Hubschrauberbesatzung trainiert den Ernstfall
Hubschrauberbesatzung trainiert den Ernstfall
- Datum:
- Ort:
- Niederstetten
- Lesedauer:
- 5 MIN
Wir sind auf Patrouille, 45 Kilometer vor Gao in Mali, in einem gepanzerten Fahrzeug. Plötzlich eine Explosion. Unser Fahrzeug wird schwer beschädigt. Es gibt Verletzte. Wer bringt uns hier raus? Mit diesem fiktiven Übungsszenario werden die Besatzungsmitglieder eines NHNATO-Helicopter-90 konfrontiert, bevor es in den Auslandseinsatz geht.
Beim Transporthubschrauberregiment 30 in Niederstetten in Baden-Württemberg bereiten sich Soldatinnen und Soldaten auf ihren fordernden Auslandseinsatz als Lufttransportbegleittrupp vor. Forward Aeromedical Evacuation (MedEvacMedical Evacuation) ist der Verwundetentransport mit einem Hubschrauber. Bald werden die Soldaten als Rettungssanitäter oder als Sky Marshals auf dem NHNATO-Helicopter-90, dem schnellsten Hubschrauber der Bundeswehr, unter Einsatzbedingungen in einem fremden Land arbeiten und im Ernstfall Verwundete retten.
In der Landezone
Ich begleite die Truppe, will mir ein Bild von den Abläufen machen. Die Fallschirmjäger des Fallschirmjägerregiments 26 aus Zweibrücken sind als Rollenspieler vor Ort, um den Übungsteilnehmern ein realistisches Bild zu geben, wenn sie in der Landezone aufeinandertreffen. Bei der Übung sollen sie verbündete Kämpfer darstellen. Bei ihnen werde ich integriert, bekomme eine Schutzweste, ein Gewehr und weitere Ausrüstungsgegenstände. Abseits liegen wir mit den Schwerverletzten am Verwundetensammelpunkt. Schreie sind zu hören. Während die Soldaten Erste Hilfe leisten und die Wunden versorgen, setzt der militärische Führer mit seinem Funkgerät rasch einen Funkspruch ab. Er steht im direkten Kontakt mit der Operationszentrale und gibt die wichtigsten Informationen weiter, um die Soldaten innerhalb von Minuten per Hubschrauber evakuieren zu können. Was erwartet die Besatzung in der Landezone? Wird vielleicht noch geschossen? Die Crew muss vorher wissen, wie die Lage vor Ort ist.
Zur Selbstsicherung bewaffnet
Plötzlich ist ein leises Wummern eines Hubschraubers zu hören. Dann taucht ein Mehrzweckhubschrauber NHNATO-Helicopter-90 über uns auf und setzt auf einem Feld zur Landung an. Der grüne Rauch, der die Landezone markiert, wird durch die Rotoren des Helikopters verwirbelt. Dreck und Steine fliegen durch die Luft. Die Verwundeten liegen abseits. Sie sind in einem Thermalguard, eine Art Kombination aus Rettungsdecke und Trage, verpackt. Die Schiebetür springt auf und die Rettungskräfte steigen aus. Zum Selbstschutz sind die Mediziner mit einer Maschinenpistole MP7 bewaffnet, die Feldjäger, auch Sky Marshals genannt, mit dem Gewehr G36 und der Pistole P8 im Holster als zweite Waffe. Jeder mit der Evakuierung beauftragte Soldat macht sich nun ein Bild von den Verletzten, während die Feldjäger die Sicherung der Besatzung am Boden übernehmen.
Die Evakuierung hat System
Das eingeflogene Team beginnt sofort damit die Verwundeten nach ihren Verletzungen zu kategorisieren. Danach ist klar, wer in welcher Reihenfolge ausgeflogen wird. „Dieses Einteilen wird auch Triagieren genannt“, erklärt Stabsfeldwebel Ole Diepen aus dem Ausbilderteam. „Insgesamt gibt es drei Verwundungsgrade von Alpha bis Charlie.“ Die Kategorie Alpha erhalten die Schwerverletzten, die zuerst abtransportiert werden. Unter Stress und Gegenwehr wird das Triagieren für die Crew zu einer Herausforderung, die geübt werden muss.
