Sohn, Kamerad, Ruhepol
Sohn, Kamerad, Ruhepol
- Lesedauer:
- 5 MIN
Hauptfeldwebel Andreas Rückewoldt wäre beinahe an den Auswirkungen seiner Krankheit gescheitert. Sein Sohn Adrian, der nach anfänglicher Trennung zu ihm zurückkehrte, versteht und unterstützt ihn. Das hilft dem Vater sehr auf den Weg zurück ins Leben. Der Sohn berichtet:
Mein Name ist Adrian Rückewoldt. Ich bin 21 Jahre alt und Oberstabsgefreiter in der 2. Kompanie des Panzerpionierbataillons 1 in Holzminden. Mein Vater ist Hauptfeldwebel Andreas Rückewoldt. Er dient im selben Bataillon, ist hier Lotse und hat PTBSPosttraumatische Belastungsstörung, eine Krankheit, die damit auch Teil meines Lebens ist.
Dass mein Vater krank ist, bekam ich zum ersten Mal mit, als ich neun Jahre alt war. Es war 2009, als sich meine Eltern trennten. Mein Vater wurde immer schnell sehr aggressiv. Nicht körperlich, sondern in der Art, wie er sprach. Es lag da so ein Ton in seiner Stimme. Seine Zündschnur war immer sehr kurz und dann fuhr er extrem hoch. Nach der Trennung wurde es immer schlimmer. Ich lebte bei meiner Mutter, ungefähr 200 Kilometer von meinem Vater entfernt. Von meinen Großeltern hörte ich immer wieder, dass es meinem Vater zunehmend schlechter ging, dass er zu viel trank und sich von anderen zurückzog. Wenn ich ihn besuchte, fiel es mir auch auf. Waren wir bei Freunden zu Besuch, dann trank er zu viel und es gab immer nur das gleiche Thema: Einsätze, Einsätze und nochmals Einsätze. Mir war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Also entschloss ich mich, zu ihm zu ziehen und bei ihm zu sein. Ich wollte ihm ein Ruhepol und eine Stütze sein.
Natürlich war das auch für mich eine schwere Zeit. Ich war in der Pubertät. Da hat man auch seine eigenen Probleme. Aber es war mir wichtig, mich um meinen Vater zu kümmern. Ich bin froh, dass ich damals diese Entscheidung traf, wenn ich sehe, wie es ihm heute geht. Ich bat damals meinen Vater, mir einen Hund zu kaufen. In Wahrheit war der gar nicht für mich, sondern für ihn. Er brauchte Ablenkung. Mit dem Hund rausgehen, zusammen ins Kino gehen, eben einfach gemeinsam Zeit verbringen, das war, was ich meinem Vater bieten konnte und was ihm auch ein bisschen geholfen hat.
In der Familie die Ursache erkannt
Es gab dann aber den Punkt, an dem das alles nicht mehr reichte. Mein Vater hatte mittlerweile eine neue Partnerin. Eines Abends hatte er wieder getrunken. Er wollte ins Auto steigen und wegfahren. Meine Stiefmutter und ich redeten auf ihn ein und mussten ihn schlussendlich aus dem Auto ziehen. Uns beiden war klar, dass wir aktiv etwas unternehmen mussten. Meine Stiefmutter kam dann auf die Idee, dass das Alkoholproblem mit den Einsätzen zusammenhängen könnte. Sie kam erst nach den Einsätzen mit ihm zusammen. Ich war zu jung, um mich an die Zeit davor zu erinnern. Also fragten wir meine Oma und seine Kumpels von früher. Eine Mutter merkt natürlich, wenn sich ihr Sohn verändert. Unseren Verdacht hat das dann bestärkt. Schließlich war es meine Stiefmutter, die sich an die Bundeswehr und an Kameraden wie den Oberstabsfeldwebel Simolka wandte. Das war der Einstieg in die Therapie.
Seit 2019 bin ich selbst Soldat. Für mich gab es immer nur zwei mögliche Berufe: Polizist oder Soldat. Da vor meinem Vater schon mein Großvater und Urgroßvater Soldaten waren, war es für die Familie wenig überraschend, dass auch ich Soldat wurde. Seit mittlerweile viereinhalb Jahren diene ich in Holzminden bei den Pionieren. Die Erkrankung meines Vaters hat meinen Entschluss wenig bis gar nicht beeinflusst. Sie hat mich allerdings schon frühzeitig auf die Themen Tod und Verwundung aufmerksam gemacht. In diesem Bereich engagiere ich mich schon länger. Ich bin auch Mitglied in seinem Motorclub, in dem er ehemalige Soldaten zusammenführt. Dort erleben sie den Rückhalt, den sie aus der Truppe kennen und das holt sie ins normale Leben zurück.
Der Dienst gibt Struktur
In Holzminden habe ich die Möglichkeit, wenn es darauf ankommt, bei meinem Vater zu sein. PTBSPosttraumatische Belastungsstörung kann nicht geheilt werden, aber die Krankheit kann sich bessern. Meinem Vater hilft es, wenn er jemanden bei sich hat, auch wenn er keinen gebrauchen kann, der ihm ständig auf die Finger schaut. Als ich 2022 in den Einsatz nach Litauen ging, war das für ihn schwer. Das habe ich deutlich gemerkt. Zwei Wochen vor dem Einsatz wurde er immer nervöser. Er wollte mich häufiger in seiner Nähe haben. Wir gingen zusammen ins Kino und zum Essen. Während des Einsatzes telefonierten wir und schrieben uns. Auch mit meiner Stiefmutter blieb ich in engem Kontakt. Das alles hat ihm schon viel von der Last und den Sorgen genommen. Meiner Ansicht nach leisten die Therapien der Bundeswehr sehr viel. Der Dienstalltag gibt darüber hinaus Struktur und Aufgabe. Aber abends, außerhalb des Dienstes, ist niemand da. Das ist der Zeitpunkt, an dem Familie und Freunde bei uns besonders wichtig werden.
Bald wird mein Vater die Bundeswehr verlassen, dann muss er auch ohne dieses feste Gefüge klarkommen. Auch wenn er es weit zurück ins Leben geschafft hat, gehen ihm die Bundeswehr und seine Arbeit als Lotse über alles. Leider vergisst er dabei viel zu häufig sich selbst. Ich hoffe für ihn, dass er danach wieder eine Aufgabe findet, die ihn auch weiterhin ausfüllt. Am besten im Umgang mit Veteranen. Ob in seinem Motorradclub oder bei den Invictus Games, hier sehe ich ihn zufrieden. Hier fühlt er sich eingebunden und gebraucht. Überhaupt sah ich ihn bei den Invictus Games in Toronto 2017 zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit wieder so richtig lachen. Wir waren seither bei allen Spielen. Dort geht es nicht ums Gewinnen. Dort geht es um Anerkennung, und die ist extrem wichtig. Nicht nur für die Erkrankten selbst, sondern auch für die Familien. Denn hinter jedem Versehrten stehen auch andere Menschen, nämlich Freunde, Kameraden und ganz besonders die Familienangehörigen.