Heer
Interview

„Nur drillmäßig Geübtes ist stressresistent“ (2)

„Nur drillmäßig Geübtes ist stressresistent“ (2)

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Brigadegeneral Jared Sembritzki weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, Soldaten im Gefecht zu führen. Als Kommandeur der Quick Reaction Force 5 (QRF), der Schnellen Eingreiftruppe, 2010 in Afghanistan hat er genau das erlebt. Wie hat sich sein Selbstverständnis als Soldat seitdem verändert? Wie hat sich die Bundeswehr seitdem entwickelt? Darüber sprechen wir mit ihm.

Mehrere Soldaten stehen auf einer Straße zwischen Militärfahrzeugen, ein Tanklaster brennt.

Alltag in Afghanistan für die ISAFInternational Security Assistance Force-Truppen: Ein Treibstoff-Konvoi ist von den Taliban angegriffen worden

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Herr Brigadegeneral, wie haben Sie sich auf diesen Einsatz vorbereitet? Waren alle schon bereit für diesen Einsatz oder hat sich das später entwickelt?

Brigadegeneral Sembritzki: Ich hatte das Bataillon ein halbes Jahr zuvor übernommen. Da wussten wir, dass wir in diesen Einsatz gehen. Es war klar, dass die Lage in Afghanistan sich verschärft hatte. Uns war aber noch nicht bewusst, wie hart es wirklich werden würde. Keiner von uns hatte zuvor kämpfen müssen. Das Bataillon war gerade aus einem erneuten Kosovoeinsatz zurückgekehrt. Das war etwas völlig anderes. Ein halbes Jahr vor Einsatzbeginn wurde noch mehrere Male auf Truppenübungsplätzen, einschließlich Gefechtsübungszentrum und Übungszentrum Infanterie, ausgebildet und geübt. Da gab es zunächst auch einige Kritik. Das ginge doch nicht, das sei ja der Einsatz vor dem Einsatz etc. Aber hinterher haben alle gesagt, ohne diese intensive Vorbereitung hätten wir es vielleicht nicht so hinbekommen.

Allerdings gab es auch diejenigen, darunter zum Beispiel einen Offizier und auch einen Kompanietruppführer, die ihre Leistungen aus dem Grundbetrieb im Einsatz eben nicht bestätigen und dem Druck nicht standhalten konnten. Dem Ersten musste ich kurz vor dem Einsatz dann eröffnen, dass er nicht mitkommt, den Anderen musste ich nach drei Monaten im Einsatz zurückschicken.

Für mich selbst habe ich aber natürlich auch festgestellt, dass die Verantwortung eine völlig andere ist. In Übungen gibt es den Leitenden oder die Dienstaufsicht. Wenn irgendwas nicht funktioniert, dann gibt es hilfreiche Anleitung oder auch weniger schlaue Kommentare. Im Einsatz habe ich gute Vorgesetzte gehabt, die mir das Gefühl gegeben haben, dass sie mir und der Truppe ehrlich vertrauen. Aber ein Austausch ist eben schwieriger, Rat ist seltener. Auch die eigene Truppe erwartet, dass ohne langes Hin und Her entschieden wird und es ist für jeden von uns gewöhnungsbedürftig gewesen, beschossen zu werden.

War die Ausbildung damals aus Ihrer Sicht genau richtig für die QRF?

Zwei Soldaten queren eine Straße zwischen zwei Fahrzeugen. Hinter ihnen erheben sich Berge.

Müssen sich aufeinander verlassen können – der Kommandeur, Oberstleutnant Jared Sembritzki (r.), und sein Nahsicherer

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Hier stimme ich der Aussage einer meiner Männer stellvertretend für vieles unbedingt zu. Er war als Maschinengewehrschütze dabei und sagte nach einem Gefecht zu mir: „Ich habe instinktiv genau das gemacht, was ich gelernt habe. Und das funktioniert.“ Soll heißen: Drillmäßige Ausbildung, die fälschlicherweise gern mal für Schinderei gehalten wird, ist für die Kampftruppe unbedingt notwendig. Das ist schon immer so gewesen: Nur drillmäßig geübte Handlungen sind stressresistent anwendbar.

