Der Weg ist das Ziel
Der Weg ist das Ziel
- Datum:
- Ort:
- Strausberg
- Lesedauer:
- 6 MIN
In der Reservelaufbahn muss man für unerwartete Entwicklungen offen sein, dann wird etwas Gutes daraus. Indem ich diese Erfahrung jetzt – im April 2022 – mit anderen teile, sitze ich als leicht ergrauter Oberstleutnant und stellvertretender Referatsleiter im Presse- und Informationszentrum des Heeres in Strausberg. Doch mein Weg fing ganz anders an.
Als Abiturient stand ich 1990 angesichts der damals noch geltenden Wehrpflicht vor der Wahl: 15 Monate Wehrdienst? Zwei Jahre Zeitsoldat? Oder vielleicht sogar zwölf Jahre? Den Ausschlag gab mein Wunsch nach einem Studiengang, den die Bundeswehr nicht anbot, sodass eine längere Dienstzeit mit Bundeswehrstudium ausschied. „Nur“ Grundwehrdienst erschien mir als verlorene Zeit, und so verpflichtete ich mich für zwei Jahre als Reserveoffizieranwärter. Durch Truppenwerbung beim Panzergrenadierbataillon 32, einem Verband der ehemaligen Panzerbrigade 3 des Heeres, in meinem Wohnort Nienburg kam ich in den Genuss einer heimatnahen Verwendung.
Beim Bund lernt man, mit Menschen umzugehen
Die zwei Jahre entwickelten sich anstrengend, aber spannend, vielfältig und lehrreich. Zum Ende meiner Dienstzeit durfte ich noch einen Truppenübungsplatzaufenthalt in Shilo (Kanada) mitmachen – drei Wochen „Stahl in die Prärie“ unter minimalen Sicherheitsauflagen. Doch wenn ich heute beurteilen soll, welche Erfahrung für mich am wichtigsten war, dann waren es die großen Unterschiede zwischen den Menschen, mit denen ich zurechtkommen musste, zuerst als Kamerad auf Augenhöhe, auf engstem Raum in der Sechs-Mann-Stube und im Schützenpanzer, später als junger Vorgesetzter. Diese Vielfalt hat die damalige Bundeswehr charakterisiert und belebt. Seit dem Aussetzen der Wehrpflicht geht sie leider immer mehr verloren.
Als Fähnrich wurde ich entlassen; ein Jahr später wurde ich automatisch Leutnant. Nachdem ich im Studium Fuß gefasst hatte, leistete ich in den Semesterferien 1995 die erste Wehrübung als Zugführer bei „meinen“ 32ern – die mir so gefiel, dass ich sie im Jahr darauf wiederholte und bei einer nächtlichen Befehlsausgabe auf dem Truppenübungsplatz Bergen zum Oberleutnant ernannt wurde.
Heeresstrukturen haben sich oft geändert
1997 kam die Hiobsbotschaft: Unser traditionsreiches Bataillon wurde inaktiv gestellt (gekadert) und in eine Stamm-Aufwuchs-Beziehung zum Panzergrenadierbataillon 332 nach Wesendorf verlegt. Dieses damalige Konzept sah vor, dass im Verteidigungsfall beide Bataillone je zur Hälfte mit aktiven Soldaten des Stammbataillons 332 und Reservisten des Aufwuchsbataillons 32 aufgefüllt werden sollten. Die Schützenpanzer des gekaderten Bataillons kamen ins Depot, sein aktives Personal wurde zu anderen Dienststellen versetzt. Ich beendete gerade mein Studium und nutzte die Zeit bis zum Referendariat für eine dreimonatige Wehrübung als Personaloffizier in Nienburg mit der verantwortungsvollen, aber traurigen Aufgabe, für die letzten noch anwesenden Zeit- und Berufssoldaten passende Folgeverwendungen zu finden.
Für mich war selbstverständlich, dass ich meinem Bataillon, das nunmehr nur noch mit Reservisten besetzt war, die Treue hielt. So absolvierte ich in den folgenden Jahren Truppenwehrübungen im nicht-aktiven Bataillon 32 und Einzelwehrübungen beim Schwesterbataillon 332. Mein drittes „Sternchen“, den Hauptmannsrang, bekam ich als stellvertretender Kompaniechef in einer Bataillonsgefechtsübung auf dem Truppenübungsplatz Colbitz-Letzlinger Heide. Als das Panzergrenadierbataillon 32 sechs Jahre nach seiner Kaderung komplett aufgelöst wurde, blieb ich bei 332.
Im nebenher verlaufenden Zivilleben folgten die Staatsprüfung, eine Ausbildung zum Redakteur und ein beruflich bedingter Umzug nach Baden-Württemberg, wo ich als Pressesprecher tätig wurde. Mein neuer Arbeitgeber hegte eine Aversion gegen die Bundeswehr und erschwerte mir meine Wehrübungstätigkeit. Obendrein wurde 2006 auch noch das Panzergrenadierbataillon 332 aufgelöst, sodass ich wieder ohne militärische Heimat dastand. Ich schaffte gerade noch den Cheflehrgang, dann gab ich auf und wechselte von der Kampftruppe in die damals noch junge zivil-militärische Zusammenarbeit.
