Vorbereitung auf Litauen: Mitten im Panzergefecht
Vorbereitung auf Litauen: Mitten im Panzergefecht
- Datum:
- Ort:
- Letzlingen
- Lesedauer:
- 6 MIN
Tief grummelnde Motorengeräusche zerreißen plötzlich die Stille, Staubwolken wirbeln auf, feindliche Panzer greifen mit hoher Geschwindigkeit an. Jetzt muss alles ganz schnell gehen. Es liegt an den Soldaten des Panzerbataillons 414, dem feindlichen Angriff den Schwung zu rauben. Im Gefechtsübungszentrum Heer in Gardelegen üben Niederländer und Deutsche gemeinsam das Verzögerungsgefecht.
In seiner Stellung bereitet sich Corporal First Class Rutger Terlouw auf den Angriff des Feindes vor. Gut getarnt beobachtet er aus einem Gebüsch heraus die Waldkante durch die Zieloptik seiner Panzerabwehrwaffe. Der Unteroffizier trägt keine Bundeswehruniform. Er ist niederländischer Soldat und Panzerabwehrschütze. Seine Einheit, das Anti Tank Platoon, also ein Panzerabwehrzug, gehört zur niederländischen 43. Mechanisierten Brigade. Aktuell sind Terlouw und sein Team dem Panzerbataillon 414 aus Loheide in Niedersachsen zugeteilt. In Gardelegen bereitet sich das Bataillon als multinationaler Gefechtsverband auf die anerkannte Mission enhanced Forward Presence (eFPenhanced Forward Presence) der NATONorth Atlantic Treaty Organization in Litauen vor. Das Panzerbataillon 414 ist ein deutsch-niederländischer Verband und wird, verstärkt mit weiteren Einheiten, als multinationaler Gefechtsverband in den Einsatz gehen. Im Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Heer in Gardelegen bekommt die Battlegroup jetzt ihren Feinschliff und muss bei einer letzten Gefechtsübung vor dem Einsatz beweisen, dass Niederländer und Deutsche bereit sind, gemeinsam zu kämpfen.
Kampfpanzer im Visier
Per Funk meldet Corporal Terlouw seinem Team im Spähwagen Fennek den ersten feindlichen Kampfpanzer, der aus Richtung Norden angreift. Leise und unauffällig schlägt der Schütze mit seiner Panzerabwehrlenkwaffe zu. Die niederländische Gil basiert, wie auch das deutsche MELLSMehrrollenfähiges Leichtes Lenkflugkörpersystem, das mehrrollenfähige Lenkflugkörpersystem, auf der israelischen Spike-Familie. Beide Systeme verschießen hochmoderne Raketen mit enormer Schlagkraft. Routiniert lenkt der Schütze die Rakete per Fernsteuerung in das tonnenschwere gepanzerte Ziel. „Wir können bis zu 4.000 Meter entfernte Ziele damit bekämpfen“, erklärt Terlouw seine Waffe. Die Besonderheit im GÜZ: Aus allen Waffensystemen wird nicht mit scharfer Munition, sondern mit Laserstrahlen des optischen Ausbildungsgeräts Duellsimulator (AGDUS) geschossen. Die codierten Lichtsignale sind augensicher und geben sogar Aufschluss über die Art des Treffers.
Die Verzögerung
Wenige Sekunden nach dem Feuerbefehl des Kommandanten fällt der feindliche Kampfpanzer aus und darf nicht weiter am Übungsgefecht teilnehmen. Solche Schläge dienen dazu, den angreifenden Feind zu schwächen und ihm den Angriffsschwung zu nehmen. Ein Verzögerungsgefecht wie dieses ist die hohe Kunst der Taktik, sagen die Soldaten. Dabei wird nach einem Angriff Raum aufgegeben, um den Gegner abzunutzen, also ihn zu schwächen, um damit wiederum Zeit für einen späteren Gegenangriff zu gewinnen. Mit einem Mix aus Geländeaufgabe und hammerartigen Gegenschlägen in die Flanke des Feindes soll der Angriff des Gegners allmählich zum Erliegen kommen. Wird die Battlegroup dieses Ziel erreichen?
Ein Fluss als Hindernis
Langsam wird es brenzlig für den Panzerabwehrtrupp. Er wurde entdeckt und muss zügig seine Stellung verlassen, um nicht selbst bekämpft zu werden. Mit Vollgas ziehen sich die drei Soldaten mit ihrem flach gebauten gepanzerten Radfahrzeug in eine neue Stellung zurück. Auch die Hauptkräfte weichen immer mehr Richtung Süden aus und bekämpfen dabei einzelne feindliche Gefechtsfahrzeuge. Ein Fluss versperrt ihnen jetzt den Weg – zu gefährlich für die schweren Kettenfahrzeuge, die in dem schlammigen Boden versinken würden.
