Der letzte Angriff des Berglöwen
Der letzte Angriff des Berglöwen
- Datum:
- Ort:
- Bad Reichenhall
- Lesedauer:
- 5 MIN
In langen Kolonnen verlassen die Gebirgssoldaten ihre Kaserne, beziehen auf umliegenden Truppenübungsplätzen Stellung und bereiten sich auf den großen Angriff vor. Jetzt wird der Berglöwe wild.
Hinter dem Namen Berglöwe verbirgt sich eine große freilaufende Übung in Berchtesgaden, die daher auch durch urbanes Gelände führt. Bis zu 1.500 Soldaten sind beteiligt, zeitweise 300 Fahrzeuge im Einsatz. In dieser Woche findet die Übung auf der Reiteralpe ihren Höhepunkt.
„Männer, dranbleiben!“, macht ein Gruppenführer Dampf, als die Soldaten der 2. Kompanie des Gebirgsjägerbataillons 231 aus Bad Reichenhall über den Wachterlsteig zur Reiteralpe aufsteigen. Über 30 Kilogramm trägt jeder Soldat auf dem Rücken den Berg hoch. Dazu kommen das Sturmgewehr und oft noch besonders sperrige Gegenstände, wie Maschinengewehre (MG), Panzerabwehrwaffen oder Werkzeuge, wie Äxte und Motorsägen. Die eigene Statur ist bei diesem Kraftakt zweitrangig, Soldatinnen stehen ihren männlichen Kameraden in nichts nach und alle tragen mit. Schon seit fünf Tagen leben die Gebirgssoldaten nun im Gelände. Sie haben viele Strapazen und Nachtschichten hinter sich. 750 Höhenmeter müssen allein heute überwunden werden, bis sie die Reiteralpe erreichen. Hier werden sie ihr Zeltlager aufschlagen und sich auf den großen Angriff vorbereiten. Am Ende wird sich zeigen: Wer ist der Gejagte und wer triumphiert als Jäger, als Berglöwe?
Listige Falle für den Angreifer
Gebirgspioniere aus Ingolstadt schleppen rasierklingenscharfe Stacheldrahtrollen, wohlverpackt und ungeöffnet. „Unser Auftrag ist es, den Gegner zu bremsen, wenn er angreift. Dazu verlegen wir Stacheldraht und Panzerminen. Die Sperre wird natürlich durch unsere eigenen Soldaten überwacht.“ Mit seinem Finger zeigt er hangaufwärts in eine Schneise. „Dort liegt ein MG-Schütze. Hier kommen die so schnell nicht durch.“ Weiter oben am Berg haben die Gebirgsjäger Stellungen und Alarmposten vorbereitet, überwachen das Gelände.
Plötzlich ist ein Summen am Himmel zu hören – ein Drohne: „Das ist keine Eigene!“, ruft jemand. Sofort gehen die Soldaten in Deckung. Sie fliegt vorbei, hält immer wieder kurz an, fliegt dann wieder ein Stück weiter. „Der Gegner ist schon am Hang gegenüber. Mit dem Flugobjekt will er aufklären, wo unsere Stellungen sind und wie er hier am besten durchkommt.“
Eine Festung bereitet sich vor
Auf der Reiteralpe geht es zu wie in einem Ameisenhaufen: Material zum Stellungsbau wird geschleppt, Maultiere bringen Munition, Wasser und die sogenannten EPAs, Einpersonenpackungen mit einer Tagesration Verpflegung, in die Stellungen. Es wird beobachtet, gefunkt und gemeldet.
Der Angriff der „roten“ Kräfte, gestellt von Gebirgsjägern der Bataillone aus Bischofswiesen und Mittenwald, steht unmittelbar bevor. Zwischendrin Brigadegeneral Maik Keller, Kommandeur der Gebirgsjägerbrigade 23, der als Leitender der Übung zur Dienstaufsicht unterwegs ist und unangekündigt immer wieder zwischen seinen Soldaten auftaucht. „Diese Übung ist eine organisatorische Mammutaufgabe und fordert den Soldatinnen und Soldaten viel ab. Aber nur so können wir das Zusammenspiel untereinander, das Hand-in-Hand-Arbeiten zwischen Kampftruppe, Pionieren, Aufklärern und Versorgern wirklich üben“, erklärt der General die Notwendigkeit dieses Aufwands.
Leise anschleichen und zuschlagen
„Heute bekommen die so richtig was auf die Mütze“, ist sich der Führer der roten Kräfte, ein Major der Gebirgsjäger aus Bischofswiesen, seiner Sache ziemlich sicher. Zwei Tage hatte er Zeit, sein Angriffsziel zu erreichen. Tagelang hat er sich und seine Soldaten darauf vorbereitet. Dann, bereits um 2 Uhr in der Nacht, beginnen seine Soldaten mit der Annäherung an den Gegner. Ausgiebig wurden zuvor Entschlüsse gefasst, Befehle erteilt und bis zu jedem Gruppenführer heruntergebrochen. Spähtrupps haben in den vergangenen Tagen immer wieder Fühlung zum Feind aufgenommen, ihn auf Trab gehalten und dabei wertvolle Informationen gesammelt.
