Generalstabsausbildung: Streiche Amerika – setze England
Generalstabsausbildung: Streiche Amerika – setze England
- Datum:
- Ort:
- England
- Lesedauer:
- 7 MIN
„Streiche – setze“ ist für Soldaten ein geläufiger Terminus. In Befehlen, Lagen oder auch im taktischen Sprachgebrauch kennzeichnet er Änderungen. Dass dies in einem bedeutenden Lebensabschnitt für Oberstleutnant Marc Nolte, seine Frau Julia und die beiden Kinder auch so sein würde, hat der Familie viel abverlangt. Die internationale Generalstabausbildung des jungen Familienvaters findet nun in England und nicht in den USA statt.
Kindergarten, Schule, Großeltern, Freunde aber auch das Haus und überhaupt das persönliche Umfeld sind betroffen, wenn Familien sich entscheiden, der Karriere zu folgen und sich somit ganze Lebensabschnitte ändern. Die junge Familie unterstützt den Familienvater, Oberstleutnant Marc Nolte, bei seinem Karriereweg als Generalstabsoffizier. Alle vier bestreiten ihren Alltag nun in England. Im Interview blicken sie zurück auf den Abschied von Deutschland und den Anfang in England.
Die Entscheidung gemeinsam nach Amerika, später dann England zu gehen, betrifft in Ihrem Fall die gesamte Familie. Ihre Frau und Ihre beiden Kinder, drei und sieben Jahre alt, begleiten Sie. Was macht so etwas mit einer Familie? Wie sind Sie als Soldat, aber auch als Vater mit der Familie an einen solchen Schritt herangegangen?
Marc: Die USA waren immer unser gemeinsamer Traum: einmal im Land der unbegrenzten Möglichkeiten leben. Das war ein besonderer Anreiz und auch die Aussicht auf eine Rückkehr nach Deutschland war irgendwie – beruhigend. Denn es ist nichts Endgültiges. Zu unseren Kindern haben wir gesagt: Es ist wie ein sehr langer Urlaub, bei dem man allerdings arbeiten und zur Schule gehen muss. Je mehr man selbst von diesem Schritt überzeugt ist und sich freut, desto mehr springt der Funke auch auf die Kleinen über. Wir haben das bewusst thematisiert und besprochen und auch Trauer und Ängste – die natürlich manchmal aufkamen – zugelassen und begleitet.
Als feststand, dass Sie nicht in die USA, sondern nach Großbritannien gehen, was passierte ab diesem Moment? Was ging in Ihnen vor?
Julia: Die Wochen vor der „Entscheidung“ waren hart. Wir hingen völlig in der Luft. Es war ein ständiges Hin und Her, ein Hoffen und Bangen und gleichzeitig schwang Angst mit. Wir hatten uns zum Beispiel weder um einen Schulplatz für unseren Sohn beworben, noch haben wir uns um einen Kitaplatz für unsere Tochter gekümmert, da wir ja dachten, beides in Deutschland nicht zu brauchen. Unser Haus war gekündigt und bereits weitervermietet. Als dann nach Wochen des Wartens und Hoffens die Absage kam, war es auf der einen Seite eine unheimliche Erleichterung, weil man nun planen konnte. Wir konnten mit dem Thema USA abschließen und haben uns nun nicht weiter in Hoffnungen verloren. Dennoch war es ein eine riesige Enttäuschung. Das zu verdauen, wird wahrscheinlich sehr lange dauern, auch wenn uns jederzeit bewusst ist, dass es viele andere Familien in der Pandemie viel schlimmer getroffen hat als uns.
Marc: Ich weiß noch wie heute, dass ich dann an einem Morgen – die Kinder spielten, meine Frau schlief noch – mich an den Esszimmertisch gesetzt habe und mit Zettel und Stift eine Beurteilung der Lage durchgeführt habe, wie ich das in meiner militärischen Laufbahn gelernt habe. Was war für uns nun besonders wichtig? Welche Informationen waren noch zu besorgen? Was war bis wann zu entscheiden?
Mit der Familie für mindestens ein Jahr in die USA oder dann nach England zu gehen, ist ein großer Schritt: Wie bereitet man sich darauf vor? Wo liegen die größten Herausforderungen?
Julia: Wir hatten viel Kontakt mit anderen Soldatenfamilien, die schon in den USA gelebt haben oder speziell an dem Standort, wo es für uns hingehen sollte, stationiert waren. Das hat uns im Hinblick auf die Lage vor Ort schon einmal unheimlich geholfen, fand ich. Nach all den Gesprächen und Berichten hatten wir wirklich ein gutes Bild vom Leben on post in den USA. Hier in England war das Ganze auf Grund der Kürze der Vorbereitungszeit nicht so umfangreich möglich. Aber wir hatten auch hier Kontakt, wenn auch nicht so intensiv, zu einigen Soldatenfamilien, die bereits diesen Lehrgang besucht hatten. Die größte Herausforderung war in meinen Augen der Teilumzug. Wir konnten also nur einen Teil unseres Hausstandes mitnehmen und mussten dementsprechend sortieren und entscheiden, was in Deutschland bleibt und was wir in England brauchen werden.
