Der Weg zum Fernspäher
Der Weg zum Fernspäher
- Datum:
- Ort:
- Munster
- Lesedauer:
- 7 MIN
Eines der härtesten Auswahlverfahren der Bundeswehr ist das für Fernspäher beim Heer. Mehrere Wochen Vorbereitung haben die 19 Kameraden hinter sich. Jetzt beginnt für sie die zweiwöchige Prüfungsphase. Bestehen sie das Auswahlverfahren, beginnen diese Soldaten ihre eigentliche Ausbildung für Fernspähkräfte.
Irgendwo in Deutschland und vom urbanen Leben abgeschnitten liegt dichter Nebel über einem verlassenen militärischen Lager. Wie ein Lost Places wirkt der Ort mit alten heruntergekommenen Gebäuden in einem dichten Wald.
Die Fernspäh-Aspiranten liegen hier versteckt. Ein paar Quadratmeter sind ihr Reich für die nächsten paar Stunden oder Tage. Für wie lange, das weiß keiner der Teilnehmer. Das heißt: eine Notunterkunft bauen, Feuer machen und das wenige Essen zubereiten, das es gibt. Um bis hierherzukommen, mussten die Teilnehmer des Auswahlverfahrens für Fernspähkräfte einiges über sich ergehen lassen.
Nur wer bestens vorbereitet ist, der hat eine Chance
In Vorbereitung auf die Prüfungsphase durchlaufen die Kandidaten ein zehnwöchiges Vorbereitungsprogramm. Dort werden sie Schritt für Schritt auf das Auswahlverfahren und die zukünftige Ausbildung zum Fernspäher vorbereitet. Neben der Steigerung ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit erlernen die Anwärter, wie man im Wald bestmöglich überlebt, wie man Notunterkünfte oder für eine Gewässerüberquerung Zeltbahnpakete wasserdicht baut und vieles mehr. Nach diesen zehn Wochen sind die Teilnehmer körperlich bestens vorbereitet, um die kommende Prüfungsphase anzugehen.
Dann geht es ins Auswahlverfahren. Im ersten Teil werden die Grundvoraussetzungen abgeprüft. Dazu gehören:
- fünf Klimmzüge im Feldanzug
- 7.000 Meter Geländelauf in Feldanzug und 20 Kilogramm Gepäck in maximal 52 Minuten
- ein Hallenhindernisparcours für Spezialisierte Kräfte
- 200 Meter Kleiderschwimmen in maximal acht Minuten
- Hindernisbahn ohne Waffe in weniger als einer Minute und 50 Sekunden
Mit der Kontrolle beginnt es
Mit der Ausrüstungskontrolle wird es für die Soldaten ernst. Akribisch kontrollieren die Prüfer jedes einzelne Teil der Ausrüstung. Wer versucht zu betrügen oder Fehler bei der Zusammenstellung der Ausrüstung macht, der wird sofort abgelöst und darf nach Hause fahren. Selbst ein altes Bonbonpapier in der Hosentasche kann zum Verhängnis werden.
Nachlässigkeit können sich die Fernspäher nicht erlauben, wenn es für mehrere Tage hinter feindliche Linien geht. Die Anspannung ist in den Gesichtern zu sehen und viele sind sich sicher: Am Ende des Auswahlverfahrens werden sie nicht mehr so viele sein wie noch zu diesem Zeitpunkt. Mehrere Tage voller Anstrengung und Ungewissheit liegen noch vor ihnen.
Nachts unterwegs mit viel Gepäck
Es geht los. Zunächst muss eine Kiste vorbereitet werden, die mit auf den Marsch genommen wird. Wie viel diese Kiste wiegt, weiß keiner. Nur eines ist klar: Sie ist verdammt schwer und kann nur von vier Mann gleichzeitig getragen werden.
Zusätzlich zu dem eigenen schweren Gepäck wird diese Kiste die Soldaten die nächste Zeit auf ihrem harten Weg begleiten. Der Marsch beginnt mitten am Tag. Aber das wird sich im Laufe der kommenden Tage ändern. Fernspäher sind vorwiegend nachts unterwegs, um im Schutz der Dunkelheit unerkannt an ihr Ziel zu gelangen. Tagsüber heißt es: verstecken, essen und ausruhen.
Doch die paar Kalorien an Essen, die jedem zustehen, sind nicht der Rede wert. Einem möglichen Einsatzszenario hinter feindlichen Linien angepasst, ist die Nahrungsmenge sehr knapp. Auch die Ruhephasen sind begrenzt. Die Ausbilder wollen hier vor allem den unbedingten Willen, eine hohe Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen sehen.
Auf schwierigem Weg
Fernspäher nutzen nicht selten unkonventionelle Wege, um unerkannt zu ihrem Ziel zu gelangen. Manchmal ist es unausweichlich, eine Unterführung, sei sie auch noch so schmutzig, nass und schmal, zu nutzen.
