Ein undenkbarer Moment
Ein undenkbarer Moment
- Datum:
- Ort:
- Israel
- Lesedauer:
- 5 MIN
„Unmöglich! Unvorstellbar! Niemals, ausgeschlossen!“ Das wären vielleicht die Reaktionen vieler Menschen gewesen, hätte man ihnen vor nicht allzu langer Zeit von den Ereignissen des 17. Oktobers 2021 erzählt.
„Das Haus der großen Versammlung“ oder besser gesagt die Knesset in Jerusalem wurde Schauplatz eines Moments, der für alle Zeiten in die Geschichte Deutschlands und Israels eingehen wird. Eine israelische F-15 und der Eurofighter „Eagle Star“ überflogen das israelische Regierungsgebäude, welches das Wahrzeichen der israelischen Demokratie ist. In den Cockpits saßen enge Freunde. Seite an Seite flogen die Chefs der deutschen und israelischen Luftwaffen über das Gelobte Land, um gemeinsam ein Zeichen der Freundschaft zu setzen und der Zukunft ein Versprechen zu geben.
Denkwürdiger Tag beginnt in Yad Vashem
Stunden zuvor besuchten Generalleutnant Ingo Gerhartz und sein israelischer Amtskollege die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Die beiden Delegationen wurden erst durch den Direktor der Gedenkstätte, Dani Dajan, begrüßt und danach durch das „Museum of Holocaust Art“, das „Childrens Memorial“ und die erst kürzlich eröffnete Fotoausstellung „Flashes of memory“ geführt. „Danke, dass wir heute hier sein dürfen. Danke General Norkin, Amikam mein Freund“, wendete sich Gerhartz an seinen Gastgeber. Nachdem er in der Halle der Erinnerungen die ewige Flamme schürte und sich dadurch die Flamme stärker entfachte, legte er einen Kranz zu Gedenken der über sechs Millionen Opfer der Shoa nieder.
Karl Laabs – Ein Gerechter unter den Völkern
Das anschließende Ziel der beiden Luftwaffenchefs war insbesondere für die Deutsche Luftwaffe von emotionaler Bedeutung. Karl Laabs war Feldwebel der Wehrmacht und rettete mehr als hundert Juden das Leben, indem er sie ähnlich wie Oscar Schindler als Arbeiter anstellte. So verhinderte er ihre Deportation in das nahegelegene Vernichtungslager Auschwitz. Im Jahre 1980 wurde Laabs als einer der wenigen Deutschen in das Register der „Gerechten unter den Völkern“ aufgenommen. Drei Jahre später pflanzten seine noch lebenden Angehörigen zu seinen Ehren in Yad Vashem einen Baum an der „Allee der Gerechten“. Heute, knapp 80 Jahre nach den Heldentaten von Karl Laabs in dieser schrecklichen Zeit, standen der israelische und der deutsche Luftwaffenchef salutierend vor eben diesem so bedeutenden Baum.
Weit mehr als nur eine militärische Kooperation
Zum Abschluss des Besuches in Yad Vashem stellten sich beide Generäle der israelischen und deutschen Presse. Sie betonten, dass die Beziehungen zwischen ihren Luftstreitkräften weit mehr als nur eine militärische Partnerschaft, sondern eine Freundschaft sei. „Letztes Jahr flogen wir beide in Deutschland gemeinsam an der KZ-Gedenkstätte Dachau vorbei und erklärten in der anschließenden Zeremonie vor dem jüdischen Mahnmal: Nie wieder!“, sagte Generalmajor Amikam Norkin. Generalleutnant Ingo Gerhartz ergänzte in seinem Statement, dass es besonders für die Generationen nach dem Holocaust wichtig sei, die Verantwortung aus der Geschichte niemals zu vergessen. „Nächstes Jahr werden deutsche Offiziere mit ihren Familien, mit ihren Kindern nach Israel reisen. Wir werden das Lehrgebäude unserer Unteroffizierschule nach Karl Laabs benennen und immer weiter daran arbeiten, dass wir unsere verschiedenen Kulturen und Religionen verstehen. Wir trainieren nicht nur gemeinsam, wir bringen Menschen zusammen.“
Und diese Versprechen, die sie beide gerade eben noch öffentlich gaben, hielten sie keine drei Stunden später selbst. Israelische Blackhawk-Helikopter brachten die beiden tief in den Süden in die Negev-Wüste auf die Uvda-Luftwaffenbasis. Dort angekommen trennten sich ihre Wege für kurze Zeit, nur um sich umzuziehen und Jacket und Hose durch Fliegerkombi zu ersetzten.
