Heer
Nach einem Anschlag

Wenn ein Soldat fällt – die Erinnerung bleibt für immer

Wenn ein Soldat fällt – die Erinnerung bleibt für immer

Datum:
Ort:
Strausberg
Lesedauer:
6 MIN

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Der 2. Juni 2011 wird für Brigadegeneral Heico Hübner immer in Erinnerung bleiben. An diesem Tag fiel in Afghanistan ein Soldat seines Bataillons. Der Oberstabsgefreite Alexej Kobelew wurde bei einem Sprengstoffanschlag tödlich verwundet. Der damalige Bataillonskommandeur erinnert sich.

Ein Soldat mit Helm und Schutzbrille hält eine Karte, ein anderer zeigt etwas auf der Karte.

Heico Hübner (l.), 2011 Oberstleutnant und Bataillonskommandeur, lässt sich durch einen seiner Kompaniechefs einweisen

Bundeswehr

Wie hat dieser 2. Juni angefangen und wie kam es dann zu diesen unvergesslichen Ereignissen?

Brigadegeneral Hübner: Die 2. Kompanie meines Ausbildungs- und Schutzbataillons war an diesem Tag geschlossen im Kandahari Belt eingesetzt, dem nördlichen Teil unseres Einsatzgebietes in der Provinz Baghlan. Dieser Bereich wirkte durch den Fluss Baghlan mit nur wenigen Übergangsmöglichkeiten und dem sehr eingeschränkten Wegenetz stark kanalisierend. Um überhaupt an den Fluss gelangen, mit Booten übersetzen und dann die Operation abgesessen fortführen zu können, war eine Route Clearing Operation in der näheren Umgebung erforderlich. So begann die 2. Kompanie sehr früh morgens, als die Temperaturen noch erträglich waren, den Anmarschweg über mehrere Kilometer auf IEDImprovised Explosive Device (Improvised Explosive Device, dt: selbstgebauter Sprengsatz) abzusuchen. 

Dann passierte es: Der Schützenpanzer C1 fuhr nach dem Ende des befestigten Weges im offenen Gelände beim Beziehen einer Überwachungsstellung auf ein IEDImprovised Explosive Device auf. Der Vorfall ereignete sich morgens, zwischen 9 und 10 Uhr. Zu dieser Zeit war ich selbst noch in der Operationsbasis, dem Observation Point (OP). Über mein Funkgerät bekam ich mit, dass etwas passiert war. Zunächst war nur klar, dass es ein IEDImprovised Explosive Device gab. Schnell wurde allerdings deutlich, dass wir Opfer eines Anschlags waren. Ich nahm meine Sachen, Helm, Weste, Waffe, alarmierte auf dem Weg über die Operationszentrale zum Fahrzeug die Reserve und fuhr zur 2. Kompanie.

Als wir an der Grenze zum Raum der 2. Kompanie ankamen, war ich nahezu sprachlos. Bereits auf weite Entfernung sah ich ein Riesenloch. Der Schützenpanzer Marder schwarz und völlig zerstört steckte quasi senkrecht in der Erde. Ich hatte den Bergepanzer dabei. Da wir nicht wussten, ob zwischenzeitlich weitere IEDImprovised Explosive Device verlegt waren, nahm dieser sein Räumschild runter und durchstieß den offenen Raum bis zu den ersten Kräften der Kompanie. Ich fuhr mit meinem Dingo und dem Rest der Reserve hinterher. Dort wurde ich durch den in der Sicherung eingesetzten Zugführer aufgenommen und koppelte mit dem Kompaniechef. 

Ein Bergepanzer bremst vor einem ausgebrannten Fahrzeugwrack, Staubwolken steigen auf.

Schweres Gerät ist damals wichtiger Bestandteil der Kräfte vor Ort, um an das Wrack heranzukommen

Bundeswehr

Am Anschlagsort brannte das Wrack noch, der Rettungshubschrauber, ein Black Hawk, war noch vor Ort. Die Sanitäter kämpften zu dem Zeitpunkt um das Leben des Schützenpanzerkommandanten. Es waren erschütternde Bilder. Er hatte schwerste Kopfverletzungen und nur deswegen überlebt, weil die umliegenden Soldaten ihn sofort aus dem Krater gezogen und erstversorgt hatten. Es war ein schwerer Kampf, den die Ärztin und die Sanitäter kämpften – aber sie haben ihn zum Glück gewonnen – er hat überlebt.

Auch der Truppführer war schwer verwundet und musste ausgeflogen werden. Die weitere Besatzung des Schützenpanzers hatte insgesamt eher leichtere Verwundungen und wurde vor Ort versorgt. Es war ein bitterer Anblick. Der Motor des Panzers existierte nicht mehr, die schwere gepanzerte Bugplatte war weg. Wrackteile waren über mehr als 100 Meter verteilt. Der Kraftfahrer steckte noch im Wrack. Oberstabsgefreiter Kobelew war gefallen. 

