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Werte miteinander erleben – besser als jeder Unterricht

Werte miteinander erleben – besser als jeder Unterricht

Datum:
Ort:
Düsseldorf
Lesedauer:
5 MIN

1.500 Soldatinnen und Soldaten der Panzergrenadierbrigade 37 „Freistaat Sachsen“ haben gemeinsam die diesjährigen Invictus Games in Düsseldorf besucht. Thema der Reise: der Umgang mit Kameradinnen und Kameraden, die im Dienst an Körper und Seele verwundet wurden. In Europa wütet ein Krieg. Das verändert den Blick.

Blick von oben auf ein Spielfeld mit Rollstuhlbasketballern

Besonders im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung kann die Zahl von Verwundeten und Gefallenen besonders hoch sein. Mit dem Besuch der Invictus Games 2023 möchte die Brigade Sensibilität und Bewusstsein ihrer Soldatinnen und Soldaten schärfen.

Bundeswehr/Martin Glinker

Was 2013 mit einer Idee von Prinz Harry, Duke of Sussex, begann, hat sich bis heute zu einer festen Größe in den Streitkräften von 21 Ländern entwickelt: die Invictus Games. Der Sohn von Prinzessin Diana, Offizier der britischen Luftwaffe, war in Afghanistan eingesetzt und hatte dort die an Leib und Seele Verwundeten hautnah erlebt. Das hinterließ einen bleibenden Eindruck bei ihm. Nach einer Teilnahme an den USUnited States Warrior Games in den USA 2013 rief er 2014 mit Unterstützung von Politikern und finanziellem Anschub durch das Königshaus, diesen Sportwettbewerb in Großbritannien erstmals ins Leben.

London, Orlando, Toronto, Sydney, Den Haag, Düsseldorf: Seit 2014 kommen alle zwei Jahre Soldatinnen und Soldaten, Polizisten und Feuerwehrleute zusammen, die in Ausübung ihres Dienstes an Körper, Geist und Seele verwundet wurden. Und wo auch immer in der Welt diese besonderen Spiele ausgetragen werden, ein Besuch der Invictus Games verspricht unvergessliche Momente voller Gänsehaut und intensiver Emotionen. Bei diesen Spielen liegt der Fokus nicht auf den sportlichen Leistungen. Die Invictus Games sind sehr viel mehr. Es sind die Spiele der Einsatzkräfte, die gemeinsam mit ihren Familien von einem Moment auf den nächsten aus ihrem Leben gerissen wurden; die dem Tod teilweise nur sehr knapp entgangen sind; die Traumatisches erleben mussten und plötzlich hineingestoßen wurden in eine Leidenszeit voller Verzweiflung und Perspektivlosigkeit. Es sind die Spiele der Überlebenskämpfer, der Lebensdurstigen und ihrer starken und unerschütterlichen Angehörigen. 

Die Invictus-Familie zu Gast in Düsseldorf

Menschen stehen auf einer Tribüne. Sie klatschen, schwenken deutsche Flaggen und feuern an.

Die Kraft der Gemeinschaft ist der Kern der Invictus Games. Wer sich darauf einlässt, kann die Energie spüren, die von dieser Gemeinschaft ausgeht. Sie ist der Motor für unglaubliche Leistungen.

Bundeswehr/Martin Glinker

Erstmals kamen die Invictus Games in diesem Jahr nach Deutschland. In der Rheinmetropole Düsseldorf trafen sich über 500 Athletinnen und Athleten aus 21 Nationen, um gemeinsam ihren Mut, ihre Kraft und ihren Kampfgeist in zehn Sportarten zu teilen. Mit dabei waren auch zwei Soldaten des Panzergrenadierbataillons 212 aus Augustdorf, das seit April 2023 Teil der Panzergrenadierbrigade 37 ist. Sie kämpften in jeweils vier Sportarten und erreichten ausgezeichnete Ergebnisse. Was die beiden über ihre persönlichen Wünsche für die Invictus Games erzählen, findet ihr hier. Insgesamt leisten derzeit circa 90 Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst in der Panzergrenadierbrigade 37, bei denen eine seelische oder körperliche Verwundung bekannt ist. Doch nicht nur diese besonders betroffenen Kameradinnen und Kameraden hat der Kommandeur, Brigadegeneral Alexander Krone, im Blick, sondern stets die Gesamtheit seiner circa 6.200 Männer und Frauen.

Tagungswoche in der Veranstaltungszeit

„Es ist wichtig, zusammenzukommen, sich immer wieder über die Herausforderungen unseres Berufes gewahr zu werden und darüber zu reden.“ So zogen Krone und die Panzergrenadierbrigade 37 in dieser Woche Delegationen all ihrer Verbände sowie Fach- und Führungspersonal in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt zusammen. Gemeinsam besuchten sie die Spiele und tagten in ihren jeweiligen Fachgebieten. Kommandeurstagung, Tagung für Kompaniechefs und Spieße, politische Bildung für die Verbände und Stabselemente, Fachtagung Logistik, Seminar für Einsatzgeschädigte der Brigade und Zusammenziehung der Vertrauenspersonenversammlung. „Wie jeder Großverband ist auch unsere Brigade seit vielen Jahren stark gefordert. Das Beherrschen unserer jeweiligen Fachgebiete ist dabei natürlich unerlässlich. Doch es geht um mehr. Da wir für die Aufträge im Bündnis bereitstehen, wie zum Beispiel bei der enhanced Forward Presence (eFPenhanced Forward Presence) Mission an der NATO-Ostflanke, können wir es nie ausschließen, dass es zu einer größeren Anzahl an Einsatzgeschädigten kommen kann. Deshalb ist es wichtig, gut vorbereitet zu sein.“

Lernen aus den Einsätzen

Sitzvolleyballer spielen auf rotem Boden in einer Halle, im Hintergrund Soldaten als Zuschauer.

