Wie ein Gewitter im Gebirge
Wie ein Gewitter im Gebirge
- Datum:
- Ort:
- Ulaanbaatar
- Lesedauer:
- 7 MIN
„Wie ein Gewitter im Gebirge, überraschend und heftig – so muss ein Handstreich sein“, erklärt Oberfeldwebel Jan Neumann* bei der Ausbildung mongolischer Gebirgsjäger in der Steppe westlich von Ulaanbaatar. Heute werden die Grundlagen des Jagdkampfes trainiert und das fast pausenlos. Anders geht es auch nicht. Denn innerhalb von zwei Wochen müssen die einheimischen Kameraden die infanteristischen Einsatzgrundsätze der Gebirgsjäger verinnerlicht haben.
„Anchaar, daisan ilerlee! Tus tusin tseld gal yaruul!„ (Achtung, Feind voraus! Feuer eröffnen!) Oberleutnant Byambajav Myagmarsuren peitscht seine Jungs immer wieder den Hügel rauf und runter. Das Ziel: ein gegnerischer Beobachtungsposten, irgendwo in der mongolischen Einöde. Schweißgebadet und voller Adrenalin setzen die Soldaten erneut an, um den Feind im Feuerüberfall in die Knie zu zwingen. Am Ende des Übungsdurchgangs betrachtet der mongolische Gruppenführer zufrieden seine Männer: „Der Gegner ist gefallen und wir haben keine Ausfälle.“ Doch der Weg zu diesem kleinen Zwischenerfolg war ein langer. Immer wieder lassen die deutschen Ausbilder des Gebirgsjägerbataillons 232 Teilabschnitte wiederholen und weisen mit den mongolischen Sprachmittlern auf jeden noch so kleinen Fehler hin. „Wir haben nur zwei Wochen Zeit, diese wichtigen Ausbildungsinhalte, die in Deutschland sonst in sechs Wochen gelehrt werden, zu vermitteln. Entsprechend intensiv müssen wir hier ansetzen“, verrät der Ausbilder.
Die Station Handstreich ist in dieser Woche eine von drei Ausbildungsstationen zum Thema Jagdkampf. In einem Stationskreislauf werden die Einsatzgrundsätze Handstreich, Hinterhalt und Versteckaufbau geschult. Das Erlernte gilt es dann, am Ende der zwei Wochen in einer großen Abschlussübung anzuwenden. Doch alles der Reihe nach.
Drei Wochen Höchstleistung
Wir befinden uns auf dem Übungsplatz des Peace Support Operation Training Centers (PSOTC), 40 Kilometer westlich Ulaanbaatars. Hier haben die deutschen Kameradinnen und Kameraden den Auftrag, innerhalb von zweimal drei Wochen die jungen mongolischen Gebirgsjäger in einer Schießausbildung sowie im Jagdkampf zu schulen. Gemeinsam mit dem Hochgebirgsjägerzug des Gebirgsjägerbataillons 233 an der Ausbildungsstation im Terelj-Nationalpark, wo die Gebirgsausbildung stattfindet, sind die deutschen Soldaten Teil des Mobile Training Teams Mongolei. Das Deutsche Heer bildet innerhalb von sechs Jahren mongolische Soldaten aus, die dann selbst Gebirgsjäger für ihr Land ausbilden. In diesem Jahr läuft bereits das 4. Modul. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die einheimischen Kameraden. Die drei Wochen starten mit einer Wiederholungsausbildung im Schießen. Das ist vergleichbar mit der Abschlusswoche eines Schießlehrerlehrgangs in Deutschland. „Zu Beginn der Woche erhalten die Kameraden den Auftrag, ein Verteidigungs- und Angriffsschießen zu erkunden und dieses zu planen. Die Mongolen schießen selbst mit dem Sturmgewehr AK-MS, dem Maschinengewehr PK-MS und dem Scharfschützengewehr Dragunow. Wir selbst stellen für das Schießen nur die Sicherheitsgehilfen und Berater für die Leitenden. Alles andere wird von den übenden Kameraden übernommen“, erläutert der Gesamtleitende.