Nach ein paar Tagen hat sich die Zahl der Teilnehmer mehr als halbiert. Ziemlich am Ende ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit stehen die Verbliebenen nun mitten in der Nacht vor einem Fluss. Jedem ist klar, dass dieser durchquert werden muss. Bei Außentemperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Im Neoprenanzug geht es in das eiskalte Wasser mit der gesamten Ausrüstung, die zuvor möglichst wasserdicht verpackt wurde. Mehrere Hundert Meter sind es noch bis zum erlösenden Ufer.
Einem Kandidaten ist ein folgenschwerer Fehler unterlaufen: Sein Zeltbahnpaket hat sich geöffnet und die ganze Ausrüstung ist voller Wasser gelaufen. Auch hier muss er Beharrlichkeit und mentale Stärke zeigen. „Ich war zuerst geschockt, als ich das Wasser aus meinen Stiefeln gekippt habe und alles andere auch komplett nass war. Dann aber habe ich mich daran erinnert, dass die meisten Wechselsachen im Rucksack wasserdicht verpackt sind. So ging es weiter, bis zum nächsten Versteck. Da konnte ich meine Sachen am Feuer etwas trocknen. Wichtig ist es, im Kopf immer fit zu bleiben und niemals aufzugeben“, kommentiert einer, der bis zum Ende durchhalten wird.
Die Strapazen enden nicht
Wer Fernspäher werden möchte, muss körperlich sehr fit sein und eine hohe psychische Belastbarkeit mitbringen. Denn die vielen Stresssituationen im Eignungsfeststellungsverfahren sind überaus fordernd. Das zeigt sich besonders bei einem Fluchtmarsch nach einer simulierten Gefangennahme. Hier gerät der eine oder andere an seine Grenzen. Zu jeder Zeit werden die Teilnehmer von zwei erfahrenen Ausbildern begleitet. Auch sie haben das Verfahren durchlaufen. Nur so erkennen sie, wann jemand seine Grenzen überschreitet oder sich nicht an die Regeln hält.
Zusätzlich zum Ausbilderteam begleiten zu fast jeder Zeit eine Truppenärztin oder -arzt und eine Truppenpsychologin oder -psychologe die Teilnehmergruppe. Damit keiner der Soldaten zu Schaden kommt und für den Fall, dass bei jemanden der Körper aufgibt oder die Psyche versagt, sind sie zur Stelle.
Mit entsprechender Fachexpertise greifen sie bei Bedarf beratend ein. „Ich musste gerade einen Soldaten zum Schutz vor sich selbst aus dem Auswahlverfahren herausnehmen. Er hat sich bei einem Sturz ein Schädelhirntrauma ersten Grades zugezogen und deswegen kommt er jetzt zur medizinischen Versorgung in ein Krankenhaus“, berichtet der teilnehmende Arzt.
Sieben von 19
Am Ende der qualvollen letzten Tage stehen sieben Mann ziemlich ausgehungert und mit verbundenen Augen in den frühen Morgenstunden vor einer großen Delegation der Fernspähkompanie 1. Sieben von ursprünglich 19. Sie alle besitzen die Grundvoraussetzungen, um die extremen körperlichen und psychischen Anforderungen an Fernspäher zu erfüllen. Jetzt dürfen sie die Binden von den Augen nehmen und werden dabei von einem tosenden Beifall begleitet.
Alle anwesenden Fernspäher wissen genau, was diese sieben Männer die letzten Tage durchmachen mussten und zeigen ihren Respekt vor der enormen Leistung. In den vergangenen Jahren bestanden durchschnittlich nur etwa 25 Prozent der Bewerber das Auswahlverfahren. Eine Frau hat es bis jetzt noch nicht geschafft.
Erlebnisreiche Ausbildung folgt
„Wir brauchen genau diejenigen, die sich draußen wohlfühlen und denen es nichts ausmacht, im Wald für einen bestimmten Zeitraum zu leben. Die Soldaten müssen körperlich leistungsfähig und vor allem willig sein, weiterzumachen, auch wenn der Körper mal wehtut. Wir können nicht einfach abbrechen, wenn wir in einem Auftrag gebunden sind. Deswegen ist das Auswahlverfahren für die Fernspäher so fordernd gestaltet“, beschreibt der Durchführende, Hauptmann Jan M.*, am Ende das Eignungsfeststellungsverfahren der Fernspäher.
Dann gibt es endlich etwas Richtiges zu Essen. Die Soldaten müssen schließlich schnell zu Kräften kommen, denn vor ihnen liegt die lange und erlebnisreiche eigentliche Ausbildung. Sie werden für alle Einsatzszenarien und Klimazonen vorbereitet – von der Wüste über das Gebirge bis hin zur Arktis.
Und dann werden die sieben Soldaten in die „Familie“ der Fernspäher aufgenommen. Mit einer Urkunde und einem ganz individuellen Messer wird ihre Leistung gewürdigt. Das Messer ist ein Unikat, denn darauf ist die Teilnehmernummer eingraviert. Wie viele Soldaten bisher die Ausbildung bestanden haben, ist geheim. Nur eines ist sicher: Es sind noch nicht viele.
*Name zum Schutz des Soldaten redaktionell geändert.