Jetzt wird aufgeräumt!
Jetzt wird aufgeräumt!
- Ort:
- Wildflecken
- Lesedauer:
- 5 MIN
Job mit Restrisiko: Truppenübungsplatzkommandantur Wildflecken und Bundeswehr-Dienstleistungszentrum Hammelburg arbeiten bei der Beräumung von blindgängerbelastetem Gebiet Hand in Hand.
Der Blick von der Dalherdaer Kuppe auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken reicht an diesem sonnigen Tag weit ins Land. Die Wasserkuppe scheint zum Greifen nah, das Kuppenmännchen schaut auf Dalherda herab und der so genannte „Monte Kali“ bei Fulda ist mit seiner hellen Oberfläche leicht zu erkennen.
Auf den ersten Blick sieht alles idyllisch aus, unberührte Natur, Vogelgezwitscher und dichte Bestände von lilafarbenen Blumen, wären da nicht die roten Schilder mit der Aufschrift „Achtung Blindgänger - Betreten verboten - Lebensgefahr“, die in regelmäßigen Abständen am Wegesrand stehen und eine mehrere Hektar umfassende Fläche eingrenzen. Schnell wird klar, warum dieser Teil der Rhön militärisches Sperrgebiet ist.
Belastetes Erbe
Nach dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte im Jahr 1994 übernahm die Bundeswehr mit dem Truppenübungsplatz Wildflecken ein belastetes Erbe. Die Schießbahnen waren alle auf eine impact area, also das Zielgebiet ausgerichtet. Munition aller Kaliber und Wirkungsweisen wurde in den 80 Jahren durch unterschiedliche Armeen verschossen, darunter auch sensible Munition mit Explosivstoffen wie zum Beispiel panzerbrechende Munition. Wenn diese ihr Ziel verfehlt und aus verschiedenen Gründen „nicht umsetzt“, also nicht explodiert, dann bleiben der Zünder sowie der Sprengstoff im Inneren weiterhin gefährlich. Diese insgesamt circa 2.000 Hektar des Zielgebietes sind in die Kategorie C der Munitionsbelastungsgrade eingestuft. Das heißt, es ist mit hoher bis sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass diese Areale mit Munitionsteilen und Blindgängern durchsetzt sind. Darüber hinaus befinden sich auf dem Truppenübungsplatz weitere kleinere Teilflächen, auf denen das Betreten strengstens verboten ist. Insgesamt sind ein Viertel bis ein Drittel der Gesamtfläche des Platzes betroffen, erläutert Oberstleutnant Kai Schulze, der Kommandant des Truppenübungsplatzes Wildflecken.
Natürliche Lebensräume bedroht
Neben der räumlichen Einschränkung des Übungsbetriebes durch diese nicht nutzbaren Flächen kommen weitere Probleme hinzu. „Ein charakteristisches Merkmal der Rhön sind ihre wertvollen Offenlandflächen“, sagt Stefan Radloff vom Bundeswehr-Dienstleistungszentrum Hammelburg. „Änderungen der militärischen Nutzung und das Fehlen einer naturschutzfachlichen Bewirtschaftung fördert die Ausbreitung invasiver Pflanzen wie zum Beispiel einigen Weidenröschenarten. Vor dem Hintergrund des Verschlechterungsverbotes sind vor allem angrenzende Lebensräume massiv bedroht und werden aus dem ökologischen Gleichgewicht gebracht.“ Auch eine schleichende Verbuschung und Ausbreitung des Waldes sehen die Ökologen auf diesen Flächen als kritisch.
Vorbereitung für die neue Saison
Nach einer erfolgreichen Räumung mit hohem Aufwand von rund 2,3 Hektar im Jahr 2019 wurden bereits die Vorbereitungen für weitere Aktionen getroffen. Auf einer Referenzfläche wurde mithilfe eines Pionierpanzers die oberste Bodenschicht abgetragen und auf den Inhalt untersucht.
„Wir haben bereits an dieser Stelle das BAIUDBwBundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr GSGesetzliche Schutzaufgaben II 5, die Untere Naturschutzbehörde Bad Kissingen und weitere fachlich zu beteiligenden Stellen mit ins Boot geholt, es handelt sich ja schließlich um einen Eingriff in ökologisch wertvolle Flächen am Rande der Kernzone des Biosphärenreservats“, erklärt Radloff. Alles in allem jedoch kein Problem, denn die Natur verkraftet diesen kurzzeitigen Eingriff sehr gut. Und die positiven Aspekte für Flora und Fauna überwiegen eindeutig und sind langfristig wirksam.
