Verwundetenrettung unter extremer Gefahr
Verwundetenrettung unter extremer Gefahr
- Datum:
- Ort:
- Letzlingen
- Lesedauer:
- 5 MIN
Ausbildung für die Landes- und Bündnisverteidigung bedeutet auch, sich vorzubereiten auf den Ernstfall. Dieser kann die Verwundung von Soldatinnen und Soldaten zur Folge haben. Wie gelingt es auf dem Gefechtsfeld, unter extremem Stress und Gefahr, Verwundete zu retten und professionell zu behandeln? Das Heer und der Zentrale Sanitätsdienst zeigen während einer Übung gemeinsam: Retten ist Teamarbeit.
Die Panzergrenadiere sind für den Kampf zu Land ausgebildet. Mal aufgesessen und mobil auf einem schwer bewaffneten Schützenpanzer, mal abgesessen, mit ihrem Gewehr in der Hand, bahnen sie sich den Weg durch jedes Gelände. Wir sind mit ihnen in einem Waldstück. Plötzlich kommt es zu einem Gefecht mit feindlichen Schützen. Soldaten werden verwundet. Es gibt Schussverletzungen. Die Schusswunde eines Soldaten liegt am Oberschenkel, rechts, mit starker Blutung. Was jetzt?
Ein sicherer Platz und erste Hilfe
Dem Verwundeten gehen jetzt unter extremem Schmerz und Stress viele Dinge durch den Kopf: Werde ich überleben? Wer holt mich hier raus? Die Gruppe meldet in einer kurzen Feuerpause sofort dem Zugführer per Funk: „Wir haben zwei Verwundete.“ Parallel bringen Soldaten die Verwundeten unter Deckung nach hinten in Sicherheit, weg vom Feind, zum sogenannten Platz der Verwundeten. In der ersten Deckung werden unmittelbar lebensrettende Sofortmaßnahmen angewendet. Das Ziel: Blutstillung. Dazu werden Tourniquets zur Blutungskontrolle angebracht und ein Druckverband angelegt.
Jeder Soldat ist ausgebildeter Einsatzersthelfer. Das Prinzip lautet: lebensrettende Sofortmaßnahmen im Einsatz an Kameraden, und wenn nötig an sich selbst, unter Berücksichtigung der taktischen Lage anwenden können. Dazu wird jeder Soldat im Kampfeinsatz mit verschiedenen Erste-Hilfe-Materialien ausgestattet. Für die Anwendung lebensrettender Sofortmaßnahmen an Verletzten werden alle Bundeswehrsoldaten von sanitätsdienstlichem Fachpersonal ausgebildet und regelmäßig geschult. Diese Erstmaßnahmen sind entscheidend für die Rettungskette und das Überleben der Verwundeten. Die Ersthelferausbildung für die Soldaten der Kampftruppe gibt es in verschiedenen Qualifikationsstufen – vom einfachen Verbandanlegen bis hin zur Atemsicherung und dem Legen intravenöser Zugänge nach den Grundsätzen der taktischen Verwundetenversorgung.
Die Kette, die Leben rettet
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Während die verletzten Soldaten am Platz der Verwundeten unter starken Schmerzen aushalten und durch Kameraden betreut werden, kommt im Hintergrund der Zugführer über den Kompanieeinsatzoffizier mit dem Rettungstrupp in Verbindung. Jetzt wird die Rettungskette angeschoben. Hier geht die Meldung ein: „Stehen am Ort X im Feuergefecht, haben zwei Verwundete.“ Wie kommen die Verwundeten jetzt raus aus dem Kampf in die erste Sanitätseinrichtung? Soll ein Gefechtsfahrzeug herausgelöst werden, um sie geschützt zu transportieren?
Der behelfsmäßige Transport durch die Kampftruppe selbst ist in der Realität die Ausnahme. Warum? Jeder Verlust an Kampfkraft bei der Truppe hat Auswirkungen auf das Kampfgeschehen. So fährt der Rettungstrupp oder der bewegliche Arzttrupp auf dem Gepanzerten Transportkraftfahrzeug Boxer mit Sanitätsausstattung (SAN) zum Platz der Verwundeten, um die beiden Soldaten aufzunehmen.
Nach der Aufnahme erfolgt die erste qualifizierte Versorgung durch den Notfallsanitäter oder auch durch den Arzt. Bereits während der Fahrt werden die Verwundeten weiter stabilisiert. Jetzt geht es in die circa fünf Kilometer hinter der Front liegende Rettungsstation, zur Role 1.
Die Übergabe der Patienten
In der Role 1 bekommt dann der Funker die Ankündigung: „Es kommen gleich zwei Kategorie Bravo.“ Bravo bedeutet, sie sind mittelschwer verwundet. Die Patienten werden je nach Verletzungsmuster und Vitalfunktionen von Alpha (schwer verwundet) bis Charlie (leicht verwundet) kategorisiert. Dann werden beide Patienten hereingebracht. Parallel geht die Funkmeldung raus zur Zelle SAN: „Wir haben zwei Verwundete aufgenommen.“ Die Zelle SAN kommuniziert mit der übergeordneten Zelle auf der höheren Brigadeebene, um bereits die Behandlung in der nächsthöheren Einrichtung vorzubereiten.