Andere Inhalte kamen damals in der Vorausbildung zu kurz. Close Air Support, Luftraumordnung, oder bestimmte NATO-Verfahren für den Kampf waren uns teilweise nicht ausreichend in Fleisch und Blut übergegangen. Aber auch hier hat die Bundeswehr einen riesigen Schritt nach vorn gemacht. Aber alles in allem: Für das, was wir machen sollten und konnten, war die Ausbildung wirklich gut.

Wie hat sich die Zeit in Afghanistan auf Sie und Ihr Selbstverständnis als Soldat ausgewirkt? Ist es jetzt mehr geprägt von Attributen wie Kämpfer, Robustheit, Führungsstärke, vielleicht auch einer Art Krieger?

Ich bin ja ganz bewusst Ende der Achtzigerjahre zum Militär gegangen. Ich als West-Berliner musste ja gar nicht, aber ich wollte das. Diese soldatischen Tugenden, das Militär an sich, haben mich immer angesprochen, sicher ohne dass ich sie damals schon im Ganzen verstanden hätte. Ich war gern Zugführer, ich war gern Kompaniechef und ich habe mich immer in der Truppe wohlgefühlt.

Die Quintessenz aus dem Einsatz: Die Truppe hat gelernt zu kämpfen. Wir wissen, wir können kämpfen und wir kriegen das hin und wir erfüllen unseren Auftrag. Letztendlich müssen wir die Werte schon leben und da draußen tritt man dann den Beweis an.

Hat Sie der Afghanistaneinsatz darin bestätigt, welche Werte Sie bis dahin schon gelebt haben, dass das genau das ist, was Sie sich unter dem Soldatenberuf vorgestellt haben?

Eine Gruppe von bewaffneten Soldaten in Wüstentarn steht auf einer Schotterstraße vor einer Brücke.

In Afghanistan wird es deutlich: Die Truppe muss befähigt werden, im Gefecht ihren Auftrag zu erfüllen“, sagt Brigadegeneral Jared Sembritzki.

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Ich habe in allen meinen Verwendungen versucht, nie zu vergessen, was der Kern militärischen Handelns ist. Es geht immer um die Truppe und vor allem darum, diese zu befähigen, im Gefecht ihren Auftrag zu erfüllen, egal in welcher Funktion. Wir können froh sein, dass Kampfeinsätze nicht die Regel sind. Afghanistan war sicher meine härteste Zeit, aber eben auch der Kern dessen, wofür ich Soldat geworden bin. Die Truppe für das reale Gefecht vorzubereiten, wie auch immer es aussieht, sollte der Leitgedanke in Ausbildung und Übung bleiben.

In der Nachbetrachtung: Hat die Zeit zu einer Veränderung der Bundeswehr geführt oder ist das, was in den intensiven Jahren 2009 bis 2012 in Afghanistan passiert ist, inzwischen schon wieder verblasst?

Ich glaube schon, dass das Verständnis für das Kämpfen als Kern unseres Auftrags innerhalb und auch außerhalb der Bundeswehr gewachsen ist. Die Bundeswehr hat ja bewiesen, dass sie kämpfen kann. Das sollte auch weiterhin der Kern des Militärs sein, auch dass es dann Verwundete, Gefallene und Traumatisierte gibt. Deshalb müssen eben Einsätze sorgfältig abgewogen werden. Ich kenne keinen, der sagt, das war so toll, ich will da unbedingt nochmal hin. Aber wenn es unser Auftrag ist, dann machen wir das auch. Es ist unser Handwerk, dafür sind wir ausgebildet und ausgerüstet.

Wir haben inzwischen auch eine eigene Tradition des Auslandseinsatzes und des Kämpfens. Das verstehen manche vielleicht nicht, aber das ist wichtig. Das hält die Truppe schon auch zusammen.