Die Bergung des völlig zerstörten Panzers dauerte Stunden. Es musste erst zusätzliches schweres Gerät durch die Recovery Task#en Force aus Masar-i Scharif zugeführt werden. In dieser Zeit ergab Drohnenaufklärung und Elektronische Aufklärung, wie die Aufständischen versuchten, uns zu überflügeln und Kräfte in unseren Rücken zu bringen, um uns abzuschneiden. Dadurch, dass wir Reservekräfte zuführten, überlegene Stellungen gewannen und durch USUnited States-Kampfhubschrauber und Flugzeuge am Boden unterstützt wurden, konnte das Blatt gewendet und verhindert werden, dass der Anschlag zu einem komplexen Hinterhalt wurde. Das Herstellen und Halten einer klaren Kräfteüberlegenheit und das professionelle entschlossene Handeln der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten über Stunden waren der Schlüssel. 

Erst in der Nacht gelang es, die Bergung abzuschließen, uns aus dem Raum zu lösen und zum OP North zurückzukehren.

Vier Panzer fahren in weitem Abstand hintereinander, dahinter eine steinige Gebirgskette.

Die Schützenpanzer Marder sind ein wichtiger Rückhalt im Ausbildungs- und Schutzbataillon

Bundeswehr

Mussten Sie nach diesem Anschlag noch einmal in den Raum?

Sicher, unser Auftrag ging ja weiter. Wir haben schließlich ganz in der Nähe des Anschlagortes einen Außenposten, einen Combat Outpost (COP), errichtet, um permanent Kräfte im Raum zu haben. Das war auch deswegen wichtig, um den Aufständischen zu zeigen: Ihr könnt machen, was ihr wollt, wir halten dieses Gelände hier. Den COP benannten wir C1.

Ich habe dann zusammen mit dem Kompaniechef der 2. Kompanie und den Dorfältesten der Region eine Schura, also eine Versammlung, einberufen. Dort machte ich deutlich: Wir bringen Sicherheit und Entwicklung, aber es müssen im Gegenzug auch Unterstützung und Informationen kommen. Das hat dann nach und nach besser funktioniert.

Allerdings gab es auch weiterhin Anschläge und Gefechte im Raum, etwa bei der südlich eingesetzten 4. Kompanie und auch bei unseren Verbindungselementen, die unmittelbar mit den afghanischen Sicherheitskräften operierten. Aber wir hatten nach dem 2. Juni dann auch das ein oder andere Mal Glück. Schließlich haben wir im gesamten Verantwortungsbereich des Ausbildungs- und Schutzbataillons zahlreiche COP gebaut, die durch afghanische Sicherheitskräfte besetzt wurden. So konnten wir mit unseren Partnern den Raum Schritt für Schritt ausdehnen, kontrollieren und erste Entwicklungsprojekte anschieben.

Wie bekommt man das nach so einem dramatischen Ereignis als militärischer Führer hin, dass die Soldaten weitermachen?

Erstmal ist es ein Funktionieren, Dinge sind zu tun. Das militärische Leben geht weiter. Auch wenn der 2. Juni ein schrecklicher Tag war, einfach aufzuhören, das war jedem klar, war keine Option. Nach der Trauerzeremonie auf dem OP North und dem Abschiednehmen von unserem gefallenen Kameraden in Masar-i Scharif ging unser Auftrag mit der ganzen Intensität weiter. Ein kurzes Innehalten zum Aufarbeiten des Geschehenen, ja und viele Gespräche, aber keine Pause. Es brauchte einen neuen Plan, den ich zusammen mit der 2. Kompanie entwickelt habe und hinter dem sich alle versammelten, im Vertrauen auf die Kameraden, den Zug, die Kompanie und den Verband.

Findling mit einer Plakette, darauf Dienstgrad, Name, Einheit und Sterbedatum eines Soldaten.

Am Standort Augustdorf ist das Gedenken an den Gefallenen jeden Tag sichtbar

Bundeswehr/Jens Wander

Nach der Rückkehr in die Heimat: Wie findet man wieder zurück in das normale Leben?

Als ich zu Hause ankam, ging es für mich gefühlt dort weiter, wo es ein halbes Jahr zuvor angehalten hatte. Als wäre ich nie fort gewesen. Natürlich gab es ein paar Dinge, an die ich mich erst wieder gewöhnen musste nach sechs Monaten Leben auf dem OP North. Du wachst anders auf, du stehst anders auf, der Battlerhythm fehlt. Es schmeckt und riecht anders. Kein EPA (Einmannverpflegungspaket) mehr, ein richtiges Bett. Der Generator läuft nicht. Ganz einfache Dinge wie Autofahren sind am Anfang ungewohnt. Aber ganz schnell sind alte Gewohnheiten und die neue/alte Routine wieder da.

Aber der Einsatz prägt. Neben den schwierigen Dingen bleibt sehr viel Positives. Rückblickend erinnere ich mich gern an die enge Kameradschaft, das gemeinsam Erlebte und Geleistete. Nirgendwo ist man näher am Kern unseres Berufes als im Einsatz. Für mich war es auch eine sehr erfüllende Zeit. 

Im Panzergrenadierbataillon 212 ist die Erinnerung an den Oberstabsgefreiten Kobelew weiter gegenwärtig. Am Ehrenmal wurde für ihn ein Stein gesetzt, an dem zu seinem Todestag jährlich eine Gedenkveranstaltung stattfindet. Das kürzlich eingeweihte neue Lehrsaalgebäude trägt seinen Namen.

von  PIZ Heer

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