Taurus greift an!
Taurus greift an!
- Datum:
- Ort:
- Sachsen-Anhalt
- Lesedauer:
- 6 MIN
Urbane Räume sind immer häufiger Schauplätze von Konflikten. Bei der Landes- und Bündnisverteidigung oder Einsätzen zur nationalen Risiko- und Krisenvorsorge ist ein Einsatz dort sehr wahrscheinlich. Im Juni 2023 üben Spezialisierte Kräfte des Fallschirmjägerregiments 31 eine sogenannte Handstreichoperation aus der Luft, im urbanen Gelände.
Staub, Laub und selbst kleine Steine wirbeln durch die Luft. Der von den Rotorblättern des Mehrzweckhubschraubers NHNATO-Helicopter-90 erzeugte Abwind peitscht über das Gebäudedach. Im Schwebeflug bleibt die Maschine des Transporthubschrauberregiments 30 über dem Dach des zweigeschossigen Gebäudes stehen. Dachaufbauten lassen eine Landung nicht zu. Jetzt muss es schnell gehen. Ein Lademeister der Crew wirft einen Sack mit einem Fast Rope-Seil auf das zehn Meter tieferliegende Dach.
Das obere Ende des dicken, schwarzen Seils ist in die Winde der Maschine eingehängt. Sekunden später erfasst ein Fallschirmjäger, der in der Tür der Maschine sitzt, das Seil mit beiden Händen, schwingt sich an ihm aus der Maschine, nimmt es zwischen seine Füße und lässt sich daran auf das Dach heruntergleiten. Dort angekommen, geht er mit seinem Gewehr G36KA4 an einer Dachluke in Stellung und sichert diese.
Währenddessen seilen sich seine Kameradinnen und Kameraden in dem als „Fast Rope“ bezeichneten Verfahren einer nach dem anderen aus zwei NHNATO-Helicopter-90 ab. Es dauert nur wenige Minuten, dann hat der gesamte Charlie-Zug der 2. Kompanie „Taurus“ des Fallschirmjägerregiments 31 auf diese Art das Dach des Zielobjekts erreicht und wartet auf den Befehl, mittels einer Zugangssprengung von oben in das Gebäude einzudringen.
Zielobjekt Führungs- und Kommunikationseinrichtung
Im Zielobjekt befindet sich eine feindliche Führungs- und Kommunikationseinrichtung. Es wird auch vermutet, dass sich eine wichtige gegnerische Führungspersönlichkeit derzeit dort aufhält. Auftrag der 2. Kompanie ist es, die Einrichtung zu zerstören und falls möglich, den feindlichen Anführer gefangenzunehmen. Angesetzte Zeit für die Handstreichoperation: 120 Minuten.
Begonnen hatte der Angriff der Kompanie mit der Anlandung ihrer restlichen drei Züge mit NHNATO-Helicopter-90 Hubschraubern. Nach Eintreffen der letzten Welle gingen die Züge dann direkt zum Angriff über, um das Überraschungsmoment zu nutzen. In der ersten Phase des Angriffs waren ihr Ziel drei Häuser in unmittelbarer Nähe zum Primärziel. Sie mussten genommen werden, um den eigentlichen Angriff auf die generische Führungs- und Kommunikationseinrichtung zu ermöglichen.
Jetzt befindet sich der Bravo-Zug in einem Gebäude nördlich des Zielobjekts und der Delta-Zug in einem Gebäude südwestlich. Für den Fall, dass der Feind Verstärkung heranführen will, können die Soldaten der Züge dies mit dem Feuer ihrer Waffen verhindern. Die Soldaten des Alpha-Zuges wiederum befinden sich südlich des Zielobjekts in ihrer Sturmausgangsstellung. Wenn die Kräfte auf dem Dach ins obere Stockwerk eindringen, sollen sie zeitgleich mit einer Zugangssprengung das untere Stockwerk stürmen.
EGBErweiterte Grundbefähigung-Kräfte in der Landes- und Bündnisverteidigung
Aufgrund ihrer Ausbildung und Ausrüstung gehören die Fallschirmjägerkompanien mit Erweiterter Grundbefähigung (EGBErweiterte Grundbefähigung) zu den kampfkräftigsten Truppenteilen der beiden Fallschirmjägerregimenter der Luftlandebrigade 1. Die wiederum gehört zur Division Schnelle Kräfte. Bei der Landes- und Bündnisverteidigung ist eine ihrer Hauptaufgaben das Nehmen von Schlüsselinfrastruktur, wie zum Beispiel Brücken, Führungs- und Funkeinrichtungen. Zudem suchen sie gegnerische Entscheidungsträger, setzen sie fest und unterbrechen gegnerische Verbindungslinien. Zu den zeitkritischen Aufträgen der EGBErweiterte Grundbefähigung-Kräfte gehören auch das Zerstören oder Ausschalten lohnender Ziele in der Tiefe des gegnerischen Raums sowie die Rettung eigener Kräfte bei Isolation und der Kampf gegen eingesickerte feindliche Kräfte im eigenen rückwärtigen Raum.
