Heer
Gefährliche Mission

„Verantwortung ist unteilbar“

„Verantwortung ist unteilbar“

Datum:
Ort:
Strausberg
Lesedauer:
4 MIN

Brigadegeneral Heico Hübner weiß, was es heißt, Soldatinnen und Soldaten im Gefecht zu führen. Als Bataillonskommandeur war er 2011 in Afghanistan. Anschläge, Gefechte, Tod und Verwundung gehörten damals zum Alltag. Was das für einen militärischen Führer bedeutet, darüber sprachen wir mit ihm.

Zwei Soldaten in heller Flecktarnuniform, einer zeigt mit dem Finger ins Gelände.

Er zeigt den Weg. Als Bataillonskommandeur weist Oberstleutnant Heico Hübner (l.) 2011 den Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Werner Freers, in Afghanistan in die Lage ein.

Bundeswehr

Welche Verantwortung liegt auf dem Kommandeur, der Soldaten ins Gefecht führt, die wie auch der Kommandeur wissen: Heute könnte mein letzter Tag sein?

Brigadegeneral Hübner: Verantwortung ist unteilbar. Der Kommandeur verantwortet Planung, alle Absprachen mit Partnern, den Ansatz der Kräfte und die unmittelbare Durchführung einer Operation. Er entscheidet und erteilt Aufträge, teils in ungewisser und risikobehafteter Lage. Das kann er nur, wenn er seine Truppe kennt und weiß, was sie zu leisten im Stande ist. Seine Soldaten wiederum müssen sich auf die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der gegebenen Befehle verlassen können. Vertrauen ist also der Schlüssel. Ebenso das Teilen von Härten, Entbehrungen und Risiken. Auch muss man der Truppe den notwendigen Spielraum geben, den sie braucht, um im Sinne der Auftragstaktik ihre Kenntnisse und Fähigkeiten aktiv in die Durchführung der Aufträge mit einzubringen.

Im Verlauf des Einsatzes hat sich zudem der besondere Wert einer konsequenten Nachbesprechung einzelner Operationen im Dialog gezeigt. So konnten gemeinsam Friktionen erkannt und abgestellt werden. Ideen und Vorschläge aller Ebenen gingen in die nachfolgende Operationsplanung und -führung ein. Zusammenhalt und Vertrauen aller Kameraden sind dadurch weitergewachsen.

In einer Trauerhalle stehen Geistliche, Soldaten und Trauergäste, in der Mitte ein Sarg.

Am 2. Juni 2011 fällt der Oberstabsgefreite Alexej Kobelew – die Trauerfeier findet später in Detmold statt

Bundeswehr/Klaus Schneider

Gibt es ein Ereignis, das Sie persönlich geprägt hat, eines woran Sie sich auch heute noch erinnern?

Der 2. Juni 2011 wird wohl für immer in meinem Gedächtnis bleiben. An diesem Tag fiel der Oberstabsgefreite Alexej Kobelew bei einer Operation im Kandahari Belt. Fünf weitere Soldaten seiner Besatzung wurden zum Teil sehr schwer verwundet. Nur dem zupackenden Einsatz seiner Kameraden und dem vorzüglichen Funktionieren der Rettungskette ist es zu verdanken, dass der Kommandant des Schützenpanzers Marder überlebt hat. Die Bergung des völlig zerstörten Panzers dauerte Stunden. In dieser Zeit haben die Aufständischen versucht, den IEDImprovised Explosive Device-Anschlag zu einem komplexen Hinterhalt auszuweiten.

Wir konnten zusätzlich Soldaten an den Kampfort bringen und überlegene Stellungen gewinnen. Zudem unterstützten USUnited States-Kampfhubschrauber und Flugzeuge unsere Bodentruppe. Dadurch konnte das Blatt gewendet werden. Die Bilder und Eindrücke des Tages, wie auch der Tage unmittelbar danach, bleiben für mich in vielerlei Hinsicht prägend. Zeigen sie doch gleichsam das Leid des Krieges wie aber auch, dass professionelles, entschlossenes Handeln im Team und unbedingte Kameradschaft Berge versetzen können. 

Drei bewaffnete Soldaten liegen hinter einem Sandhügel, ein Soldat schießt.

„Gefechte, Anschläge, möglicherweise Gefallene oder Verwundete werden den Einsatz prägen“, da ist sich Heico Hübner damals sicher.