Auftrag: Feindliche Marschroute unbefahrbar machen
In der zweiten und dritten Woche geht es ans Eingemachte. Das Thema Jagdkampf könnte komplexer nicht sein. Es ist ein besonderes Einsatzverfahren für infanteristische Einheiten. Dabei werden gegnerische Kräfte und Einrichtungen vorwiegend aus dem Hinterhalt oder im Handstreich bekämpft. Das Überraschungsmoment liegt dabei auf der Seite der Angreifer. Die im Jagdkampf eingesetzten Soldaten kämpfen weitgehend auf sich allein gestellt. Feldwebel Matthias Keis leitet die Station Hinterhalt. Allein der Ausbildungsort stellt schon hohe Anforderungen an die Physis aller Teilnehmenden, denn er liegt auf der Spitze einer 300 Meter hohen, steilen und steinigen Hügelkette. Der Aufstieg verlangt einem alles ab. Oben angekommen, erklärt Keis mit dem Blick in das Gelände: „An meiner Station haben die Kameraden den Auftrag, eine feindliche Marschroute aufzurauchen, also unbefahrbar zu machen, und gegnerische Nachschubkonvois zu vernichten.“ Hinterhalt bedeutet: Das Feuer wird überraschend aus einer erkundeten und vorbereiteten Stellung gegen einen in der Bewegung befindlichen Gegner eröffnet. Will das Jagdkommando den Gegner stören, führt es einen Distanz-Hinterhalt durch. Soll der Gegner vernichtet werden, wird ein Nah-Hinterhalt angewendet. In der mongolischen Steppe lernen die Kameraden beide Varianten. Nach kurzer Einweisung am Sandkasten zwischen zwei Felsvorsprüngen erläutert der deutsche Gebirgsjäger die Absicht und übergibt dann die Verantwortung an den mongolischen Gruppenführer. Dieser weist seine Männer in den Auftrag ein und erkundet die möglichen Stellungen für den Feuerüberfall.
Harte Ausbildung und viel Potenzial
Dann bricht blitzartig die Hölle los. 15 Soldaten eröffnen das Feuer aus dem Hinterhalt. Nach fünf Minuten ist alles vorbei. Der deutsche Ausbilder schaut unzufrieden und macht sich dann Notizen. „Ihr steht alle viel zu offen! Hinterhalt heißt: Nutzt die Stellungen, die sich euch hier bieten. Wenn der Gegner das Feuer eröffnet, braucht ihr mehr Schutz.“ Der Sprachmittler übersetzt und schaut ernst in die Runde. Die mongolischen Kameraden nicken und notieren sich das Gesagte. „Das machen wir nochmal. Vorher erkundet ihr erneut mögliche Stellungen“, erklärt Keis. Im zweiten Anlauf läuft der Angriff viel besser, sodass am Ende des Tages sogar ein Nah-Hinterhalt auf zwei gegnerische Fahrzeuge trainiert werden kann. „Es klappt zwar nicht immer sofort alles, aber das muss es auch nicht. Mit viel Geduld und einem realistischen Training werden wir die Ausbildungsziele erreichen. Die Motivation ist jedenfalls groß und der Lernwille und das Potenzial sind klar vorhanden“, resümiert Keis und schaut dann am Ende doch ganz zufrieden Richtung Ausbildungsgruppe.
