Heer
Übung Eiskristall

Gebirgsjäger kämpfen am Polarkreis

Gebirgsjäger kämpfen am Polarkreis

Datum:
Ort:
Norwegen
Lesedauer:
5 MIN

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Eissprung, Eissprengen, scharfer Schuss: Soldatinnen und Soldaten aus Mittenwald und Ingolstadt trainieren während der Übung Eiskristall den infanteristischen Kampf unter extremen Wetterbedingungen. Von Mitte Januar bis Mitte Februar üben die Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23 aus den bayerischen Alpen im arktischen Norden Norwegens.

Ein Verwundeter liegt auf einer Trage, Soldaten auf Skiern ziehen ihn verpackt hinter sich her.

Ein wichtiger Ausbildungsinhalt ist der richtige Transport von verwundeten Soldaten in Schnee und Eis

Bundeswehr/Kevin Skramec

Den Kern der 200 Soldaten starken Übungstruppe des Gebirgsjägerbataillons 233 aus Mittenwald stellt die 4. Kompanie unter der Führung von Hauptmann Matthias Dankerl. Der junge Heeresbergführer wird während der Ausbildung in Norwegen durch eine Hochgebirgspioniergruppe des Gebirgspionierbataillons 8 aus Ingolstadt verstärkt.

Von München aus erreichen die Soldaten Mitte Januar ihr Ziel: den Polarkreis. Nach einem circa dreieinhalbstündigen Flug landet die Luftwaffenmaschine auf dem militärischen Teil des Flughafens Bardufoss in Nordnorwegen, etwa 130 Kilometer südöstlich von Tromsø. Der eisige Wind schlägt den Soldaten ins Gesicht, als sie die Maschine verlassen. Die übende Truppe wird sofort von norwegischen Soldaten zu einer Covid-19-Teststation geführt. Alles ist straff durchgeplant. Erst nach dem Test fährt die Truppe mit Bussen zum 45 Minuten entfernten Ausbildungsort Overbygd, inmitten der norwegischen Waldlandschaft. Dort erwartet die Soldaten ihre zuvor verschickte Ausrüstung, eine spezielle Arktisausstattung. Sie besteht aus einer in der Polarregion erprobten Bekleidung, speziellen Zelten und Schlafsäcken sowie Expeditionsschuhen und Kochutensilien. Diese Zusatzausrüstung ist bei der extremen Kälte bitter nötig.

Aufwendige Coronaprävention

Luftbildaufnahme mit Gebäuden und Freiflächen im Wald an einem zugefrorenen See.

Der organisatorische Aufwand für das Ausbildungslager Overbygd/Ratavn inmitten der norwegischen Waldlandschaft ist groß. Er sichert aber den Ausbildungsbetrieb der Soldaten aus Deutschland.

Bundeswehr/Kevin Skramec

Dass die deutschen Soldaten während der Übungszeit in einem eigenen Camp untergebracht sind, verdanken sie dem Versorgungsstabsoffizier des Gebirgsjägerbataillons 233, Oberstleutnant Christian Plieske. Er und sein Team bereiteten mehr als sechs Monate diese Übung vor, mit unzähligen Besprechungen und Videokonferenzen mit norwegischen Behörden und militärischen Verantwortlichen. Nun steht es da: ein deutsches Camp auf norwegischen Boden, dass die Ausbildung der Gebirgsjäger sicherstellt.

Das Material dazu wurde auf dem Land, Luft und Schienenweg an den Polarkreis gebracht und errichtet. Eine logistische Mammutaufgabe. Da die Covid-19-Pandemie auch im eisigen Norden Europas keinen Halt macht, musste das Gebirgsjägerbataillon 233 eine Fülle an infrastrukturellen Maßnahmen realisieren. In Zusammenarbeit mit den norwegischen Partnern entstand im Ergebnis eine kleine Zeltstadt, mit Hygieneschleusen und strenger Kohorten-Bildung. Klare Befehle und die eigene Disziplin ermöglichen jedoch, dass auch unter solch einmaligen Bedingungen, eine hochwertige und gewinnbringende Ausbildung möglich ist.

Der Windchill-Effekt

Die Soldaten der Gebirgstruppe, die das erste Mal am Polarkreis stehen, merken schnell den Unterschied zu den Bedingungen in der heimischen Alpenregion. Es ist eine trockene, bittere Kälte, verbunden mit einem stetigen Wind. Der dadurch entstehende sogenannte Windchill-Effekt bewirkt, je nach Temperatur und Windstärke, eine extreme Kälte auf der freiliegenden Haut, beispielsweise im Gesicht oder wenn die Handschuhe ausgezogen sind. Hier ist neben der speziellen Ausrüstung eine gute Ausbildung gefragt und vor allem eine Fürsorge der eingesetzten Führer. Kleinste Fehler oder Unachtsamkeit können zu Erfrierungen und Kälteschäden führen.

