Statt Pool und Palmen, Schweiß und Kampf
Statt Pool und Palmen, Schweiß und Kampf
- Datum:
- Ort:
- Münster
- Lesedauer:
- 4 MIN
Ein Hafenarbeiter, eine Doktorandin und ein Beamter des Ordnungsamtes treffen sich im Wald – zum Gefechtsdienst. Bei der Übung Wehrhafter Keiler trainieren circa 100 Reservistendienstleistende des Unterstützungsbataillons Einsatz 1 aus Oldenburg gemeinsam. In zwei Wochen üben sie das Kämpfen im Wald und in Ortschaften bis hin zum scharfen Schuss.
Ein wuchtiges Frachtschiff legt langsam vom Hafen ab und gibt mit seinem Horn dröhnende Laute von sich. Sven Braatz, angestellter Hafenarbeiter, sieht den Frachter durch ein Fenster Richtung Horizont verschwinden. Zufrieden klappt er den Laptop zu und verlässt sein Büro.
Es ist Freitagnachmittag und er hat sich für zwei Wochen eine unbezahlte Auszeit von seinem Beruf genommen. „Den Verdienstausfall erstattet mir die Bundeswehr, sodass ich keine finanziellen Nachteile erleide“, sagt der gebürtige Norddeutsche während der Fahrt ins nordrhein-westfälische Rheine. Denn statt Pool, Palmen und Cocktails erwarten ihn Schweiß, Entbehrung und ohrenbetäubender Gefechtslärm. Sven Braatz ist Oberstabsgefreiter der Reserve und Teilnehmer an der Übung Wehrhafter Keiler 2021.
Schieß- und Marschausbildung
Bei der Schießanlage in Rheine angekommen, werden die Grundlagen aufgefrischt: korrekter Umgang mit der Waffe und das Zusammenspiel innerhalb der kleinen Kampfgemeinschaft. Außerdem findet eine Schießausbildung mit den Gewehren G36 und G3 sowie der Pistole P8 statt. „Alle Soldaten der 2. Kompanie sind bereits ausgebildete Infanteristen“, sagt der Oberstabsgefreite und empfängt ein neues Magazin mit Munition für das nächste Schießen. „Die unausgebildeten Reservisten werden in der 1. Kompanie an drei Wochenenden innerhalb eines Jahres und abschließend auf einer zweiwöchigen Übung zum Infanteristen ausgebildet“, fügt er hinzu.
In Gruppen zu je fünf bis sechs Personen fahren die Männer und Frauen der 2. Kompanie verteilt auf mehrere Transportfahrzeuge los. Marschausbildung. Das Ziel: der Übungsplatz im 50 Kilometer entfernten Münster. „In einem realen Kriegsszenario ist es unsere Aufgabe, den Gefechtsstand der 1. Panzerdivision zu sichern und auch die dazugehörige Infrastruktur“, sagt Braatz während er seine, von Schweiß verwischte, schwarzgrüne Gesichtstarnung erneuert.
24 Stunden in einem Versteck
Der Auftrag in Münster: Sicherung einer Eisenbahnverladerampe. Aus seiner zugewiesenen Stellung erkennt der Oberstabsgefreite eine Drohne am Himmel. Keine Minute später detonieren Übungssprengsätze. „Artilleriebeschuss! Deckung!“, brüllt sein Gruppenführer. Unter gegenseitiger Sicherung kämpft sich seine Gruppe in ein nahegelegenes Waldstück. Dort müssen die versprengten Soldaten für 24 Stunden allein ausharren. Zwischen herumkriechenden Asseln und Spinnen gibt es eine aufgewärmte Mahlzeit aus der Notfallration. Bevor es dunkel wird, hat Braatz sein Versteck fertig ausgebaut: Eine Zeltplane und ein Brombeerbusch schützen vor der Aufklärung vom Boden und aus der Luft.
Kein Feuer ohne Bewegung
Hüfthohe Nebelschwaden schweben über den durch Tau durchnässten Waldboden in der Morgendämmerung. Oberstabsgefreiter Braatz verpackt seine Ausrüstung und verlässt sein Versteck. Die Gruppe sammelt sich und ist bereit für den nächsten Ausbildungsabschnitt: Waldkampfformation. Dabei durchkämmen drei Gruppen zu je fünf Soldaten gemeinsam den Wald. Äste knacken, Vögel zwitschern, die Baumkronen wippen über den sich langsam vorwärts bewegenden Soldaten. „Zwo feindliche Schützen in Stellung“, hallt es durch den Wald. Sofort feuert die vorderste Gruppe auf den aufgeklärten Feind. Der Oberstabsgefreite und zwei weitere Soldaten erhalten den Auftrag, flankierend anzugreifen. Ein kurzes Kampfgespräch und Sven Braatz sprintet los. Unter Ausnutzung der Deckung eines Hanges nähert er sich den feindlichen Schützen von der Seite. „Kein Feuer ohne Bewegung, keine Bewegung ohne Feuer ist der Grundsatz. Das heißt eine Gruppe gibt Deckungsfeuer, die andere versucht, in die Flanke des Feindes zu kommen“, sagt Braatz keuchend, während der Übungsunterbrechung.
Gebäude feindfrei!
Die drei Gruppen erreichen ihr Marschziel: ein vom Feind besetztes Gebäude. Ein lauter Pfiff und die Geschosssalven zweier Maschinengewehre geben Deckungsfeuer. Zeitgleich sprintet Braatz mit seiner Gruppe zum Eingang. Er nickt seinem Kameraden zu und flüstert: „Fertig“. Blitzschnell verschwinden die Soldaten nacheinander im Gebäude. „Links frei, rechts frei, Raum frei“, hallt es immer wieder durch den langen Hausflur. Raum für Raum, Etage für Etage kämpft sich das inzwischen eingespielte Team durch das Gebäude. Am Ende zeigt ein grünes Tuch am Eingang: Gebäude feindfrei. Krönender Abschluss der Übung ist am letzten Tag ein Gruppengefechtsschießen im scharfen Schuss.
„Es war geil, mal wieder raus aus der Stadt zu kommen, einen Kontrast zum Alltag zu haben, ohne Technik, Handy oder sonstigen Schnickschnack und dann zusammen mit weiteren Kameraden Gefechtsdienst zu leisten. Jetzt erkläre ich meinen Kollegen erst einmal, was ich die zwei Wochen überhaupt gemacht habe“, sagt Oberstabsgefreiter der Reserve Sven Braatz, während ein Frachtschiff am Hafen anlegt und er an seinem Laptop die nächste Schiffsbeladung plant.