Der Arzt in der Role 1 wird jetzt entscheiden, auf welchen Behandlungsplatz die beiden Soldaten innerhalb der Rettungsstation gehen und wie ihre Weiterbehandlung erfolgt. Er sagt zudem: „Ich brauche einen Abtransport in zehn Minuten.“ Oberleutnant Daniel Müller, Schiedsrichter und Ausbilder für den Bereich Sanität im Gefechtsübungszentrum Heer, erklärt: „Wenn die in der NATONorth Atlantic Treaty Organization einheitlichen Zeitlinien eingehalten werden, wird spätestens hier in der Role 1 das Ziel einer notfallmedizinischen Versorgung innerhalb einer Stunde erreicht.“ Inzwischen sind die Patienten stabilisiert worden. Der Abtransport in die Role 2 zur notfallchirurgischen Versorgung beginnt.
Fachärzte warten auf ihren Einsatz
Nach einer Stunde und einer kurzen Transportzeit kommen die Patienten in der nächsten Sanitätseinrichtung, der Role 2B, an. Das B steht für Basic. Diese Einrichtung, die aus Zelten und Containern besteht, beinhaltet medizinische Fachbereiche wie beispielsweise eine Notaufnahme, Anteile einer Radiologie, Labordiagnostik, Intensivmedizin, Chirurgie und kann je nach Auftrag und Einsatzerfordernis ergänzt werden. Sie ist mit einem Kreiskrankenhaus vergleichbar.
In der Notaufnahme werden die Patienten bereits erwartet. Es geht sofort in die Fachabteilung, in die Chirurgie. Sie stellt den Kern der Fähigkeiten der Role 2 dar, die notfallchirurgische Versorgung. In den benachbarten Räumlichkeiten wachen die operierten Patienten nach dem Eingriff unter Narkose auf, werden stabilisiert und vorbereitet für den Transport in eine höhere Behandlungseinrichtung im Einsatzland.
Gut vorbereitet dank realistischem Übungsszenario
Das Szenario ist sehr realistisch. Dennoch handelt es sich bei dem dargestellten Gefecht nicht um ein wirkliches Ereignis, sondern um die Übung Wettiner Schwert in der Letzlinger Heide. Hier trainiert die Kampftruppe die Rettungskette, damit die NATONorth Atlantic Treaty Organization Response Force Land (2022-2024), die Schnelle Eingreiftruppe der NATONorth Atlantic Treaty Organization, gemeinsam mit dem Zentralen Sanitätsdienst auf den Ernstfall vorbereitet ist. Jede Sekunde zählt. Auf der Übung wird klar: Es geht nicht nur darum, schlagkräftig und professionell kämpfen zu können, sondern auch darum, den Soldaten die beste medizinische Versorgung zu geben, die moderne Streitkräfte zu bieten haben.
Aufenthaltszeit nah der Front kurz halten
Wie kann das Rettungssystem Erfolg haben? Die Aufenthaltszeit in den Behandlungseinrichtungen, nah an der Front, muss besonders kurzgehalten werden. Schließlich werden in einem Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung viele Verwundete in kurzer Zeit erwartet. Es geht um ein engmaschiges Transportsystem. Damit kann eine Entlastung in den einzelnen Phasen der Kette herbeigeführt werden. Das Ziel ist, Verletzte so schnell wie möglich in den sicheren, rückwärtigen Raum zu bringen. Es geht auch darum, die richtigen Rettungsmittel zur richtigen Zeit am richtigen Ort einzusetzen.
„Die Rettungskette ist ein seit Langem bewährtes und trainiertes Konzept, das auch bei der NATONorth Atlantic Treaty Organization angewandt und regelmäßig auf Übungen, wie beim Wettiner Schwert 22, trainiert wird“, erklärt Oberstarzt Dr. Philipp Géronne, Kommandeur des Sanitätsregiments 1. In der aktuellen NRFNATO Response Force (L) ist es seine Aufgabe, die Medical Task Force, also die medizinischen Kräfte, zu führen, in der alle Sanitätseinrichtungen, Patiententransportkräfte und sanitätsdienstlichen logistischen Einrichtungen der Behandlungsebene 2 zusammengefasst sind. „Egal, ob Kampftruppe oder medizinisches Personal, der Übungsstand des Personals ist sehr hoch. Gleiches gilt für die Motivation und den Einsatz der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten. Zusammen macht das den Erfolg der Rettungskette bei der Übung Wettiner Schwert aus“, resümiert der Mediziner das positive Ergebnis der gemeinsamen Zertifizierungsübung im Gefechtsübungszentrum.