Heer
3.500 Meter über Portugal

Der taktische Freifall

Fallschirmjäger trainieren in Tancos. Dabei zählt jedes Detail - von der Ausrüstung bis zum Sprung.

Ein Fallschirmjäger nähert sich im Sonnenuntergang dem Boden.

Eine kleine Airbase im Landesinneren Portugals beherbergt für zehn Tage 107 Soldatinnen und Soldaten der Luftlandebrigade 1. Auf dem Dienstplan: die taktische Verbringungsart Freifallspringen. Wir zeigen, was sich hinter dieser Fähigkeit verbirgt.

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  • Ein weißes Towergebäude mit Antennen auf dem Dach. Links und rechts grenzen Hangarhallen an den Tower.
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    Im Hangar

    In einem Hangar, so groß wie ein Fußballfeld, haben die Soldatinnen und Soldaten ihr Lager aufgeschlagen. Von hier aus starten die Fallschirmjäger ihren Sprungdienst. Im Speziellen geht es um die Freifallweiterbildung. Im Militärischen ist es die höchste Ausbildungsstufe, die ein Fallschirmjäger im Sprungdienst erreichen kann. Große Planen bedecken den Boden. Auf den ersten Blick wirkt es etwas chaotisch. Der Eindruck täuscht allerdings. Denn links und rechts der Planen, auch Packmatte genannt, hat jeder Freifaller seinen eigenen kleinen Platz. Zwischen Gurtzeug, Fallschirmen und Ausrüstung stehen Campingstühle. Denn die Wartezeit zwischen den Sprüngen ist für die Soldaten auch gleichzeitig eine kurze Erholungsphase. Einige bereiten ihre Ausrüstung vor, andere lesen oder texten mit der Heimat. Trotz der vielen Soldaten ist es in der Halle leise. 

    Die entspannte Stimmung wird immer wieder durch donnernde Propellergeräusche und die Zurufe des Flugplaners durchbrochen. „In zehn Minuten will ich die Ladelisten bei mir haben. Beginn des Boardings ist 0900“. Auf der Landebahn vor der Halle trifft der Airbus A400M ein.

  • Ein Soldat mit Trageausrüstung setzt sich in einer Halle einen Helm mit Gehörschutz auf. Sein Blick ist konzentriert.
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    Anspannung liegt in der Luft

    Der Truppführer kehrt vom Briefing zur Packmatte zurück. „Jungs, wir sammeln bei mir, ich weise euch in die Landezone ein.“ Jeder schnappt sich sein Navigationsträger (ein schwarzes Stahlgestell mit Kompass und Schriftfeld) und hockt sich erwartungsvoll neben den Truppführer. Der hat bereits seine Unterlagen und sein Handy vor sich ausgebreitet. Kein Detail wird dem Zufall überlassen. Jeder soll wissen, wann was passiert und wie das Verhalten in der Luft sein soll. Eine gewisse Anspannung liegt in der Luft. Trotzdem ist die Befehlsausgabe auf Augenhöhe fast schon familiär.
    „Auf geht’s Männer, Schirme anlegen!“

    Im Gegensatz zu einem zivilen Fallschirmsprung in leichter Funktionskleidung kommen hier pro Soldat 30 Kilogramm Ausrüstung ohne Gepäck zusammen. Somit dauert es 15 bis 20 Minuten bis die taktische Ausrüstung angelegt ist.

  • Die Ausrüstung eines Soldaten liegt ausgebreitet auf einer grünen Plane in einer Halle.
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    Die komplexe Ausrüstung

    Zur Ausrüstung, die die Fallschirmjäger am Körper tragen, zählen neben der Uniform eine taktische Weste mit vielen Taschen, auch Chest Rig genannt. Handschuhe, Höhenmesser, eine Schutzbrille und ein Schlauchschal dürfen ebenfalls nicht fehlen. Um den Kopf zu schützen, tragen die Spezialisten einen Gefechtshelm mit Gehörschutz und Nachtsichtgerät. Zum Navigieren in der Luft nutzen die Soldaten Navigationsträger. So wird das schwarze Stahlgestell mit Kompass, GPSGlobal Positioning System-Gerät und Schriftfeld genannt. Dieses wird vor die Brust geklemmt. Somit sind beide Hände zum Lenken des Fallschirmes frei. Der Fallschirm wird auf dem Rücken getragen und mit Bein-, Schulter- und Brustgurten am Körper befestigt. Ein Packsack, um den Fallschirm nach der Landung zu verstauen, wird ebenfalls mitgeführt. Außerdem gehören die Bewaffnung sowie ein Funkgerät zur Ausstattung der Freifaller.

