Luftwaffe
Geschichte

Autobahnen als militärische Infrastruktur während des Kalten Krieges

Autobahnen als militärische Infrastruktur während des Kalten Krieges

Datum:
Ort:
Deutschland
Lesedauer:
4 MIN

Während des Kalten Krieges hatte die Bundesrepublik Deutschland als NATO-Mitglied eine wichtige strategische Rolle im Konflikt zwischen den beiden Supermächten. Im Falle eines Konflikts wären zahlreiche NATO-Truppen im Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik stationiert worden, darunter auch fliegende Verbände aus Übersee. Und die brauchten Platz.

Ein Düsenjet setzt auf einer Autobahn zur Landung an.

Landeübung mit Tornado der Luftwaffe auf der Autobahn bei Diebholz Ahlhorn während der Übung „Operation Highway 84“

Bundeswehr/Mathias Zins

Da die vorhandenen Flugplätze und Fliegerhorste möglicherweise nicht ausreichten, um die benötigte Infrastruktur zu bieten, wurden Autobahn-Notlandeplätze (kurz NLP) als alternative Option errichtet. Im März 1984 probten NATO-Luftstreitkräfte den Einsatz und Betrieb eines solchen Platzes an der A 29 bei Alhorn.

Die „Operation Highway 84“, so der Name der wohl außergewöhnlichsten multinationalen Luftwaffenübung auf deutschem Boden, galt als Probe für den Ernstfall. Davon ausgehend, dass der Gegner die Heimatfliegerhorste zerstört hätte, während die eigenen Jets noch im Einsatz waren, sollten diese trotzdem eine Chance auf Rückkehr vorfinden. Die Maschinen hätten auf den Autobahnen landen, mit Kraftstoff versorgt werden und neue Aufträge erfüllen können. Dazu wurde auch die Neubewaffnung der Jets trainiert. Erreicht werden sollte eine Dezentralisierung der Luftstreitkräfte, um dem Gegner möglichst wenig Ziele zu bieten. Die größte Dichte an Autobahn-Notlandeplätzen gab es in Norddeutschland. Allein auf der A 1 waren sechs NLP vorhanden.

Multinational auf der Autobahn

Während dieses Manövers fanden 416 Full-Stop-Landungen, 1.475 Touch-&-Go-Anflüge, 517 Radar- und 47 TACANTactical Air Navigation-Anflüge, letzteres bedeutet Navigation durch Funkfeuer, statt. Bei dieser Übung wurde erstmals eine mobile Flugfeldbefeuerung erprobt. Zumindest einige der Autobahnabschnitte wurden in Manöver einbezogen und dabei für den Verkehr voll gesperrt – teilweise für mehrere Tage. Es beteiligten sich neben der deutschen Luftwaffe noch die Luftstreitkräfte Großbritanniens, Belgiens, der Niederlande, Dänemarks, Norwegen, und, obwohl damals nicht in der NATO, die Armée de l’Air der Franzosen an der Übung. Eingesetzt wurden folgende Flugzeugtypen: F-15, F-16, Starfighter, Phantom, Tornado, Alphajet, Jaguar, Fairchild A-10A, NF-5, Mirage III, C-160 Transall, Hercules, Do-28, Bell UH-1D und BO-105.

Eine Propeller-Transportmaschine steht auf einer Autobahnspur.

Selbst Transportmaschinen aus den USA landeten während der Übung auf dem Autobahn-Notlandeplatz. Sie zeigten die Leistungsfähigkeit der Flieger wie auch der Infrastruktur.

Bundeswehr/Günter Oed

Temporäre Europaleitplanke und gerade Spurbahnen

Der erste Autobahn-Notlandeplatz in Deutschland wurde 1961 in der Nähe von Lahr gebaut. Der Bau weiterer Anlagen begann erst 1966, und bis 1968 wurden insgesamt sieben solcher Plätze errichtet. Gemäß dem Streitkräfteplan von 1969 bis 1978 sollten bis zu 60 NLP im Land verteilt werden. Zwischen 1972 und 1985 wurden 16 weitere NLP gebaut, wobei die letzten erst 1988 fertiggestellt wurden.  

Ein typischer Autobahn-Notlandeplatz bestand aus einem geraden Abschnitt der Autobahn von 1.500 bis 3.500 Metern Länge, der mindestens 23 Meter breit war, später sogar 30 Meter. Der Mittelstreifen war durchbetoniert, und die sogenannte Europa-Leitplanke zwischen den Richtungsfahrbahnen war nicht verschraubt, sondern mit einer Schnellbefestigung versehen, so dass sie in kürzester Zeit demontiert werden konnte. Die Haltepfosten waren nicht einbetoniert, sondern nur gesteckt. An den Enden der Piste gab es jeweils einen Parkplatz, der als Abstellfläche für sechs bis zehn Flugzeuge gedacht war. Diese Flächen hatten eine vom sonstigen Parkplatz-Standard abweichende Form und zusätzliche Rollwege zur Piste, die in Friedenszeiten wiederum mit Leitplanken verschlossen waren. Fast immer gab es Zuwege, sodass diese Bereiche auch von außerhalb der Piste über Verbindungsstraßen erreichbar waren.

Fast alles war vorbereitet

Einige NLP verfügten über weitere Infrastruktur wie betonierte Flächen für verschiedenes Gerät, vorbereitet waren Kabelschächte und -kanäle, Stromanschlusskästen und manchmal sogar vorbereitete Masten für Radar- oder Funkantennen. Feste Befeuerungs-, Radar- oder Fernmeldeeinrichtungen gab es dagegen nicht. Lediglich ein Post-Hauptanschluss fand sich dort. Die Infrastruktur wurde in mobiler Form in der Nähe vorgehalten und wäre im Ernstfall innerhalb von 24 Stunden vor Ort einsatzbereit gewesen.

Neben vollausgebauten NLP gab es offenbar eine größere Zahl von weniger gut ausgebauten Hilfs-Notlandeplätzen wie etwa auf der A7 zwischen Berkhof und Schwarmstedt. Hier gab es zwar einen durchbetonierten Mittelstreifen, die typischen Abstellflächen fehlten aber.

Heute kaum noch zu erkennen

Eine Aktivierung hätte, von der Alarmierung bis zur Einsatzbereitschaft, auch hier 24 Stunden in Anspruch genommen. Hierzu hätte neben der Entfernung der Leitplanken die Aufstellung von Landebahnbeleuchtung, mobilem Tower, Radar- und Funktechnik, die Anbringung von provisorischen Landebahnmarkierungen, die Aufstellung von Nachschub für Kerosin und Munition, die Verlegung von insgesamt rund 40 Kilometern Kabel und vieles mehr gehört.

Heute verschwinden diese Relikte des Kalten Krieges nach und nach. Im Zuge von Bauarbeiten bei Ausbesserungen und Verbreiterungen werden die Mittelstreifen neu begrünt und die Parkplätze weggerissen oder überbaut. Trotzdem, wer sich auf einem solchen Parkplatz ein wenig umschaut, findet jetzt noch viele Details, die von der früher geplanten Nutzung zeugen.

Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR existierte ebenso eine entsprechende Infrastruktur. Hier hießen die Anlagen einfach Autobahn-Abschnitt oder kurz „ABA“. Diese wurden zum Teil von der NVANationale Volksarmee, zum Teil von der Sowjetarmee benutzt und vorgehalten. Vom Aufbau her entsprachen die Anlagen weitgehend ihren westlichen Pendants, lediglich in Details unterschieden sie sich.

von Thomas Skiba
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