„Schütze, geradeaus, 500, feindliches Fahrzeug!“
„Schütze, geradeaus, 500, feindliches Fahrzeug!“
- Datum:
- Ort:
- Lehnin
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Ein lauter Knall erschüttert die flache brandenburgische Landschaft. Blitzartig steigt eine grau-schwarze Rauchwolke auf. Motoren heulen auf, der sandige Boden wird aufgewirbelt. Von der gelblichen weitläufigen Graslandschaft mit den kleinen Häuschen, Hügeln und Bäumen ist vor lauter Staub nichts mehr zu sehen.
Aus der Staubwand tauchen drei gepanzerte Geländetransportfahrzeuge Hägglunds BV 206 S auf und rasen auf die Beobachter im Hintergrund zu. Ein Infanteriezug ist während des Marsches in einen Hinterhalt geraten und auf eine Sprengladung aufgelaufen. Maschinengewehre rattern. Hauptmann Andreas E., Chef der 4. Kompanie des Gebirgsjägerbataillons 233, beobachtet hinter einem Berg von Autoreifen, wie seine Soldaten auf diese überraschende Situation reagieren. Die Übung trägt seine Handschrift. „Der Zug reorganisiert sich, die Fahrzeuge bauen die Verteidigungslinie neu auf“, erläutert der Hauptmann aus dem bayerischen Mittenwald in der Nachschau. Ebenso an vorderster Front beobachtet interessiert und mit kritischem Blick der Kommandeur der 10. Panzerdivision, Generalmajor Ruprecht von Butler, den Verlauf der Übung, und spricht mit dem Kompaniechef. Für den General ist es ein weiterer Punkt seiner Dienstaufsicht an diesem Tag auf dem Truppenübungsplatz Lehnin.
Staubig-heiße Tage, kühle Nächte
Für die 4. Kompanie ist es der dritte Tag, an dem sie einsatznah übt. Die Soldatinnen und Soldaten haben zwei Nächte draußen verbracht in ihren Fahrzeugen oder im Schlafsack und auf Feldbetten. Die Nacht sitzt ihnen in den Knochen. Hinzu kommt, dass sie bereits die zweite Woche trainieren. In dieser Zeit haben die Soldaten körperlich fordernde Waldkampfbahn- und Schießausbildungen durchlaufen. Nun am Mittag ist die Luft heiß und staubtrocken – typisch für den Landstrich südlich von Potsdam.
Der Übungsplatz Lehnin ist für das Gebirgsjägerbataillon 233 quasi eine zweite Heimat geworden. Das verwundert, denn das flache und sandige Land in der Mark Brandenburg mit seinen Kiefernwäldern hat nichts mit der engen und zerklüfteten bergigen Heimat der Mittenwalder Jager zu tun. In erster Linie seien es die vielfältigen Möglichkeiten zur infanteristischen Ausbildung, so Stabsfeldwebel Matthias B., die das Bataillon immer wieder nach Lehnin führen. Obwohl er mit seinen rund 7.500 Hektar eher zu den kleineren Truppenübungsplätzen Deutschlands gehört, bietet Lehnin wegen seiner großen Waldflächen ideale Voraussetzungen für den Waldkampf sowie mit seinen weiträumigen Schießanlagen mit unterschiedlicher Bebauung optimale Bedingungen für den Orts- und Häuserkampf. „Selbst größere Sprengungen zu Übungszwecken sind möglich“, erklärt der Stabsfeldwebel.
Übungsplatzverwaltung versteht sich als Dienstleister
Das Bataillon reizt die unterschiedlichen Möglichkeiten des Feuereinsatzes auch aus: Die Planer seien bemüht, die Übungen so realistisch wie möglich anzulegen, damit die Soldaten den Einsatz aller Schusswaffen beherrschen lernen und diese im Gefecht auch anwenden können, so B. Dabei stoßen die Mittenwalder Jager bei der Übungsplatzverwaltung auf offene Ohren, das gegenseitige Vertrauen ist groß: „Die Mitarbeiter versuchen alles, was die Truppe plant, soweit es geht, zu ermöglichen. Sie sehen sich als Dienstleister für die Truppe“, lobt der Stabsfeldwebel, „Die Feuerwerker sind jedes Mal begeistert, wenn sie mitbekommen, was wir vorhaben.“
Zusatzmodul Orts- und Häuserkampf
Davon profitiert nun auch die 2. Kompanie, die aktuell im Mittenwalder Bataillon die Spezialgrundausbildung (SGA) absolviert. Dazu gehören der Orts- und Häuserkampf auf der Ortskampfanlage sowie ein Gruppengefechtsschießen im Zugrahmen. „Diese Ausbildung ist nicht in der Spezialgrundausbildung enthalten. Sie ist ein Zusatzmodul, das die Gebirgsjägerbrigade 23 vorgegeben hat“, erklärt der Chef der 2. Kompanie, Hauptmann Hermann P. Überraschungseffekte dabei sind Sprengungen, die plötzlich inmitten der Häuseranlagen explodieren. Die Gruppen müssen ausweichen und die Verteidigung aus anderen Stellungen fortsetzen. Von Butler schaut ebenfalls bei dieser Übungseinheit vorbei. Der Generalmajor lobt das hohe Niveau des Kenntnisstands der Hauptgefreiten in der Einheit.