Pioniere bereiten den Weg
Mit dem Brückenlegepanzer Leguan bereiten die Pioniere für eine kurze Zeit eine schmale Überquerungsmöglichkeit an einer günstigen Stelle. Nun liegt der Erfolg der Battlegroup in der Hand der Hauptgefreiten Nina Gottwald aus dem Panzerpionierbataillon 130 in Minden. Die 22-jährige Soldatin bedient den mächtig anmutenden Leguan mit viel Geschick und platziert die Brücke stabil auf dem weichen Erdreich. „Ich wollte von Anfang an Panzer fahren. Weil der alte Brückenlegepanzer Biber ausgesondert wird und der Leguan, wie ich auch, für eFPenhanced Forward Presence geplant ist, habe ich direkt die Ausbildung an dem neuen System erhalten“, beschreibt die Hauptgefreite ihren Weg ans Steuer des Brücken-Ungetüms.
Panzerstarker Gegner
Das Überwindungsmanöver ist geglückt, keiner wird zurückgelassen. Der Feind, im Szenario auch Rot genannt, wird im Übungsgefecht durch einen hauseigenen Ausbildungsverband des Gefechtsübungszentrums dargestellt. Der Verband verfügt über vielerlei Waffensysteme des Deutschen Heeres, wie den Kampfpanzer Leopard 2 oder den Schützenpanzer Marder, und unterstützt alle Ausbildungs- und Übungsvorhaben der Truppe. Maßgeschneidert für das Übungsszenario übernimmt der Verband die Rolle als militärischer Gegner, Vertreter ethnischer Gruppierungen oder Konfliktparteien. Daneben verfolgen Schiedsrichter und Auswerter jeden Handgriff der Truppe. Sie hören Funksprüche mit und beobachten das Übungsgeschehen zu Auswertungszwecken. Im aktuellen Verzögerungsgefecht greift der Ausbildungsverband jetzt panzerstark an. Insgesamt 36 gepanzerte Gefechtsfahrzeuge, darunter zwölf Kampfpanzer Leopard 2 A5 und 19 Schützenpanzer Marder 1 rollen auf Team Blau, die künftige Battlegroup, zu.
Beunruhigende Stille
Wenige Kilometer weiter südlich wird die Masse der Gefechtsfahrzeuge von Rot und Blau bei einem Gegenangriff aufeinandertreffen. Innerhalb weniger Minuten wird sich an diesem Ort in einem entscheidenden Gefecht herausstellen, ob der Plan des Battlegroup-Kommandeurs aufgeht. Auf dem Gefechtsfeld, das von Süd nach Nord verlaufend durch eine asphaltierte Straße geteilt wird, herrscht jetzt eine auffällige Stille. Dann, wie aus dem Nichts, bildet sich eine hundert Meter lange, dichte Nebelwand entlang der Straße. Die Truppe nutzt den weißen Rauch, um den eigenen Gegenangriff in die Flanke zu verschleiern und die tatsächliche Anzahl und das eigene Verhalten nicht sofort preiszugeben. Durch den Wind liegt der Nebel günstig für die Battlegroup. Binnen weniger Sekunden verlassen die Kampf- und Schützenpanzer den Wald und formieren sich um für den feuerstarken Gegenangriff. Allmählich verfliegt der Nebel. Der Blick auf die rasch angreifende Formation ist wirklich imposant. Auch Rot hat sich im Nebel zum Breitkeil, wie die Formation in der Militärtaktik genannt wird, umgegliedert. Jetzt wird klar: Wir stehen inmitten der Panzerschlacht. Mit Vollgas donnern die Kampfpanzer aufeinander zu. Blau überkreuzt als erster die neutrale Straße. Ein Panzer nach dem anderen leuchtet auf und fällt aus. Am Ende wird noch eine Handvoll Fahrzeuge auf jeder Seite übrig sein. Der Angriff von Rot ist zum Erliegen gekommen. Das Ausbildungsziel ist erreicht.
Vom Panzerbataillon 414 zum NATONorth Atlantic Treaty Organization-Gefechtsverband
Das Panzerbataillon 414 ist ein deutsch-niederländischer Verband im niedersächsischen Loheide. In ihm dienen zu einem Viertel niederländische Soldatinnen und Soldaten, die sich auf den Stab, die 1. und die 4. Kompanie verteilen. Unzählige Ausbildungen und Übungen des Bataillons dienen seit dem vergangenen Jahr dem unmittelbar bevorstehenden Auftrag in Litauen. Für die eFPenhanced Forward Presence-Mission werden dem Bataillon weitere, auch internationale Truppenteile und Soldaten unterstellt. Das verstärkte Bataillon ist damit ein multinationaler Verband. Ab dem zweiten Halbjahr 2021 geht es für die Soldaten nach Litauen. Vor der Mission gilt es, viel zu lernen – ob im Schießübungszentrum in Munster im November 2020 oder im scharfen Schuss beim Schießtraining mit der 120-Millimeter-Kanone in Bergen. Jetzt, nach der letzten intensiven Gefechtsübung im GÜZ, sind die Soldaten bereit für das Gefecht. Bereits im August geht es per Bahn nach Litauen. Hier dienen die Soldaten als nunmehr zehnte Rotation, über einen Zeitraum von sechs Monaten, in der verlässlichen Beistandsinitiative für den baltischen Partner an der Ostflanke der NATONorth Atlantic Treaty Organization.