Im Schockzustand könnten Verwundete, die noch bewaffnet sind, schnell zur Gefahr werden. Deshalb überprüfen die Helfer alle Schwerverletzten nach Waffen.
Die Verwundeten an Bord bringen
Alle Unverletzten werden als Träger eingesetzt. Den ersten Verwundeten heben wir zu viert an und tragen ihn zum Helikopter, der nur noch kurze Zeit am Boden bleiben darf. Das Risiko, selbst zum Ziel eines Angriffs zu werden, ist einfach zu hoch. Zur Sicherung im Ernstfall ist immer noch eine zweite, bewaffnete Maschine, die sogenannte Chase, in der Luft. Sie kreist und sichert mit ihren Maschinengewehren den Hubschrauber am Boden. Durch den starken Luftwirbel der rotierenden Rotorblätter werden wir beim Anmarsch vom Helikopter weggepresst. Das Tragen ist erschwert. Langsam zieht es im Rücken. Wir müssen uns mit unserer Ausrüstung bepackt und dem Verletzten in der Trage in gebückter Haltung an den Heli annähern. Über die steile und rutschige Rampe am Heck gelangen wir in das dunkle Innere des Dickschiffs. Auf einem zugewiesenen Platz legen wir den Soldaten ab und verlassen zügig das Fluggerät, um den zweiten Verwundeten zu holen. Nachdem auch dieser an Bord liegt, hebt die Maschine schon wieder ab. An diesem Tag wird sie drei Mal bei uns landen und Verwundete in Sicherheit bringen.
Perfekte Handgriffe – auch nachts
Bereits in der Übung daheim muss jeder Handgriff perfekt sitzen. Jeder Fehler könnte den Verlust eines Soldaten oder gar der gesamten Maschine bedeuten. Die schlechte Sicht nun bei Nacht ist eine zusätzliche Herausforderung für die Crew. Alle Abläufe müssen daher auch ohne Licht trainiert werden, wie zum Beispiel das Bedienen der Funkanlage, das Legen einer Infusion oder das Triagieren. Alle unnötigen Lichtquellen sind dabei ausgeschaltet, um nicht aufzufallen. Es ist lediglich ein ganz schwaches grünes Licht zu sehen sowie die Lichter der Instrumente im Cockpit, die durch den schmalen Gang zu sehen sind. An Bord der Maschine tragen die Besatzungsmitglieder daher eine Nachtsichtbrille. Es wird mit Handzeichen und per Funk kommuniziert. Die Geräusche der Maschine sind einfach zu laut, um sein Gegenüber ohne Kopfhörer zu verstehen.
Ist das Gelände abschüssig?
Das Team auf dem NHNATO-Helicopter-90 besteht bei einer solchen Evakuierung aus zwei Piloten, einem Bordmechaniker, einem Rettungssanitäter sowie einem Arzt. Ist die Lage unsicher, sind die Feldjäger mit an Bord. Alle Teammitglieder müssen sich aufeinander verlassen können. Sie unterstützen sich gegenseitig. Die Piloten arbeiten beispielsweise eng mit dem Bordmechaniker zusammen.
Die Bordmechaniker tragen viel Verantwortung. Sie bereiten die Maschine auf ihren Einsatz vor, sorgen für die Sicherung an Bord und moderieren während des Einsatzes dem Piloten die Landung. Ist das Gelände abschüssig? Gibt es Hindernisse, wie herausragende Felsen? Wann wird die Maschine am Boden aufsetzen? „Wir sind das Auge nach unten und nach hinten“, erklärt Hauptfeldwebel Alexander Volbert, der als Bordmechaniker den Überblick behalten muss. Am Ende ist es aber keine Einzelleistung, sondern Teamarbeit: „One Team, One Mission“. Nur gemeinsam kann die Mission erfolgreich sein.