Derzeit herrschen am Ausbildungsort Overbygd/Ratavn minus 20 Grad Celsius und Windgeschwindigkeiten von bis zu 60 Kilometern pro Stunde. Auf der Haut entspricht das gefühlt minus 50 Grad Celsius. Ungeschützt können innerhalb von einer Minute die ersten Kälteschäden auftreten. Die bestens ausgebildeten Heeresbergführer und Heereshochgebirgsspezialisten der Gebirgstruppe kennen sich damit zur Genüge aus. Ihr Wissen wird von den jungen Gebirgsjägern dankend aufgenommen.

Kämpfen unter arktischen Extrembedingungen

Auf einer Eisfläche wird im Dunkeln ein Sprengsatz gezündet, ein Feuerball und Funken entstehen.

In Norwegen trainieren die Gebirgsjäger aus Mittenwald und die Gebirgspioniere aus Ingolstadt die Zusammenarbeit unter arktischen Bedingungen, hier bei einer Eissprengung

Bundeswehr/Kevin Skramec

Die Soldaten dürfen sich durch die Wetterverhältnisse im hohen Norden, die extrem kräftezehrend sind, nicht ablenken lassen. Sie müssen fokussiert bleiben, denn im Mittelpunkt steht der infanteristische Kampf. Das Rüstzeug bringen die Gebirgsjäger schon mit. Das einsatzerfahrene Bataillon aus Mittenwald ist gut ausgebildet im Orts- und Waldkampf und im Winterkampf im bayerischen Karwendelgebirge. Die Ausbildungsinhalte in Norwegen bei der Übung Eiskristall gliedern sich in drei Blöcke: Überleben, Verbringung – also Transport von Menschen, Material und Ausrüstung – und Kampf.

Insbesondere der Anteil Überleben stellt die Soldaten vor besondere Herausforderungen. Er beinhaltet beispielsweise den Eissprung, also den simulierten Einbruch in ein gefrorenes Gewässer. Unter ärztlicher Aufsicht springen die Gebirgsjäger bei eisigen Temperaturen in ein zuvor ausgesägtes Eisloch. Das Ziel: Überwinden des Schockmomentes, selbstständiges Herausklettern und anschließend die Kleidung an einem selbstentfachten Feuer trocknen. Das alles ohne Aussicht darauf, in den kommenden Tagen in eine warme Unterkunft zu kommen. Hier zeigt sich, wer die bisherige Ausbildung verinnerlicht hat und zäh gegen sich selbst ist.

Pioniere im Einsatz

Ein Soldat dreht mit einem Metallbohrer von Hand ein Loch in das Eis eines Sees.

Ein Gebirgspionier bereitet mit einem Metallbohrer ein Eisloch für eine Sprengung vor, um den Feind zu verzögern

Bundeswehr/Kevin Skramec

„Einen Metalllöffel bei diesen Temperaturen zu nutzen, den Fehler macht man nur einmal“, sagte ein junger Soldat. Während der Ausbildungsabschnitte „Bau von Feldunterkünften“ und „Leben im Felde“ lernt er, aus Schnee und Zeltbahnen verschiedene Unterkünfte zu bauen und ein Feldlager einzurichten. Wer sich hier nicht um seine Ausrüstung kümmert, kann nicht warm schlafen, hat gefrorenes Trinkwasser oder einen festgefrorenen Verschluss seines Gewehres. Es bedarf einer besonderen Kameradschaft und Vertrauens in der Gruppe, damit die kleine Kampfgemeinschaft bei den äußerst widrigen Umständen durchhaltefähig bleibt. Die Soldaten müssen auch zum Ende der Strapazen noch kampffähig und kampfwillig sein.

In der taktischen Lage, die die Soldaten während ihrer Ausbildung in Norwegen die ganze Zeit begleitet, stößt der Feind zügig den eigenen Kräften nach. Jetzt kommen die Gebirgspioniere aus Ingolstadt zum Einsatz. Die speziell geschulten und ausgerüsteten Soldaten entscheiden sich, dem Feind den weiteren Vorstoß durch eine vorbereitete Eissprengung zu verwehren. Mit einem mächtigen Knall bricht das Eis des Sees auf. Durch die speziell eingebrachten Sprengladungen besteht die ehemalige feste Eisoberfläche nur noch aus schwimmenden Fragmenten, auf denen sich kein Mensch oder Fahrzeug bewegen kann. Der Feind muss einen kräftezehrenden und zeitintensiven Umweg nehmen. Für die Pioniere ist diese Technik nicht alltäglich. Nur die Witterungsbedingungen am Polarkreis ermöglichen es, dieses Verfahren zu üben. Dies ist unabdingbar im Kampf an der europäischen Nordostflanke für die Landes- und Bündnisverteidigung.

Gegen Ende der Ausbildungsblöcke und einer kurzen Regenerationsphase durchlaufen die Soldaten eine dreitägige Abschlussübung im scharfen Schuss. Hier müssen die Gebirgsjäger und Gebirgspioniere noch einmal alle Kräfte mobilisieren und die neu erlangten Fähigkeiten und das Wissen anwenden. Anschließend fliegt die übende Truppe dann zurück in das verschneite, aber weniger kalte Bayern.

von Lars Kauven

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