Der „Eagle Star“ steht bereit
Während Generalmajor Norkin sich in seine vollgetankte zweisitzige F-15 auf den Rücksitz setzte, stieg zeitgleich Generalleutnant Gerhartz in das Herzstück der deutschen Eurofighter-Flotte von Blue Flag 2021 – den „Eagle Star“.
Dieser sonderfolierte Eurofighter zeigt sowohl die deutsche als auch israelische Flagge in Flugrichtung geschwungen wie auch beide Staatssymbole auf Flügeln und Finne. Bundesadler und Davidstern ergeben zusammengenommen den luftwaffentypisch englischen Begriff „Eagle Star“. Mit dieser öffentlichkeitswirksamen Geste zeigen die Soldatinnen und Soldaten vom Taktischen Luftwaffengeschwader 31 „Boelcke“ zusammen mit der ganzen Luftwaffe in ihrem Rücken, dass man sich auf das erneute Wiedersehen mit den Freunden der IAF (Israeli Air Force) freue und mit ihnen gemeinsam ganz entschieden ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen wolle.
Gemeinsam in Formation nach Westjerusalem
Norkin und Gerhartz starteten die Triebwerke und stiegen begleitet von einer israelischen F-35 und einem weiteren Eurofighter in den Wüstenhimmel mit dem Kurs nach Norden. An der alten Festung Masada vorbei, einem Wahrzeichen Israels, erreichte die Formation bald Westjerusalem. Nur kurze Zeit später passierten sie das israelische Regierungsgebäude – die Knesset. Nie zuvor ist das geschehen. In Anbetracht der besonderen Verbindung der beiden Länder grenzt dieser Moment nach – aus geschichtlicher Sicht betrachtet – so kurzer Zeit an ein Wunder.
Blue Flag war nie so groß
Mit diesem Überflug schrieben nicht nur beide Luftwaffen nach dem letzten Jahr in Deutschland erneut Geschichte, sondern eröffneten auch eine der qualitativ hochwertigsten Übungen weltweit. Blue Flag 2021 ist mit acht Nationen so groß und umfangreich wie nie zuvor. Neben Israel und Deutschland nehmen außerdem die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Partner Großbritannien, USA, Frankreich, Italien und Griechenland teil. Zudem sind zum zweiten Mal nach 2017 wieder die Luftstreitkräfte Indiens dem Übungsbündnis beigetreten. Gemeinsam werden komplexe Luftkriegsoperationen trainiert. Das ist Herausforderung und Übungsziel zugleich. Denn wo hingegen die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Partner alle die identischen Verfahren nutzen und durch zahlreiche NATONorth Atlantic Treaty Organization-Trainings soweit eingespielt sind, nutzen Indien und insbesondere Israel aufgrund ihrer Einsatzlage ganze andere Techniken. Diese unterschiedlichen Arten der Durchführung auf einen Nenner zu bringen, um erfolgreich gemeinsame Ziele zu bekämpfen, ist die Herausforderung. Gleichzeitig ermöglicht das den Nationen einen Einblick in andere Verfahrensweisen, was natürlich für die eigene Qualitätssicherung sehr hilfreich ist.
Rund 160 Soldatinnen und Soldaten vom Taktischen Luftwaffengeschwader 31 „Boelcke“ mit ihren sechs Eurofightern sind dafür in die israelische Negev-Wüste gereist, um zwei Wochen lang Erfahrungen auf internationalem Parket zu sammeln.
Generalmajor Amikam Norkin erhält das Bundesverdienstkreuz
Bevor der Tag zu Ende ging, erhielt Generalmajor Amikam Norkin die höchste Auszeichnung, die die Bundesrepublik Deutschland zu vergeben hat. In der Residenz der deutschen Botschafterin in Israel, Dr. Susanne Wasum-Rainer, legte Gerhartz Norkin das Bundesverdienstkreuz an und sprach in seiner Laudatio von einem „wahren Freund Deutschlands“.
Am nächsten Morgen erhielt der deutsche Luftwaffenchef wiederum eine ganz besondere Auszeichnung. Der Chef des Generalstabes der israelischen Streitkräfte und Generalleutnant, Aviv Kochavi, verlieh Generalleutnant Ingo Gerhartz als erstem deutschen Staatsbürger überhaupt die „Chief of Staff Medal of Apreciation“. Das unterstreicht, wie wichtig dem jüdisch geprägten Staat die gemeinsame Partnerschaft und Freundschaft sind.
In den nächsten zwei Wochen werden sich die deutschen und israelischen Luftstreitkräfte zusammen mit den anderen an Blue Flag teilnehmenden Nationen auf das militärische Training konzentrieren. Mit dem Überflug über die Knesset wurde aber die eigentliche Botschaft bereits gesetzt – der Flug in eine gemeinsame Zukunft!