines hängenbleibenden Springers sicher aufnehmen kann. Der gerissene Leinentyp wird nicht mehr verwendet.

Seit 1964 klärt das Team Flugunfälle auf

Die AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen gibt es inzwischen seit 60 Jahren. Anlass ihrer Gründung war das Waffensystem F-104 Starfighter. „Fast ein Drittel dieser Jets sind damals abgestürzt“, erklärt Keller. „Deshalb wurde 1964 eine zentrale technische Untersuchungsstelle aufgestellt, um diese vielen Flugunfälle aufklären zu können.“

Aktuell wird die AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen jährlich mit circa 20 bis 30 „Fragestellungen“ zur Untersuchung beauftragt. Von der Beauftragung bis zum finalen Bericht kann es von wenigen Tagen bis zu mehreren Jahren dauern. Vor allem die Untersuchung von Unfällen und Schäden, welche Menschenleben gekostet haben, stellt die Ingenieure erfahrungsgemäß vor ein ziemlich komplexes Schadensbild.

Ein Mann untersucht ein gebrochenes Rotorblatt eines Hubschraubers.

Keller begutachtet die Schäden eines Flugunfalls aus 2011, bei dem sich ein Hubschrauber vom Typ Bell UH-1D durch zu hartes Aufsetzen am Boden die Heckausleger abschlug

Bundeswehr/Stevan Ludwig
Ein Mann untersucht das Überbleibsel einer Hubschrauberdrohne.

Überbleibsel einer Hubschrauberdrohne vom Typ Sea Falcon/Skeldar V-200. Sie stürzte 2023 aufgrund eines Heckrotorausfalles ab.

Bundeswehr/Stevan Ludwig

Die AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen ist zwar eine militärische Dienststelle, kann im Rahmen der Amtshilfe aber auch bei der Untersuchung ziviler Flugunfälle unterstützen. Zusammen mit dem Wehrwissenschaftlichen Institut für Werk- und Betriebsstoffe verfügt sie über Equipment zur Begutachtung des Schadenmaterials mittels verschiedenster wissenschaftlicher Analysewerkzeuge – unter anderem in den Bereichen Mikroskopie, chemische Analytik, Computertomografie und Elektrik.

Feinstarbeit an unterschiedlichen Waffensystemen

Die Arbeit der AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen ist besonders: Nicht nur, weil nur sechs Menschen mit größter Akribie einem oft verheerenden Ereignis auf den Grund gehen, sondern auch, weil jede Untersuchung anders ist. Selten ist der „Versager“ derselbe. Die Männer von der AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen arbeiten an den unterschiedlichsten Waffensystemen, Geräten und Flugzeugteilen. „Man lernt bei jeder Untersuchung etwas dazu, weil kein Schadensbild dem anderen gleicht“, sagt Keller. Das liegt auch daran, dass die AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen nicht nur für die Luftwaffe arbeitet, sondern auch für alle anderen Teilstreitkräfte mit fliegenden Waffensystemen.

Entscheidungshilfe und Unfallprävention

Mit ihrer Arbeit leistet die siebenköpfige Untersuchungsgruppe einen enormen Beitrag zur Aufklärung von Flugunfallursachen und zur Unfallprävention. Die Untersuchungen dienen übergeordneten Dienststellen wie Kommandobehörden als Entscheidungshilfe bei der Einführung neuer fliegender Waffensysteme, da technische Mängel auch in Zukunft nie auszuschließen sind.

Die AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen erarbeitet Änderungsvorschläge für erkannte Mängel, spricht Empfehlungen und Anpassungen über die weitere Nutzung aus und bewertet diese. So konnte die AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen die Schadensursache für einen schweren Reifenschaden am Regierungsflieger A340 Anfang April 2019 am Flughafen in New York aufklären und lieferte so die Voraussetzungen zur Anpassung des Wartungskonzepts. Die AGTUArbeitsgruppe für technische Untersuchungen führte außerdem mehrere Untersuchungen rund um einen Flugunfall mit einem Hubschrauber vom Typ Tiger 2017 in Mali erfolgreich zum Abschluss und trug damit maßgeblich zur Aufklärung der Schadensursache bei. Schuld am Absturz, bei dem zwei Soldaten ums Leben kamen, war wohl eine fehlerhafte Einstellung der Flugsteuerung.

Doch auch Störungen an einzelnen Systemen wie beispielsweise Rettungswesten, mechanischen Komponenten wie Getrieben oder auch komplexeren Systemen wie Drohnen können als neue Fälle auf den Schreibtischen der Ingenieure und Offiziere landen. „Jede abgeschlossene Untersuchung trägt zur Aufrechterhaltung unserer Flugsicherheit bei“, sagt Hauptmann Joss B., Leiter der Arbeitsgruppe. Durch dieses umfangreiche Aufarbeiten von technischen Schäden und Betriebsstörungen können Unfälle von vornherein auch verhindert werden. Es ist also eine deutschlandweit einzigartige militärische Dienststelle, die die Bundeswehr in Erding unterhält.

von Elena Kronenbitter

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