Vermittler zwischen Bundeswehr und Bevölkerung
Als Verbindungsstabsoffizier im Kreisverbindungskommando Esslingen beschränkte sich meine Tätigkeit auf einen Dienstabend pro Monat in einem gut funktionierenden, kameradschaftlich geführten Team motivierter Reservisten, gelegentliche Kurzwehrübungen am Wochenende und nur wenige kurze Lehrgänge. Das ließ sich mit meinem Zivilberuf vereinbaren, und durch meine damalige ehrenamtliche Tätigkeit im zivilen Rettungswesen brachte ich nützliche Kontakte mit. Ich wurde Major, einige Jahre später Oberstleutnant und stellvertretender Leiter des Kreisverbindungskommandos.
Kleine Anekdoten verliehen dieser Zeit zusätzliche Würze und veranschaulichen die enge Verknüpfung zwischen Bundeswehr und Zivil: Einmal durfte ich den Kommandeur des Landeskommandos Baden-Württemberg als Gast bei einer Katastrophenschutzübung im Landkreis Esslingen vertreten. Da ich bei derselben Veranstaltung von meiner DLRG-Ortsgruppe als VIPvery important person-Betreuer eingesetzt war, konnte ich mich selbst betreuen.
Neue Aufgabe mit Heimvorteil
Aus familiären Gründen verließ ich Baden-Württemberg 2016 wieder und kehrte in meinen Heimatort zurück. In Nienburg war zwischenzeitlich das Fähigkeitskommando der Bundeswehr für CIMICMultinational Civil-Military Cooperation Command (zivil-militärische Zusammenarbeit) aufgestellt worden, das heutige Multinational Civil-Military Cooperation Command. Dort konnte ich umfangreichen Reservistendienst (was früher Wehrübung hieß) als Presseoffizier leisten, meine langjährigen zivilberuflichen Erfahrungen erfolgreich einbringen und hochwertige Fachlehrgänge besuchen. Eines Risikos war ich mir bewusst: Zugunsten dieser ausgedehnten und zugegebenermaßen gut bezahlten Reservistentätigkeit verzichtete ich nun auf einen Zivilberuf, aber der Plan schien aufzugehen.
Doch bekanntlich ist nichts beständiger als die Veränderung, und die kam diesmal radikal ohne Vorwarnung. Die Einschränkungen während der Corona-Pandemie trafen mich 2021 mit einer kurzfristigen Reduzierung von zehn bereits festgelegten Monaten Reservistendienst auf drei Monate und auch für die Zukunft wurde mir in Nienburg keine Hoffnung mehr gemacht. 2022 soll obendrein die Planstelle wegfallen, als deren „Spiegel“ ich dort meinen Reservistendienst geleistet habe. Ich musste mich also wieder umorientieren.
So lernt man Land und Leute kennen
Vor dem Wechsel der Bundesregierung hieß es noch, die Streitkräftebasis werde aufgelöst und das ihr zugehörige Multinational Civil-Military Cooperation Command dem Heer unterstellt. Also hielt ich es für eine gute Idee, doch mal beim Presse- und Informationszentrum des Heeres in Strausberg anzufragen, ob ich dort Reservistendienst leisten und dabei den Unterstellungswechsel auf dem Fachstrang Informationsarbeit mit vorbereiten könne. Der Unterstellungswechsel ist nicht gekommen, aber trotzdem bin ich in Strausberg mit offenen Armen aufgenommen worden.
Mein „Hauptwaffensystem“ ist weiterhin die Sprache. Wieder kann ich meine zivilberuflichen Erfahrungen einbringen, und wieder lerne ich Neues hinzu. Auch weitere Fachlehrgänge winken. Nur diesmal sitze ich am anderen Ende der Leitung, indem ich Beiträge, die in den Dienststellen an der Basis geschrieben werden, überarbeite und für die Veröffentlichung medienspezifisch optimiere. Der Unterschied zwischen den Möglichkeiten eines einsamen nebenamtlichen Presseoffiziers und denen eines Mitglieds in einem 40-köpfigen professionellen Team ist riesig.
Jetzt bin ich schon zum zweiten und bestimmt nicht zum letzten Mal hier. Wohl gemerkt, nach aktueller Lagebeurteilung. Wer weiß, was noch kommt?
Eines aber ist sicher: Wer sich und seine zivilberuflichen Fähigkeiten als Reservistin oder Reservist bei der Bundeswehr ernsthaft einbringen möchte, dem wird auch eine Möglichkeit geboten. Man darf sich von unerwarteten Hindernissen nicht entmutigen lassen, denn wo eine Tür zuschlägt, geht eine andere auf.