Erfolgreiche Bewirtschaftung der Fläche
Es ist für alle Beteiligten eine „Win-Win-Situation“ ergänzt Hauptmann Enrico Langhärig, Leitender Schießsicherheitsoffizier der Truppenübungsplatzkommandantur. „Die Truppe erhält weitere Übungsräume und Möglichkeiten für Schießübungen, die heimische Flora und Fauna wird erhalten und das Bundeswehr-Dienstleistungszentrum kann die Flächen gefahrlos bewirtschaften.“
Bewirtschaftung heißt hier in erster Linie eine sanfte Steuerung des Bewuchses und die Förderung von Biotopen und Kleinststrukturen durch den Geländebetreuungsdienst des Bundeswehr-Dienstleistungszentrums. Es ist sehr erfreulich, wenn sich auf solchen Flächen wieder Zielarten für Offenlandflächen der Hohen Rhön entfalten oder bei einer naturschutzfachlichen Begehung kleine Wasserstellen entdeckt werden, die aus Einschlagkratern oder Fahrspuren von Panzern entstanden sind, welche ideale Lebensräume für Molche und Gelbbauchunken bieten. Die Nutzung durch die Truppe ist in diesem Fall kein Schaden – solche ökologischen Hotspots entstehen oft trotz beziehungsweise gerade wegen dieser speziellen Nutzung der Flächen.
Einsatz für den Mähroboter
Doch zunächst muss ein Mähroboter des Bundeswehr-Dienstleistungszentrums ans Werk. Mitarbeiter Rainer Schärpf ist gelernter Landwirt und bedient gekonnt sein Gerät per Fernsteuerung – so können die Sondierfelder von 10 mal 20 Metern für die Indikationsanalyse aus sicherer Entfernung vom Bewuchs beräumt werden.
Ohne dieses Gerät wären die nachfolgenden Sucharbeiten nicht möglich beziehungsweise aus Sicherheitsgründen nicht vertretbar. Doch auch für Schärpf wurde es einmal brenzlig, als durch den Mähroboter aufgeschreckte Wildschweine genau in seine Richtung flüchteten.
Metallschrott und Blindgänger
Nach diesem Schritt kommen die Fachkräfte des Panzerpionierbataillons 4 aus Bogen zum Einsatz. Die Soldaten sind ausgewiesene Experten auf dem Gebiet der Kampfmittelräumung und untersuchen das abgesteckte Areal. „Mit Oberflächensonden und Bodenradar steht das modernste Gerät zur Verfügung, das am Markt ist“, versichert Oberstleutnant Schulze. Zeigt eines der Geräte etwas an, wird vorsichtig gegraben und die Fundstelle freigelegt.
Die meisten Funde sind Fragmente von detonierter Munition, also vergleichsweise harmloser Metallschrott, aber hin und wieder stoßen die Pioniere auf sogenannte Blindgänger, mit Explosivstoffen gefüllte Munition, die nach dem Abschuss nicht detoniert ist und auch nach Jahrzehnten noch eine Gefahr darstellt. „Auch wenn es von außen rostig und harmlos erscheint, das Innenleben ist noch völlig intakt und den Piezozündern reichen kleinste Impulse, wie zum Beispiel eine Erschütterung, um eine Explosion auszulösen!“ warnt Hauptmann Langhärig. Bei den besonders kritischen Funden ist oftmals keine Bergung möglich. Der Blindgänger verbleibt an Ort und Stelle und wird dort gesprengt, um die Gefahr zu beseitigen.
Erfreulicher Zwischenstand, noch viel Arbeit
„Die Arbeiten laufen noch besser als erwartet, auch aufgrund der Wetterverhältnisse - mit Abschluss der Maßnahme im September 2020 können weitere 18,6 Hektar vom Munitionsbelastungsgrad C auf B herabgestuft und damit wieder genutzt und bewirtschaftet werden. Das ist mehr, als zusammengerechnet in den letzten 20 Jahren beräumt werden konnte“, freuen sich Schulze und Radloff.
„Wenn es gelingt, einen ferngesteuerten Mulch/Baumfräsroboter zu bekommen, können wir uns auch endlich an belastete Waldgebiete wagen. Die Maschine muss jedoch deutlich größer und kräftiger sein als das derzeitige Gerät“, umschreibt Radloff die Pläne für die nächsten Jahre. Kommandant Schulze pflichtet ihm bei – die beiden haben mit ihren Teams noch eine Menge Arbeit vor sich.