Bundeswehr/Patrick von Söhnen

Wie haben Sie sich persönlich auf diese Mission vorbereitet? Sie wussten: Es ist lebensgefährlich, es gab schon viele Gefallene, es herrschen kriegsähnliche Zustände dort, wo Sie mit Ihren Soldatinnen und Soldaten hingehen.

Als wir uns 2010 auf den Einsatz vorbereiteten, war mir klar, dass es Gefechte geben würde und wir Verwundete und möglicherweise auch Gefallene beklagen werden müssen. Um mich darauf einzustellen und auch um das Führungspersonal des Bataillons in Weiterbildungen darauf einzustimmen, habe ich viel gelesen: neben taktischen Einsatzberichten unter anderem Bücher zu Afghanistanerfahrungen Alliierter, wie von Ross Kemp „On Afghanistan“ und von Christie Blatchford „Fifteen Days“. Daneben waren mir meine individuellen Grundfertigkeiten wichtig, vor allem als Ersthelfer A (Sanitätsausbildung) und Schießen.

Gab es im Vorfeld schon Veränderungen in der Ausbildung, die aus den Erfahrungen des Jahres 2010 in Afghanistan resultierten?

Ich war überzeugt, dass folgende Dinge einen Unterschied machen: Die Soldaten müssen die Handwaffen und das jeweilige Waffensystem beherrschen, die kleinen Kampfgemeinschaften und die Rettungsketten sicher funktionieren. Zudem muss das Fernmeldewesen gut aufgestellt sein, der Abruf von Kampf- und Sanitätsunterstützung funktionieren und die Kompanie- und Bataillonsführung müssen Hand in Hand arbeiten. 
Daran habe ich die Ausbildungs- und Übungsplanung meines Bataillons strikt ausgerichtet. Ebenso haben wir sehr frühzeitig die Einsatztruppeneinteilung eingenommen, sodass die Teams zusammenwachsen konnten. Aufbauen konnten wir vor allem auch auf die Erfahrungen, die das Bataillon bereits zuvor als erste deutsche Quick Reaction Force in Afghanistan gemacht hatte. Diese haben wir gezielt ausgewertet und in Standards umgesetzt.

Wie hat sich die Zeit in Afghanistan auf Sie und Ihr Selbstverständnis als Soldat ausgewirkt? Ist es jetzt mehr geprägt von Begriffen wie Kämpfer, Robustheit, Führungsstärke, ja vielleicht auch Krieger?

Die Eindrücke, die ich aus Afghanistan mitgebracht habe, lassen mich in meiner täglichen Arbeit fokussierter vorgehen. Das bedeutet für mich: Die Aufträge klar auswerten, einfach und belastbar planen, engagiert mit dem Blick fürs Wesentliche die Aufträge umsetzen, im Team handeln und die Auftragstaktik konsequent umsetzen.

Aus Ihrer Zeit als Bataillonskommandeur bei der ISAFInternational Security Assistance Force 2011 und auch jetzt in Ihrer heutigen Funktion beim Generalinspekteur gibt es da Schlussfolgerungen für die Bundeswehr im Hinblick auf Ausbildung, Ausstattung, Ausrichtung?

Alles, was wir planen und entscheiden, muss am Ende des Tages die Truppe am Boden in die Tat umsetzen. Also sollten wir strikt vom Einsatz her denken. Dies beginnt bei zweckmäßiger persönlicher Ausstattung und setzt sich über robuste einsatzbereite Waffensysteme in einer ausreichenden Verfügbarkeit für eine systematische Ausbildung und Übungstätigkeit fort. Nicht das einzelne Waffensystem, sondern der belastbare Verbund mit der erforderlichen Kampf-, Einsatz- und Führungsunterstützung, den die Truppe unter Gefechtsbedingungen beherrscht, macht den Unterschied. Hier liegt noch einiges an Arbeit vor uns. Bis dahin gilt es aber, aus dem Verfügbaren in steter Ausbildung das Beste zu machen.

von  PIZ Heer

Teil 2

„Kriegsähnliche Zustände”

Das Jahr 2010 in Afghanistan

18 Jahre Einsatz in Afghanistan haben die Bundeswehr für immer verändert. Keines aber hat sie so nachhaltig geprägt wie das Jahr 2010.

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