Dreharbeiten für einen BBC-Bericht
Doch selbst das Schulschießen ist dieses Mal außergewöhnlich: Ein Fernsehteam der BBC, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Großbritannien, begleitet die 2. sowie die 5. Kompanie für einen Tag. Gedreht wird für einen Beitrag der BBC-Reihe „Newsnight“ mit dem Thema: „Wie der Ukrainekrieg die deutsche Außenpolitik verändert hat“ (How the Ukraine war has shifted German foreign policy). Obwohl manche Stellungen ziemlich eng sind, versteht es das Kamerateam, sich geschickt hineinzuquetschen, ohne die Soldaten bei ihrer Übung zu stören. Gedreht werden die Schießübungen der Rekruten mit der Maschinenkanone (MK) auf dem leicht gepanzerten Waffenträger Wiesel.
Die jungen Soldaten schießen statisch aus Stellungen und holen mit ihren Wiesel Munition direkt vom Depot ab und fahren wieder in die Stellungen. Während die anderen Kompanien in der festen Unterkunft an der Kommandantur des Truppenübungsplatzes nächtigen, bleibt der MK-Zug die ganze Zeit draußen auf den Schießbahnen, untergezogen in verschiedenen Gebäuden mit Feldbett und Schlafsack.
Schießen nach Zahlen
„Jäger, wann fiel die Mauer?“, ruft der Ausbilder den Soldaten an, der mit dem Rücken mit seiner Waffe in Patrouillenstellung zu einer Holzwand steht. In dieser Holzwand sind unterschiedliche geometrische Formen herausgesägt, Dreieck, Quadrate und Rechtecke mit unterschiedlichen Winkeln und Breiten. An den Löchern sind Zahlen von eins bis acht angebracht. Der Soldat überlegt kurz und antwortet: „1989“. „Richtig“, ruft der Ausbilder, und der Soldat dreht sich um. Sein Blick sucht das Loch mit der Nummer „1“. Ein schmales, schräg hochstehendes Rechteck in 1,80 Meter Höhe ist gerade noch zu erreichen. Die anderen Zahlen sind da schon anspruchsvoller. Vor allem die unteren Löcher an der Stellungswand verlangen den Soldaten viel Körpergeschicklichkeit und Beweglichkeit ab. „Die Soldaten sollen befähigt werden, in jeder Stellung mit unterschiedlichem Anschlag zurechtzukommen“, erklärt der Chef der 1. Kompanie, Dennis A. Die Übung wird kombiniert mit Denksport- und Rechenaufgaben. Das gemeinsame Schießen sei für die Soldaten der 1. Kompanie etwas Besonderes, unterstreicht Hauptmann A.
Vertrauen in die Kameraden festigen
Nach langer Zeit übt die 1. Kompanie mit allen Teileinheiten wieder zusammen: Denn, ob Truppenküche, Versorgung oder Feldmelder – die Teileinheiten sind meist in andere Übungen oder Aufträge eingebunden, die Soldaten sehen sich im Dienst kaum untereinander. So können sich in Lehnin die alten Hasen und die Frischlinge über alle Teileinheiten hinweg gegenseitig kennenlernen. „Für das Kompaniegefüge wirkt der Truppenübungsplatzaufenthalt positiv nach“, beobachtet der Kompaniechef.
Die intensive Zeit der zweiwöchigen Übung schafft Vertrauen auf mehreren Ebenen. „Die Soldaten sollen ihrem Material vertrauen lernen“, so Stabsfeldwebel Matthias B. Ganz gleich, ob es sich um Hägglunds oder Waffen handele: Die Soldaten sehen, ihr Arbeitsgerät funktioniert zuverlässig.“ Aber Vertrauen spielt nicht nur beim Material eine Rolle – auch das Vertrauen in die Kameraden werde gestärkt, die damit unter Beweis stellen, wie belastbar sie sind, und dass organisatorische Grenzen der Teileinheiten im Gefecht keine Rolle spielen.
„Hey Sniper, gib mir Deckung: geradeaus, 500, weiße Mauer, feindliche Schützen!“, schreit der Zugführer am Autoreifenberg dem Scharfschützen am Waldrand hinüber. Im Waldstück nahe der Schießbahn haben sich zusätzliche Schützen in Stellung gebracht. Währenddessen weicht der erste Zug aus. Die Übung geht in die letzte Phase, es ist der dritte Durchlauf. Zuvor lobte von Butler, vor der angetretenen Kompanie den Ansatz der einsatznahen Übung.
Wie die Scharfschützen waren auch andere Kräfte in die Stammmannschaft der 4. Kompanie integriert. Das Gebirgspionierbataillon 8 aus Ingolstadt hat einen Zug abgestellt. Jedem Kampfverband sind Unterstützungseinheiten von Gebirgsaufklärern, Gebirgspionieren und Gebirgsversorgern zugeteilt, mit denen geübt wird. „Das schweißt zusammen“, unterstreicht der Chef der 4. Kompanie, Hauptmann E.
Ein Panzerfaustschütze geht zwischen Waldrand und Autoreifenberg in Stellung. Die Aufsicht am Schützen prüft nochmals, ob die Sicherheitsabstände eingehalten werden. „Schütze, geradeaus, 500, feindliches Fahrzeug, ein Schuss, Feuer frei, Meldung an mich!“, schreit der Zugführer. „Panzerfaust schießt“, bestätigt der kniende Schütze. Es zischt, eine Rauchwolke umhüllt Sicherheitssoldat und Schütze, der meldet: „Zugführer, ein Schuss abgefeuert. Panzer vernichtet.“ Übung beendet.
Im September ist das Gebirgsjägerbataillon 233 wieder für zwei Wochen auf dem Truppenübungsplatz Lehnin.