Beeindruckende Kondition
An der Station Handstreich hat Oberfeldwebel Jan Neumann das Sagen: „An meiner Station ist vor allem der Grundsatz Feuer und Bewegung wichtig. Das heißt: Wenn hier ein feindliches Objekt angegriffen wird, brauchen die sich annähernden Kameraden den Feuerschutz aus Stellungen mit gutem Blick auf das Objekt. Hier muss insbesondere die Kommunikation untereinander klappen. Wenn nicht, sterben im Ernstfall Soldaten.“ Der Handstreich ist ein geplanter oder aus der Bewegung geführter überfallartiger Angriff gegen einen Feind oder der überraschende Überfall auf ein Objekt. Ist der Feind in der Gefechtsbereitschaft oder an Stärke unterlegen, nutzt das Jagdkommando die Schwäche rasch und entschlossen aus, um ihn zu überwältigen. Der Handstreich ist in der Regel gekennzeichnet durch eine unbemerkte Annäherung an das Angriffsziel sowie kurzen, heftigen Kampf und rasches Lösen vom Gegner. Für die mongolischen Kameraden zunächst kein einfaches Unterfangen, wie Oberleutnant Myagmarsuren verrät: „Es ist wahnsinnig schwer, den Überblick zu behalten, da hier alles sehr schnell geht. Dann brauche ich ein oder zwei Sekunden, um mich zu orientieren. Aber mit dem richtigen Training werden wir besser werden.“ Am Ende wird das Ziel, ein gegnerischer Beobachtungsposten, erfolgreich aus mehreren Richtungen eingenommen. Die Kondition der mongolischen Kameraden ist beeindruckend. Auch der fünfte Durchlauf wird im Sprint gemeistert. Neumann resümiert zuversichtlich: „Genauso muss es laufen, sie müssen ungesehen alles sehen und dann überraschend und heftig vorgehen, wie ein Gewitter im Gebirge.“
Das Jagdkommando im Einsatz
In der Abschlusswoche müssen die einheimischen Gebirgsjäger das Erlernte in einem fiktiven Szenario anwenden. Mit einer Befehlsausgabe des Bataillonskommandeurs an den Jagdkommandoführer beginnt die Vorbereitung. Der Auftrag: Die Gruppen sollen eine Relaisstation zerstören. Dafür erhalten die Soldaten zunächst Zeit zur eigenen Operationsplanung. Am nächsten Morgen um 3.30 Uhr startet dann die Übung knapp 30 Kilometer nördlich des PSOTC. Unter dem Schutz der Morgendämmerung wird der Operationsraum infiltriert. Das bedeutet, dass die mongolischen Kräfte unbemerkt in das durch den Gegner kontrollierte Gebiet eindringen. Der Jagdkampf erfordert neben effektiver Teamarbeit eine sehr hohe körperliche Belastbarkeit und die Fähigkeit, sich an die natürliche Umgebung anzupassen. Nach vorsichtiger Annäherung beginnt der harte und schnelle Überfall, sodass kurze Zeit später das Angriffsobjekt erfolgreich überwältigt und die Gegner ausgeschaltet werden. Bereits gegen 8 Uhr morgens ist der Auftrag erfüllt und die Soldaten können zur eigenen Basis zurückkehren. „Ohne die hervorragende Ausbildung der deutschen Kameraden wäre diese Übung sicherlich ganz anders verlaufen. Meinen großen Dank an das gesamte Team“, schließt der Bataillonskommandeur des Gebirgsjägerbataillon 331, Oberstleutnant Khorolgarav Zoljargal, kurz nach Übungsende. Die Auszubildenden gehören zu seinem Bataillon.
„Das ist eine tolle Erfahrung für mich“
„Es ist erstaunlich, was alle Ausbilder sowie die Teilnehmenden in der kurzen Zeit auf die Beine stellen“, resümiert der verantwortliche Ausbildungsleiter. Die hohe Leistungsfähigkeit beider Parteien sowie die starke Motivation sind hier der Schlüssel zum Erfolg. Der mongolische Soldat und Feldwebel Erdene Tumur-Otschir ist begeistert von der deutschen Unterstützung: „Diese drei Wochen Ausbildung sind eine tolle Erfahrung für mich und meine Kameraden. Ich bin seit 2019 in dem Programm mit dabei. Wir lernen jedes Mal so viel in so kurzer Zeit. Es ist zwar sehr anstrengend, aber nur so können wir viel von den Deutschen mitnehmen. Schon jetzt haben sich meine Fähigkeiten im Jagdkampf verbessert und ich habe wichtige Erfahrungen gesammelt. Jetzt gilt es, das auch Zuhause weiter zu trainieren. Wir werden dafür alles geben!“
*Name redaktionell geändert