  • Ein Soldat mit Helm und Tuch im Gesicht steht mit hochgehaltenen Händen vor einem Soldaten, der die Ausrüstung kontrolliert.
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    Ohne Netz, aber mit doppeltem Boden

    Der Fallschirm ist die einzige Überlebensgarantie während des freien Falls aus dem Luftfahrzeug. Das Leben jedes Einzelnen hängt an dünnen Leinen und hauchdünnem Stoff. Ein Fehler beim Packen des Schirmes oder beim Anlegen der Ausrüstung kann das Leben kosten. Also wird doppelt kontrolliert. Zuerst prüfen sich die Kameraden aus dem Trupp gegenseitig, ob die Ausrüstung korrekt angelegt ist. Dann erfolgt, bevor es zur Maschine geht, an der sogenannten Schleuse eine letzte Kontrolle am Boden. Dem Ausbildungsleiter am Hangartor entgeht kein Detail. Er kontrolliert, ob alle Gurte richtig sitzen und alle Verbindungen des Fallschirms richtig geschlossen sind. Er überprüft, ob die persönliche Ausrüstung richtig fest ist und ob der Soldat an alle Bedienelemente des Schirmes herankommt. Zum Schluss wirft der Ausbildungsleiter einen Blick auf den Fallschirmbehälter. Dieser muss richtig verschlossen sein und der Reserveschirm muss ordnungsgemäß geöffnet werden können. 

  • Fallschirmspringer laufen in einer Zweierreihe zu einem Flugzeug.
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    Ready for take off!

    Der Airbus A400M steht mit geöffneter Heckrampe bereit. Die Fallschirmjäger steigen in die Maschine, militärisch: Sie beschuffeln den A400M. Alle Spezialisten haben ihren Platz eingenommen und die Maschine startet. 20 Minuten bis zum Absprung, dem Exit. Noch während des Steigfluges stellt sich der sogenannte Absetzer, ein Soldat, der für den sicheren Ablauf des Sprunges sorgt, vor die Soldaten und macht klatschend auf sich aufmerksam. Den Fallschirmjägern wird per Handzeichen die verbleibende Zeit bis zum Öffnen der Rampe gezeigt. Danach herrscht eine angespannte, aber auch ruhige Atmosphäre in der Luft. Einige nutzen die verbleibende Zeit, um kurz die Augen zu schließen, andere gehen noch einmal die Flugroute nach dem Absprung durch. Man merkt den Kameraden an, dass hinter ihnen ein langer Weg der Sprungausbildung liegt und die Aufregung vor dem Sprung längst nicht mehr so groß ist, wie vor dem ersten Exit ihrer Fallschirmjägerkarriere. Jeder dieser Männer ist Profi auf seinem Gebiet. Sie bringt ein Sprung aus 3.500 Metern Höhe kaum noch aus der Fassung. Trotz der Gelassenheit kann man den Respekt gegenüber dem Schirm und der Höhe spüren. Viele von ihnen sagen, dass dieser Respekt auch immer mitspringen muss, sonst wird es gefährlich.

  • Eine Gruppe von Fallschirmspringern steht auf einer geöffneten Heckrampe. Ein Soldat ist gerade abgesprungen.
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    Die Ampel springt auf grün und es heißt Exit

    Das nächste Klatschen des Absetzers übertrumpft die lauten Maschinengeräusche des Flugzeuges. Er zeigt an, dass die Rampe sich öffnet und die Freifaller sich zum Absprung vorbereiten und aufstellen sollen. Jetzt sind es noch zwei Minuten bis zum Absetzpunkt. Alle Mitglieder des Trupps sind fokussiert. Der Truppführer geht zielgerichtet zur Kante, hebt die Arme für die Absprunghaltung und kippt von der Rampe. Als wäre es das Normalste der Welt, aus einem Flugzeug in 3.500 Meter Höhe zu fallen. Sofort folgt der Rest des Fallschirmjägertrupps, einer nach dem anderen springt ab. Das Adrenalin schießt durch die Adern und der Puls steigt an.

  • Fallschirmspringern fliegen in einer Reihe an geöffneten Gleitfallschirmen in der Luft über hügelige grüne Landschaft.
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    Stille und rundherum nichts

    Mit rasender Geschwindigkeit nähern sich die Springer dem Boden, den Höhenmesser fest im Blick. Denn ab jetzt zählt jedes besprochene Detail aus der Befehlsausgabe: die Öffnungshöhe des Schirmes, Flugrichtung und das schnelle Sammeln des Trupps. Denn Ziel ist es, gemeinsam als Trupp die Landezone zu erreichen. Das bedeutet für die Fallschirmjäger dauerhafte Konzentration während der Truppfahrt, so wird die gemeinsame Gleitphase genannt. Niemand darf seinen Vordermann verlieren oder tiefer fliegen als der Rest der Gruppe. Jede kleineste Fehlentscheidung eines einzelnen Freifallers kann Auswirkungen auf die Gleitphase, den Auftrag am Boden oder im schlimmsten Fall auf die Gesundheit der Kameraden haben. Viel Zeit zum Genießen der wunderschönen Aussicht bleibt da nicht.