„Ausweichen!“, schreit der Führer eines Spähtrupps der Verteidiger. Der feindliche MG-Schütze lädt durch und schießt los. Er zwingt den Spähtrupp in die Deckung. Die Aufklärer rennen durch das steile Gelände zurück. Dann geben sie ihrem MG-Schützen Deckung, damit auch er sich vom Feind lösen kann. „Wir waren nur zur Aufklärung unterwegs, ohne Kampfauftrag. Dann wurden wir aber vom Gegner überrascht“, schnauft eine Soldatin nach dem Aufstieg zurück zur eigenen Kompanie. „Munition ist alle, aber wir haben keine Ausfälle. Und jetzt wissen wir wenigstens, wo der Gegner steht.“
Das Urteil eines Schiedsrichters
Optimistisch steht ein Soldat aufrecht an der Stacheldrahtsperre. „Wenn unsere Kräfte, die noch weiter vorn auf den Angreifer warten, durch diese Sperre ausgewichen sind, schließe ich sie hinter ihnen. Anschließend werfe ich Nebel und dann werden wir sie hier festnageln.„ Der Gefechtslärm kommt immer näher. Der Führer der „Roten“ scheint keine Sprüche gemacht zu haben. Die Angreifer kommen flott voran und die Kommandoschreie der Anführer liegen schon deutlich in der Luft. Plötzlich kommt ein Übungsschiedsrichter aus dem Nichts. Er zeigt auf die Männer an der Sperre. „Sie, Sie und Sie: ausgefallen! Ein Scharfschütze am Gegenhang. Hätten Sie sich mal besser klein und hässlich gemacht!“ Damit rügt er, dass die Männer nicht im Wald untergezogen sind, sondern sich an der Straße aufgehalten haben – was ihnen in der Übung jetzt zum Verhängnis wurde. Die Sperre bleibt auf. Ein Geschenk für die „Roten“.
Donnerhall im Bergwald
„Männer, die kommen jeden Moment um die Kurve!“, ein Zugführer hat über Funk die letzten Positionsangaben des Feindes erfahren. Nervös kauern seine Soldaten hinter ihren Waffen, beobachten eine Straße. Dem Gegner sind schon große Geländegewinne gelungen, die ihn aber auch abgenutzt haben. Das bedeutet, er musste empfindliche Verluste hinnehmen. Die 3. Kompanie des Gebirgsjägerbataillons 231 hat sich geschickt im Stellungsraum eingerichtet und verteidigt sehr beweglich unter Führung des Kompaniechefs. Der Zugführer läuft seine Stellungen ab, kontrolliert, dass jeder genug Munition trägt und seinen Sektor fest im Blick hat. Oder kommen sie doch durch das mit kleinen Nadelbäumen bewachsene, steile Gelände hinauf?
Plötzlich donnern einige gewaltige Detonationen aus dem eigenen Mörser. Das Echo hallt durch den Bergwald. Von rechts kommt der Hochgebirgsjägerzug als Reserve und stößt dem Gegner in die Flanke. Die Rufe der annähernden Gegner sind verstummt, ebenso das Feuer aus den Handwaffen. „Sie haben schnell reagiert und den Gegner genau getroffen, als er gerade unsere Stellungen angreifen wollte“, meldet der Funker. Der Plan des Bataillonskommandeurs, Oberstleutnant Dennis Jahn, ist aufgegangen. Der Angriff ist abgewehrt. Die Männer und Frauen sichern ihre Waffen mit dem Daumen, klopfen sich auf die Schultern, lassen sich auf den weichen Boden fallen. Der Berglöwe verschnauft.
Leidensfähig und professionell
Am Abend dann die Zeremonie am Berg. Die Übungsteilnehmer sind zum Abschlussappell angetreten, der Brigadekommandeur spricht: „Sie alle mussten in den vergangenen zehn Tagen große Strapazen aushalten und doch hat jeder von Ihnen zu jeder Zeit seinen Auftrag hundertprozentig erfüllt. Was Sie zu leisten imstande sind, körperlich und psychisch, das machen Ihnen nicht viele in der Bundeswehr nach. Ihre Fähigkeiten und Ihre Leidensfähigkeit haben mich schwer beeindruckt“, lobt Keller die Angetretenen. „Ich bin stolz darauf, Sie als Kommandeur führen zu dürfen und bin jederzeit bereit, mit Ihnen in den Einsatz zu gehen, egal wohin und unter welchen Umständen.“