Oberstabsgefreiter Daniel W. (am Ball) vom Panzergrenadierbataillon 212 ist nicht nur im Sitzvolleyball voll im Einsatz. Er trat auch im Schwimmen, Diskuswurf und Bogenschießen an – Anfeuerungen garantiert, wie hier vom eigenen Verband.

Bundeswehr/Martin Glinker

Seit Jahren wandelt sich die sicherheitspolitische Lage in Europa und spätestens der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ließ einen Ruck durch Gesellschaft, Politik und Militär gehen. Die täglichen Nachrichten aus dem russisch-ukrainischen Kriegsgebiet lassen zumindest erahnen, wie exorbitant höher die Zahl von Verwundeten und Gefallenen in einem Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung sein kann. Die Refokussierung der Bundeswehr auf Landes- und Bündnisverteidigung seit 2014 erfordert demnach nicht nur Anpassungen bei Material und Personal. Sie erfordert insbesondere auch einen Wandel im Mindset der Soldatinnen und Soldaten. So auch eine verstärkte Auseinandersetzung mit den Fragen: Wie geht man mit Menschen um, die während der Dienstausübung Schäden an Körper, Geist und Seele erleiden? Wie kann man sich darauf vorbereiten? Welche Anlaufstellen gibt es? Unterricht allein hilft da nur bedingt weiter. 
„Mit der Reise zu den Invictus Games können unsere Soldatinnen und Soldaten aktiv etwas über Werte erfahren, indem man damit konfrontiert wird, indem man es miteinander erlebt.“ Nur so können Bewusstseinsprozesse und Persönlichkeitsbildung tatsächlich angeregt werden. „Wir möchten mit unserem Besuch und der Zusammenziehung von circa einem Viertel unserer Brigade bei den diesjährigen Spielen eben diese Prozesse vorantreiben. Wir wollen uns wappnen. Wir wollen und müssen das Thema von Verwundungen an Körper und Seele auch in unserer Brigade weiter ins Bewusstsein rücken“, erklärt General Krone nachdrücklich.

Die Kraft der Gemeinschaft

Zwei Sportler liegen sich jubelnd in den Armen. Sie halten Tischtennisschläger in der Hand.

Auch zwei Soldaten des Panzergrenadierbataillons 212 waren als Athleten bei den diesjährigen Invictus Games dabei. Stabsfeldwebel Christian M. (hinten) feiert hier mit seinem Partner im Tischtennisdoppel den Gewinn der Bronzemedaille.

Bundeswehr/Martin Glinker

2022 reiste die Panzergrenadierbrigade 37 bereits mit einer kleinen Abordnung vor allem Einsatzgeschädigter zu den Invictus Games nach Den Haag. In diesem Jahr wurde der Ansatz bewusst breiter gewählt. Nach verschiedenen Out-of-area-Einsätzen hat sich mit den Aufträgen eFPenhanced Forward Presence und NATO Response Force (Eingreiftruppe der NATO) der Blick der Soldatinnen und Soldaten auf Verwundungen und Einsatzschädigungen weiter geschärft. Doch einen Stillstand kann es nicht geben. „Wir müssen die bisher gemachten Erfahrungen der Einsätze und einsatzgleichen Verpflichtungen weiter bestmöglich nutzen. Und wir müssen jede Möglichkeit ergreifen, jeden unserer Männer und Frauen handlungssicherer im Umgang mit traumatisierenden Erfahrungen und traumatisierten Soldatinnen und Soldaten zu machen“, resümiert Krone.

Jede Verwundung eines Kameraden oder einer Kameradin löst Betroffenheit aus. Doch für jeden Einzelnen ist es wichtig zu wissen, dass es einen sicheren und belastbaren Umgang miteinander gibt, wenn etwas passiert, wenn es einem nicht gut geht, wenn Körper, Geist oder Seele Schaden genommen haben. „Diese Sicherheit wollen wir schaffen und weiter das Vertrauen ineinander stärken.“ 
Wer sich auf den Geist der Spiele einlässt, kann die Energie dieser Gemeinschaft spüren. Der versteht, wie wichtig es ist, der Seele eine Heimat zu geben. Einen geschützten Raum, in dem körperlich und seelisch Verwundete ihr Selbstvertrauen und ihren Anschluss wiederfinden können. Die Kraft, die aus diesem Gefühl der Geborgenheit und Wertschätzung entspringt, ist unbeschreiblich. Doch genau sie ist es, die nicht nur Einsatzgeschädigte zurück ins Leben bringt. Diese Kraft ist der Motor eines jeden Menschen; der Motor von Streitkräften. Diese Gemeinschaft muss gepflegt werden, von jedem Einzelnen von uns, jeden Tag. 

von Susan Billing