Marc: Dienstlich gibt es eigentlich kaum Herausforderungen. In der bisherigen Laufbahn habe ich viele Soldaten getroffen, die eine Zeit im Ausland verbracht haben. Dadurch war ein Basiswissen gegeben. Und wenn es an einem nicht fehlt, dann an Handbüchern oder anderem Papier, das einem die Schritte erklärt, worauf man sich einzustellen hat und was es zu erledigen gilt. Eigentlich ist es für die Familie eine zeitlich begrenzte Auswanderung mit einer Vollkaskoversicherung und einem doppelten Boden.
Gab es auch Ängste? Wie geht man als Familie damit um?
Julia: Angst, definitiv nein. Aber Respekt, definitiv ja. Denn als Mama ist man ja nun mal auch noch für zwei andere Menschen mitverantwortlich, die in ihrem Alter selbst noch nicht viel darüber mitbestimmen können. Da schwirrt einem natürlich oft die Frage im Kopf herum, wie es wohl mit Schule und Kindergarten in einer fremden Sprache klappen wird und auch wie wir die lange Trennung etwa von den Großeltern am besten handhaben. Die Kinder sahen das etwas entspannter. Sie wussten, dass es dort coole Spielplätze geben wird und sie schnell Freunde finden werden.
Haben Sie als Familie hier in Deutschland ihre Zelte komplett abgebrochen?
Julia: Wir haben einen Teilumzug vorgenommen. Wir hatten eine bestimmte Anzahl Kubikmeter an Umzugsgut, die wir mitnehmen durften. Das bedeutet: Man muss genau überlegen, was mitkommt, was man braucht und auf was man auch ein Jahr lang verzichten kann. Diese Art von Umzug ist wirklich nicht leicht, denn auszusortieren, was in Deutschland bleiben soll, ist besonders mit Kindern eine Herausforderung.
Wie zeitaufwendig ist eine solche Vorbereitung? Würden Sie aus heutiger Sicht einige Dinge anders machen?
Marc: Die gesamte Vorbereitung ist schon sehr umfangreich. Viele Dokumente und viele Zuständigkeiten. Aber immer waren freundliche Menschen am anderen Ende des Telefons, die auch die tausendste Detailfrage noch einmal erläutert haben. Ich hatte im Ministerium zum Glück einen Vorgesetzten, der mir auch den notwendigen Freiraum gegeben hat, alles ausführlich vorzubereiten. Davon kann ich hier vor Ort noch zehren. In der Zeit der Ungewissheit, als Corona immer präsenter wurde und die Ausbildung in den USA immer fraglicher wurde, hat mir mein Vorgesetzter den bestmöglichen Rückhalt gegeben. Er hat mir immer den Rücken gestärkt und gemeint, dass, egal was passiert, wir zusammen eine Lösung fänden, die vor allem auch für uns als Familie zufriedenstellend sein würde. Ohne diese Unterstützung wären sicher die Nächte sehr unruhig geworden für mich.
Sie leben jetzt als Familie in England: Sie sind in der militärischen Ausbildung, Ihre Frau und die Kinder bestreiten ihren Alltag in einer „neuen Welt“. Haben Sie sich gut eingewöhnt oder fehlt Ihnen Deutschland? Was sagen Familie und Freunde zu diesem Schritt?
Julia: Diese Frage ist schwer zu beantworten, denn die Pandemie macht es definitiv nicht leicht. Aber ich würde sagen, so gut es die aktuelle Situation hier vor Ort zulässt, sind wir angekommen. Besonders die Kinder fühlen sich in Schule und Kindergarten wohl und haben in unseren irischen Nachbarskindern zum Glück sehr schnell gleichaltrige Freunde gefunden. Und auch sprachlich sind die Kinder mittlerweile unabhängig und das war für uns immer das wichtigste, dass es den Kindern mit der Entscheidung gutgeht. Und auch wir haben uns mittlerweile an den Linksverkehr und das britische Wetter gewöhnt, würde ich sagen. Bezüglich Deutschland denke ich, ist „fehlen“ der falsche Begriff. Natürlich vermissen wir Freunde und Familie und zum Beispiel den Sportverein der Kinder. Aber mit der heutigen Technik gibt es genug Möglichkeiten, mit den Großeltern und Freunden in Kontakt zu bleiben. Für Freunde und Familie war England glaube ich der größere Schock, denn auf die USA konnten sie sich ja – genau wie wir – monatelang vorbereiten. England kam dann für viele jedoch völlig unvorbereitet, weil alle davon ausgegangen waren, dass wir nun in Deutschland bleiben. Ich glaube, dies hat es zum Beispiel den Freunden unserer Kinder schwergemacht.
Marc: Ehrlich gesagt glaube ich, dass die Hauptlast für unsere tolle Zeit die Großeltern tragen. Die Kinder entwickeln sich in einem Jahr so schnell weiter und in dieser insbesondere für sie neuen Welt noch mehr. Oma und Opa sehen auch die Vorteile für uns als gesamte Familie, aber dennoch fehlen die Kleinen natürlich. Dieses schlechte Gewissen habe ich schon immer mal wieder. Aber am Ende trafen wir zusammen als Familie eine Entscheidung und sehen ein deutliches Mehrgewicht an Vorteilen. Von Deutschland fehlt mir schon einiges. Zum Glück backt meine Frau das typisch deutsche Schwarzbrot. Aber wir haben bewusst versucht, eine Zeit im Ausland zu verbringen, um unseren eigenen Horizont zu erweitern und gerade den Kindern ein Stück der Welt außerhalb von Deutschland zu zeigen. Und die deutsche Bratwurst wird es sicher auch noch in einem Jahr geben.