Im Juni 2023 übt die 2. Fallschirmjägerkompanie EGBErweiterte Grundbefähigung des Fallschirmjägerregiments 31 den Kampf im urbanen Gelände auf einem ehemaligen Militärflugplatz bei Mahlwinkel in Sachsen-Anhalt. Eine Woche lang trainieren die Soldatinnen und Soldaten hier unter anderem das Eindringen in Gebäude nach einer schnellen Anlandung mit Hubschraubern, den Kampf von Raum zu Raum und von Stockwerk zu Stockwerk. Dabei verschaffen sie sich auch Zugang in Gebäude mit sprengtechnischen und mechanischen Mitteln. Ebenfalls auf dem Dienstplan steht der Einsatz als Panzervernichtungstrupp. Highlight der Woche ist die mehrstündige Abschlussübung mit besagter Handstreichoperation in einem Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung.
Zeitgleiches Eindringen im Erdgeschoss und übers Dach
Die Eingangstür wird aufgesprengt. Der Knall der beiden Detonationen ist ohrenbetäubend. Sekunden später dringen die EGBErweiterte Grundbefähigung-Kräfte vom Dach aus und über eine Tür im Erdgeschoss in das Gebäude ein. Raum für Raum wird genommen. Schüsse fallen. Die im Gebäude befindlichen Feindkräfte leisten erbitterten Widerstand, werden aber nach und nach neutralisiert. Dabei kommt es auch auf Seiten der Angreifer zu Verwundeten. Ein Combat First Responder B, ein EGBErweiterte Grundbefähigung-Soldat mit erweiterter Sanitätsausbildung, versorgt einen der Verwundeten in einem Seitenflur, während um die Ecke weitergekämpft wird. Zur Stillung einer stark blutenden Wunde am Arm legt er ein Tourniquet, eine Aderpresse, an. Dann übernimmt ein beweglicher Arzttrupp der Sanitätskompanie des Fallschirmjägerregiments 31 die Versorgung, der direkt den Angriffskräften folgt.
Jackpot – Zielperson festgesetzt
„Eigene, Eigene, Eigene!“, schallt es aus dem Treppenhaus, als die beiden von oben und unten angreifenden Züge miteinander Verbindung aufnehmen. Im Obergeschoss hält sich noch mindestens ein Feind auf. Ein Diensthundeführer der 1. Kompanie des Fallschirmjägerregiments 31 soll nun mit seinem Diensthund den verbliebenen Gegner aufzuspüren. Sofort nachdem er von der Leine ist, rennt der Vierbeiner davon. Schreie, lautes Bellen und Kampfgeräusche ertönen. Hundeführer und EGBErweiterte Grundbefähigung-Soldaten folgen und können problemlos die vom Diensthund überwältigte Person gefangen nehmen. Die Überraschung- bei dem Mann handelt es sich um den gesuchten feindlichen Anführer. Über Funk übermitteln die erfolgreichen Angreifer ihrem Zugführer das vereinbarte Codewort: „Jackpot!“
Ausweichen unter Feinddruck
„Achtung Panzer!“, meldet plötzlich der Bravo-Zug über Funk: „Wir setzen Panzervernichtungstrupp ein!“ Gefechtslärm ist aus nordöstlicher Richtung zu hören, den Stellungen des Zuges. Zusammen mit einem Schützenpanzer führt die feindliche Infanterie einen Gegenstoß durch, dessen Ziel es ist, die von den Fallschirmjägern genommenen Gebäude zurückzuerobern. Der Angriff der Infanteriekräfte wird durch das überlegene Feuer des Bravo-Zuges zum Stehen gebracht. Dann ein lauter Knall. Dort wo sich der Schützenpanzer befindet, steigt eine dunkle Rauchwolke auf. Volltreffer! Der Panzervernichtungstrupp hat den Panzer mit einem Wirkmittel 90 erfolgreich ausgeschaltet. Die Soldaten des Trupps hatten das Fahrzeug umgangen, um es von hinten zu bekämpfen, wo es weniger stark gepanzert ist.
Die 2. Kompanie hat ihren Auftrag erfüllt. Der Chef nutzt die kurze Gefechtspause dazu, den Befehl zum Ausweichen zu geben. Seine Züge lösen sich nun in der befohlenen Reihenfolge vom Feind und weichen überschlagend in Richtung Landezone aus. Doch der Feind setzt nach. Immer wieder kommt es zu Feuergefechten. Die zuletzt ausweichenden Züge der Kompanie führen mehrfach Gegenstöße durch, um die nachstoßenden Feindkräfte zu stoppen.
In der Landezone hat mittlerweile das Ausfliegen der ersten Kompaniekräfte begonnen. Soldaten halten orangefarbene Sichtzeichen hoch. Die Piloten der NHNATO-Helicopter-90 wissen daher, wo sie landen sollen. Beim Aufsetzen der Maschinen verschwinden diese in dicken Staubwolken. Dann geben die Lademeister das erwartete Handzeichen zum Besteigen der Hubschrauber. Sofort laufen die Soldaten, die in Gruppen am Rand der Landezone warten, zu den Maschinen und gehen so schnell wie möglich an Bord. In der ersten Welle werden auch die Verwundeten und Gefangenen ausgeflogen. Mit den nächsten Wellen folgen dann nach und nach die Kräfte der vier Züge der Kompanie. Nach Abheben der letzten Maschine meldet der Chef der 2. Kompanie EGBErweiterte Grundbefähigung des Fallschirmjägerregiments 31 über Funk: „Alle Kräfte Taurus aufgenommen, Auftrag ausgeführt!“