  • Zwei Fallschirmspringer schweben an geöffneten Fallschirmen über sandigen Boden. Ein dritter Soldat beobachtet sie.
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    Fertig machen zur Landung!

    Alle besprochenen Daten und Anweisungen haben funktioniert. Die Spezialisten erreichen vollzählig die Landezone. Sie steuern ihren Schirm so, dass sie langsam und weich den Boden unter den Füßen zurückgewinnen können. Mit der Landung geht der eigentliche Job allerdings erst los. So schnell wie möglich muss der Fallschirm verpackt werden. Dabei darf die nötige Sorgfalt nicht vernachlässigt werden.

    Ein Fallschirmspringer hockt vor dem Fallschirm auf sandigem Boden. Er flicht aus den Leinen des Fallschirmes einen Zopf.

    Nach der Landung müssen die Fallschirmjäger den Fallschirm schnell, aber dennoch ordentlich verpacken

    Bundeswehr/Julia Dahlmann

    Denn für das spätere Packen wird eine Menge Zeit gespart, wenn der Fallschirm in der Landezone möglichst ohne große Verknotungen der Leinen in den Packsack befördert wird. Wenn das geschehen ist, muss sich der Trupp wieder zusammenfinden. Denn die einzelnen Soldaten landen oft mit mehreren Hundert Metern Abstand zueinander. Wenn das geschafft ist, folgen weitere Befehle zum Folgeauftrag. In diesem Fall ist der Folgeauftrag die Rückverlegung zur Airbase, um den Fallschirm neu zu packen. Denn der nächste Sprung steht bereits auf dem Plan.

  • Soldaten stehen in einer Halle auf einer großen, grünen Plane. Sie bereiten den Fallschirm vor sich aus.
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    Geduld und Schweißperlen

    Zurück auf der Packmatte heißt es nun, den Schirm auf die Größe einer Sporttasche zu falten. Jeder Spezialist packt seinen Fallschirm selbst. Nach Hunderten von Sprüngen und einem speziellen Ausbildungsabschnitt beim Freifalllehrgang sitzt jeder Handgriff. Leichter wird es deswegen jedoch nicht. Für einen Laien sieht alles nach reinem Chaos aus, nachdem der Schirm ausgebreitet ist. Leinen und Schirmstoff liegen durcheinander. Doch bei genauem Hinsehen kann man ein System erkennen. Denn nach der Landung wurden die ganzen Leinen zu einem Zopf geflochten, um ein wahlloses Verknoten zu verhindern.

  • Ein Soldat steht in einer Halle mit weißen Leinen über die Schultern.
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    AOK – auslegen, ordnen, kontrollieren

    Am Anfang steht das Ausbreiten des Schirmes und das Lösen des Zopfes. Dabei werden kleine Äste, Dornen oder Steine aus dem Schirm entfernt. Denn all das kann zu einer Beschädigung führen. Danach werden sämtliche Leinen auf Verknotungen kontrolliert. Bei fast 40 Quadratmeter Stoff ist es für den Fallschirmjäger nicht einfach, den Überblick zu behalten und den Schirm von Beginn an sortiert zu packen. Das bedeutet: Leinen müssen auf Leinen liegen und der Stoff wird auf spezielle Weise gefaltet und eingedreht. Nur so ist gewährleistet, dass sich später alles ordnungsgemäß öffnet. Kuschelphase: Die Situation nach dem Falten des Schirmes ist vergleichbar mit der Aufgabe, eine viel zu große Zeltplane eines Igluzeltes in eine viel zu kleine Tasche zu packen. Ständig füllt sich alles mit Luft und dann ist sie genau in den Ecken, wo sie nicht sein soll. Um die Luft aus dem Schirm zu bekommen, nutzen die Soldaten ihr Körpergewicht. Denn bei der augenscheinlich viel zu kleinen Tasche zählt jeder Zentimeter.

  • Ein Soldat sitzt in einer Halle auf einer Plane. Er hält weiße Leinen in den Händen und legt sie auf eine schwarze Tasche.
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    Die letzten Züge gehen nur mit Fingerspitzengefühl

    Nachdem der ganze Schirmstoff in der Tasche, dem POD (Parachute Opening Device), also dem inneren Verpackungssack des Schirmes, verstaut ist, bleibt die Frage: wohin mit den ganzen Leinen? Sie werden auf dem POD mit Gummis, die an der Schirmtasche verbaut sind, befestigt. So können die Leinen nicht mehr verrutschen und das Packgefäß ist gleichzeitig verschlossen. Eine Aufgabe, die dank der straffen Gummis auf die Finger geht. 

    Geschafft. Der gepackte Schirm wird zusammen mit dem Hand Deploy, also dem Hilfsschirm zum Öffnen des Hauptschirmes, verpackt. Im Fallschirmrucksack befindet sich gleichzeitig auch der Reserveschirm. 

    Alles ist für den nächsten Sprung vorbereitet. 

    von Julia Dahlmann

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