Das Schlimmste ist nicht immer der Einsatz
Das Schlimmste ist nicht immer der Einsatz
- Ort:
- Strausberg
- Lesedauer:
- 3 MIN
Es ist der 5. März im Jahr 2010, nahe Kunduz in Afghanistan. Wie auch in den Wochen und Monaten zuvor führe ich meine Kompanie auf einer Patrouille im südlichen Chahar Darreh. Wir haben das schon so oft gemacht, dass wir ein Gespür entwickelt haben. Wir wissen: Auch heute wird es krachen, wird es zum Gefecht kommen.
Circa 14 Uhr – kurz zuvor war alles friedlich. Es bricht die Hölle los. Eben noch haben Kinder um uns herum gespielt. Eben noch war es ruhig. Jetzt jedoch nicht mehr. Jetzt ist alles anders. Wir stehen im Gefecht – einmal mehr. Wir wissen, was zu tun ist. Die Abläufe sitzen. Wir können uns auf uns, unsere Kampfgemeinschaft verlassen.
Es gibt einen Unterschied zu den Malen davor. Einen Unterschied, den zunächst nur ich selbst bemerke. Etwas ist mit mir passiert. Es fühlte sich wie ein starker Schlag gegen mein rechtes Bein an. Mein Nahsicherer überprüft mich: Ich wurde getroffen – Steckschuss im Oberschenkel. Die Lagemeldung macht die Runde: „Den Chef hat‘s erwischt!“
Das Gelände ist so beschaffen, dass wir ausweichen, uns zunächst vom Feind lösen müssen. Der Feinddruck ist so groß, dass ich nicht getragen werden kann. Ich muss selbst laufen – zum Glück kann ich das noch. Zuvor habe ich Teile meiner Ausrüstung auf meine Soldaten verteilt. Das Geschoss, das eben noch fest in meinem Oberschenkel steckte, droht herauszufallen. Ich will es behalten. Ich bin voller Adrenalin. Ich packe es, ziehe es aus meinem Bein, stecke es in die Tasche.
Das Deckungsfeuer steht. Wir lösen uns koordiniert vom Feind. Alles läuft. Meine Soldatinnen und Soldaten sind Profis. Wir kennen uns, wir schätzen uns, wir stehen füreinander ein. Auch und gerade, wenn es um alles geht. Auch heute am 5. März 2010.
Angeschossen
Später werde ich im Feldlager Kunduz operiert. Bei der Operation stellt sich heraus, dass das Metallteil, das in meinen Oberschenkel gedrungen war, gar kein Geschoss war. Es entpuppte sich als ein abgerissener Bolzen meiner Maschinenpistole, die ich umhängen hatte. Sie hat den Schuss aufgefangen und mich so vor einer schwereren Verwundung bewahrt.
Eigentlich müsste ich jetzt zurück nach Deutschland – „repatriiert“ werden. Ich will nicht. Ich bin mit meinen Soldatinnen und Soldaten gemeinsam reingegangen. Ich werde auch wieder gemeinsam mit ihnen rausgehen. Ich darf bleiben. Das ist gut so. Meine Frau – daheim mit unseren zwei kleinen Kindern – versteht und unterstützt mich. Sie ist mein Fels in der Brandung.
Zeitsprung – es ist im April 2010. Einsatzende. Wir sind auf dem Rückweg nach Deutschland. Zwischenstopp in Termez in Usbekistan. Wir stehen Spalier: Mit uns im Flieger werden vier gefallene Kameraden zurück nach Deutschland gebracht.
Den Einsatz gut verkraftet
Trotz eigener Verwundung. Trotz all des Erlebten. Ich habe Glück: Keine Albträume. Bis heute – zwölf Jahre danach – keine schlaflosen Nächte wegen des Einsatzes. Mit ihm bin ich im Reinen. Dieses Glück wird leider nicht jedem Einsatzsoldaten zuteil. Meine Kompanie, meine Soldatinnen und Soldaten, die ich die Ehre hatte führen zu dürfen – ich bin davon überzeugt, dass sie dazu beigetragen haben, dass der Einsatz für mich so gut ausgegangen ist. Ich bin stolz auf sie. Sie haben meine Hochachtung. Ich werde sie nie vergessen, werde immer für sie da sein.
Zwei Dienstposten nach dem Einsatz haben mich krank gemacht. Albträume, schlaflose Nächte, Selbstzweifel inklusive – mitunter Versagensängste.“
Nach dem Einsatz werde ich zum Generalstabsdienstoffizier ausgebildet und seither auf verschiedenen Dienstposten in Deutschland verwendet. Und hier – im tiefsten Frieden – geschieht das Unerwartete. Was mir zuvor trotz Gefechtserlebnissen und unmittelbarer Lebensgefahr erspart geblieben ist, tritt nun ein. Mit zwei Dienstposten sind Erlebnisse verbunden, die dazu führen, dass mich Albträume und schlaflose Nächte plagen. Ich bin kurz davor, die Jacke auszuziehen und meinem Traumberuf endgültig den Rücken zu kehren.
Nach reiflicher Überlegung habe ich mich jedoch entschieden zu bleiben. Unterm Strich überwiegt für mich das Gute an meinem Verständnis vom Soldatsein in der Bundeswehr und die Erkenntnis, dass mit dem richtigen Team alles möglich ist – auch gegen widrige Umstände und in persönlich harten Zeiten.
Seither widme ich mich verstärkt der Inneren Führung und bringe mich mit eigenen Beiträgen und Veröffentlichungen in deren Weiterentwicklung ein.